Der eine geht weg, der andere ist schon lange weg und bekommt trotzdem noch einmal eine Tracht Prügel on top. Gemeint sind Detlef Dinsel, der sein Interesse an einem Sitz im Aufsichtsrat auf Druck der Aktionäre und der Supporters zurückgezogen hat – und Thomas Wüstefeld. Letztgenannter bekam nach seinem inzwischen fast schon fünf Monaten zurückliegenden Rücktritt von HSV-Sportvorstand Jonas Boldt noch einmal eine volle Breitseite. Wüstefeld sei das „Worst-Case-Szenario“ gewesen, so Boldt, der mit Wüstefeld weder persönlich noch als HSV-Mitarbeiter etwas zu tun haben will und den Ex-Vorstand und Noch-Anteilseigner zur „persona non grata“ erklärt.
Und bei Dinsel? „Um die Debatte zur Besetzung des Aufsichtsrats im Sinne des HSV zu beruhigen und den Fokus auf das Erreichen der sportlichen Ziele zu legen, steht Detlef Dinsel für die anstehende Wahl des Aufsichtsrats der HSV Fußball AG nicht mehr zur Verfügung. Dies teilte der 62-Jährige dem Präsidium des HSV im Anschluss an ein gemeinsames Gespräch mit, welches auf Initiative von Marcell Jansen, Bernd Wehmeyer und Michael Papenfuß geführt wurde“, hieß es hierzu in einer Mitteilung des Vereins. Dinsel also auf Druck von außen vom Hof gejagt, Wüstefeld noch mal Schmutz nachgeworfen – beides sollte sich ein Verein mit einem Leitbild, das vor allen Dingen auf respektvollem Umgang miteinander basiert, nicht erlauben.
Dinsels Mandat endete mit der Hauptversammlung Anfang Februar. Seitdem hat das Gremium aktuell nur sechs statt wie vorgesehen sieben Personen. Und Dinsel hatte bei Klaus Michael Kühne verloren, nachdem er seinen angedeuteten Anteilsabkauf zurückzog. Der Aufsichtsrats-Chef Marcell Jansen – Präsident des Mehrheitsgesellschafters HSV e.V. – wollte Dinsel zwar weiterhin gern in dem Kontrollgremium behalten. Dieser hatte im Januar 2022 auf Empfehlung Jansens den Sitz im Aufsichtsrat von Thomas Wüstefeld übernommen, nachdem dieser zum Finanzvorstand berufen worden war. Aber Jansen war am Ende chancenlos gegen die Ablehnung seitens der Aktionäre und der Fans, die auch offen im Stadion gegen Dinsel demonstrierten.
Dass Klaus Michael Kühnes Ablehnung Dinsel gegenüber eine gewichtige Rolle gespielt hat für die anderen Aktionäre wird nicht einmal abgestritten. Karl Gernandt durfte die Bühne der Hauptversammlung sogar nutzen, um im Namen der Aktionäre das e.V.-Präsidium ebenso wie den Aufsichtsrat durchzubeleidigen. Wobei an dieser Stelle die Frage erlaubt sein muss, warum das so ist. Was genau haben die Aktionäre und die Supporters (die Dinsel nicht einmal persönlich getroffen haben) gegen Dinsel als Aufsichtsrat? Dass er vorher bei einem anderen Klub als Investor tätig war?
„Für einen dinselfreien Aufsichtsrat“ stand auf einem Transparent in der HSV-Kurve beim Spiel in Heidenheim. Wobei auch Kühne als Investor per Transparent abgelehnt wurde. Der Förderkreis Nordtribüne, ein Zusammenschluss aus der aktiven Fanszene, kritisierte den Finanzexperten Dinsel zudem in einem Schreiben scharf und warf ihm Profitgier vor. Und das alles, weil man einen Ausverkauf fürchtet? Dabei hat Dinsel einen Anteilskauf gerade abgelehnt? Klingt irgendwie seltsam. Und vor allem: Wäre dem so, muss man sich konsequenterweise auch gegen Kühne stellen. Denn bei dem besteht (schon allein der bereits erworbenen Anteile wegen) längst die Gefahr, dass er zu viel Einfluss erhält, bzw. sich zu viel Einfluss zugesteht (was ich sehe).
Nein, dieser Ausschluss ist intern politisch gesteuert. Wie so vieles bei diesem HSV. Und: Wie so oft beim HSV. Vom Dinsel-Rückzug könnte jetzt theoretisch Lena Schrum profitieren. Sie ist die einzige Frau im Aufsichtsrat. Schrum war von Jansen in das Gremium geholt worden, doch soll sie dem 37 Jahre alten HSV-Präsidenten zuletzt kritisch gegenüber gestanden haben. Also eine Stimme mehr im internen Grabenkampf der Pro- und Contra-Jansen-Fraktionen – und nur darum geht es aktuell.
Denn Jansen ist aktuell immerhin noch Aufsichtsratsvorsitzender. Er vertritt 75,1 Prozent der AG-Stimmen und könnte seinen Plan so durchziehen, wie er es für richtig hält. Doch die Anteilseigner hatten ihm im vergangenen Herbst bereits das Vertrauen entzogen, auf der Mitgliedersammlung im Januar musste er sich als HSV-Präsident zwei Abwahlanträgen stellen, die er allerdings überstand. Nach dieser Versammlung hatte Jansen allerdings angedeutet, seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender abgeben zu können. Als Nachfolger sind laut meinen Kollegen vom „Hamburger Abendblatt“ Vizepräsident Papenfuß und Stephan von Bülow im Gespräch. Von Bülow ist CEO der Block-Gruppe und soll ebenso wie der frühere Ultra Henrik Köncke neu in den Aufsichtsrat einziehen. Das derzeitige Mitglied Andreas Peters wird dem nächsten Aufsichtsrat nicht mehr angehören.
Ein Platz bleibt also offen – und der wird auch weiterhin der Zankapfel der Machttreiber innerhalb des HSV sein. Was das ganze Theater noch absurder macht: Sollte der HSV-Aufsichtsrat nicht binnen des Monats Februar von der Hauptversammlung eingesetzt werden, wäre der HSV satzungsgemäß ohne Kontrollgremium. Manche werden jetzt sagen: Gott sei Dank! Die machen sowieso nur Theater. Andererseits wäre der HSV auf finanzieller Ebene so nur noch sehr bedingt handlungsfähig, wie es meine Kollegen der BILD schreiben. Grund: Anschaffungen ab einer gewissen Höhe müssen vom Aufsichtsrat abgesegnet werden…
Egal wie, dieser HSV hält sich an nichts, was man vernünftig nennen kann. Intern werden Streitigkeiten auf einzelnen Schultern ausgetragen, Kleinaktionäre bestimmen plötzlich über das Prozedere und die Vertreter der größten Abteilung des HSV e.V. stellen sich gegen die Entscheidungen ihres gewählten Vertreters. Klingt gut, oder?
Zum Glück gibt es da ja noch den Fußball. Wenigstens der funktioniert noch so, wie es Spaß macht. Dass Sebastian Schonlau aus Gründen der Belastungssteuerung nur individuell trainierte und Bakery Jatta fehlte wegen „Unwohlsein“ und Matheo Raab leidet an einem Infekt. Aber, und das ist aus meiner Sicht sehr positiv: Jonas Meffert ist zurück auf dem Platz. Aber auf das Wesentliche, den Fußball, komme ich die nächsten Tage wieder zu sprechen. Gern auch ausschließlich…
In diesem Sinne, Euch allen einen schönen Abend! Und: bleibt gesund!
Ich hatte in den letzten Monaten und Jahren immer wieder meine Probleme mit der Art und Weise, wie Tim Walter Fußball spielen lässt. Dabei war und ist mir wichtig zu erwähnen, dass für mich Erfolg allein ebenso wenig der Beweis für die Richtigkeit ist, wie Misserfolg eine Taktik falsch sein lässt. Aber so sehr ich bei Walter die Taktik auch kritisiert habe und sie fürs Scheitern im Aufstiegskampf verantwortlich gemacht habe, so sehr fühle ich mich in dem Gedanken bestätigt, dass längeres Festhalten an einem Weg schneller zum Erfolg führen kann als ständige Kurswechsel. Und absolut sicher war ich mir immer und bin ich mir, dass Walters Mut für diesen HSV essenziell ist. Insbesondere in Bezug auf die eigene Nachwuchsarbeit.
Okay, zugegeben: Finanziell bleiben ihm und dem HSV auch kaum andere Wege. Aber: Walter macht es eben auch. Walter lässt auffällig häufiger als die meisten seiner Vorgänger Talente „ganz oben“ mittrainieren. Dem 47-Jährigen geht es dabei darum, dass der HSV auch im Nachwuchs für eine klare fußballerische Identität steht. Das machte er noch einmal sehr deutlich: „Wir wollen, dass die Jungs mutig sind, sich im Aufbauspiel trauen, Situationen fußballerisch zu klären. Es ist nicht das Ziel, die Bälle – wenn Druck herrscht – einfach wegzukicken. Weil dann entwickeln sich die Jungs nicht weiter. Wir wollen einfach Fußball implementieren, und das schaffen wir so. Die Jungs kriegen eine gewisse Aura und ein gewisses Selbstvertrauen, und das ist wichtig für uns. Denn wenn sie dann zu uns kommen, können sie viel und hauen den Ball nicht weg, sondern können auch Fehler verarbeiten und mit ihnen umgehen.“
Es ist im Grunde genommen der Weg, den der HSV schon zu meiner Zeit als Jugendspieler ging. Auch damals wurde uns erzählt, dass der HSV weniger Wert darauf legen würde, mit den einzelnen Mannschaften gut in der Tabelle zu stehen, als einzelne Topspieler auszubilden. „Das beißt sich ja nicht, Spiele gewinnen und trotzdem gut Fußball spielen zu wollen. Der Weg dahin ist das Entscheidende, und der ist nicht kurz- sondern langfristig.“ Vor allem führt er dazu, dass die Spieler Verantwortung lernen. „Wenn die Jungs Fehler machen, machen sie halt Fehler, daraus lernen sie“, so Walters Ansatz. Ihm ginge es vor allem darum, Spieler bis in den Profifußball zu bekommen.
Und ja, darum geht es sicherlich in allererster Linie bei Bundesligisten bzw. Profiklubs. Sie wollen sich ihre eigenen Stammspieler entwickeln. Bei uns früher ging das so weit, dass die Trainer am Rand applaudierten, wenn ein Spieler fünf Spieler nacheinander ausspielte und am sechsten scheiterte, anstelle den vielleicht längst schon freistehenden Mitspieler zu sehen. Und so ging diesen Spielern – und auch das war immer wieder zu erkennen, wenn man mit den Hamburger Auswahlmannschaften mit HSV-Junioren zusammen antrat – oft der Teamplay-Gedanke ein Stück weit verloren.
Und das ist heute nicht wirklich anders. Die jungen Spieler bekommen schon in sehr jungen Jahren erzählt, dass sie eh die allerbesten sind. Nicht selten haben schon 12- oder 13-Jährige ihre eigenen Berater am Rand stehen, die ihnen immer wieder einbläuen, die eigene Entwicklung über das Wohl der Mannschaft zu stellen. Hauptsache, sie schaffen es ins Profitum! Und das ist auch nur logisch aus Sicht des Beraters, der eben nur dann Geld mit seinem Schützling verdient.
Aber es führt nicht selten dazu, dass diese Spieler einen Mangel an sozialer Kompetenz mitbringen, wenn sie erwachsen werden. Und zugegeben, ich habe viele solcher Spieler kennengelernt. Es gab sie, es gibt sie aktuell – und es wird sie sicherlich auch immer geben. Die besten von ihnen waren und sind aus meiner Sicht aber noch immer die, die es gelernt haben, ihre Mitspieler besser zu machen. Oder anders formuliert: Ich sehe lieber einen Zinedine Zidane spielen als einen Cristiano Ronaldo…
Und auf den HSV bezogen bleibt festzuhalten, dass er selten gut beraten war, wenn er auf Einzelkönner setzte. Nicht die Mannschaften mit den besten Namen waren in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten die erfolgreichsten, sondern die, die den besten Teamgeist hatten. Aktuell würde ich dieser Mannschaft des HSV genau das unterstellen: Teamgeist zu haben. Angefangen bei Tim Walter und Jonas Boldt. Dass die das (auch über die Grenzen des Vertretbaren hinaus) die eigenen Spieler bedingungslos schützen. So geschehen bei Jatta, Vuskovic und Dompé…
Mikros sind noch stark ausbaufähig…
Und sollte der HSV diesen Zusammenhalt beibehalten, stehen ihm diese Saison Tore offen, die man sich in den letzten Jahren selbst immer wieder verschlossen hat. Die große Kunst hierbei ist aber eben auch, dass man alles im gesunden Maß haben MUSS. Allein Zusammenhalt bringt nichts, wenn man nicht kritisch miteinander umgeht. Aber so soll es beim HSV weiter intern zugehen. Auch nach der Aufholjagd in Heidenheim soll Walter meinen Informationen (und seiner Aussage) nach intern deutliche Worte für die ersten 60 Minuten gefunden haben.
Und genau darin wird sich entscheiden, wie dieser HSV diese Saison abschneidet. Denn Fakt ist auch, dass der Grat zwischen Erfolg bringendem Selbstbewusstsein und fataler Überheblichkeit sehr schmal ist. Gerade beim HSV weiß man das aus den letzten Jahren. Stichwort: „Wir entscheiden, wer aufsteigt“.
Und dann noch kurz etwas zum Training, das Johnny aktuell leider nicht filmen kann, weil er privat verhindert ist. Neben Johnny fehlte auch Jonas Meffert, der weiter an Knieproblemen laboriert.
Ehre, wem Ehre gebührt: Tim Walter war für mich der entscheidende Faktor am vergangenen Sonnabend. Nicht nur, dass er die Torschützen Robert Glatzel und Bakery Jatta trotz wahrlich durchwachsender Leistungen auf dem Platz ließ (während ich sie schon längst ausgewechselt hätte) – er wechselte zudem den Ausgleich ein. Denn alle Einwechselspieler (auch Sonny Kittel!) machten den HSV in Heidenheim in der zweiten Halbzeit besser. „In den letzten Jahren wären wir hier untergegangen“, sagte der Trainer nach dem spektakulären Zweitliga-Spitzenspiel beim 1. FC Heidenheim. Und er fügte einen nicht ganz unwesentlichen Satz hinzu: „Das ist der neue HSV!“
Große Worte nach einem Spiel, das sicherlich von der furiosen Aufholjagd geprägt war, das aber eben auch eine erste Halbzeit und erste 15 Minuten der zweiten Hälfte hatte, über die gesprochen werden muss. Denn bis hierhin hätte Heidenheim das Spiel schon mehrfach vorentscheiden können. Nein: Vorentscheidung müssen. Aus FCH-Sicht muss man an dieser Stelle von einem „verschenkten Sieg“ sprechen. Und im Umkehrschluss muss Walter sich neben aller Freude über die letzten 30 Minuten mit intakter Moral darüber Gedanken machen, wie es zu solchen 60 Minuten kommen kann. Und das wird er auch machen.
Ganz sicher wird er intern wieder klare Worte finden und am kommenden Sonntag gegen Bielefeld personell sicher auch auf die schwache Defensive reagieren. Sofern Jonas David bis dahin wieder fit ist, dürfte er wieder für den schwachen Montero ins Team rücken. Aber nach außen ist Walter eben der Verteidiger seines Teams. Was auffällt: Walter verteidigt seine Mannschaft nach außen besser als diese sich gegen gegnerische Angriffe im Moment. Walter baut eine Art Wagenburg.
Da passt dieses 3:3 nach dem 0:3 zur Halbzeit sehr gut ins Gesamtbild. Dass zudem die Machtkämpfe auf den Gesellschafter- und Führungsebenen die Mannschaft nicht erreichen, zeigt die Widerstandsfähigkeit dieser Mannschaft. Selbst den Dopingfall von Mario Vuskovic hat der HSV vor dem Frankfurter Sportgericht so gedreht, dass mehr über die Schwächen des Anti-Doping-Systems an sich geredet wird als über die Frage, ob der HSV-Verteidiger wirklich gedopt hat oder nicht.
Oder anders formuliert: Der Vorstand, das Trainerteam um Tim Walter und seine Mannschaft sind im Moment eine absolute Einheit. Walter stellte Jean-Luc Dompé in die Startelf, obwohl dieser jüngst durch seine Unfallflucht aufgefallen war. Dass er ihn zur Halbzeit vom Platz nahm, war sportlich mehr als gerechtfertigt. Aber zu sehen, wie der Coach den Franzosen nach Schlusspfiff umarmte und ihm ganz offenbar sehr nette (oder zumindest aufbauende) Worte sagte. Wer sich Walter anhört, ihn im Umgang mit der Mannschaft sieht, der kann aktuell nur zu dem Schluss kommen, dass hier außergewöhnlich viel passt.
„Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat. Den hat er auch eingestanden – in der Öffentlichkeit und vor allem bei uns in der Kabine“, sagte Walter über Dompé. In der Rückkehr auf den Platz sehe er auch eine Art „Therapie“ für den Franzosen – wobei man das durchaus diskutieren kann. Der FCH-Vorstandsboss Holger Sanwald sagte das ungewöhnlich deutlich: „Bei uns beim 1. FC Heidenheim geht es etwas anders zu. Für uns würde ich ausschließen, dass solche Jungs nochmal für uns Fußball spielen“, so der Vorstand im Sky-Interview.
Dass sich Walter und Sportvorstand Jonas Boldt so vor Dompé, Mikelbrencis und Vuskovic stellen, ist als Signal an den Rest der Mannschaft zu verstehen. Es ist eine Art „Wir gegen den Rest der Welt“-Mentalität, die hier geschaffen wird. Und solange diese funktioniert, macht es eine Mannschaft auch stärker. Das haben die letzten Jahre beim HSV eindrucksvoll bewiesen – da dort genau das Gegenteil der Fall war und das den HSV immer an sich selbst scheitern ließ. Oder wie Walter es formuliert: „Wir glauben immer an uns. Wir geben nie auf. Das zeigt, welche Mentalität wir haben.“
Aber: Walter bleibt bei aller Euphorie immer auch realistisch. Auf die Frage, ob er diesen Punktgewinn in Heidenheim feiern würde, antwortete er, dass er dafür keinen Grund sehe. Denn man habe das Spiel nicht gewonnen, sondern letztlich eben doch nur einen Punkt geholt. Und zu dieser Geschichte gehören die auffälliger werdenden Schwächen im Defensivverhalten auch dazu. Oder wie Walter es sehr passend formulierte: „Wir haben Mentalität und die ganze Stadt hinter uns. Diese Wucht ist nur schwer aufzuhalten“, so der Coach, der hinterherschob: „Aber über die ersten 60 Minuten muss man auch reden.“
Stimmt. Denn oft geht sowas nicht so glimpflich aus wie in Heidenheim. Hinzu kommt, dass der Tabellenführer Darmstadt 98 einen ähnlich guten, wenn nicht sogar noch besseren Lauf hat. Was ich meine: Dieser HSV darf sich über solche Spiele wie in Heidenheim sicher kurz freuen und als positive Nachricht mitnehmen. Man darf sich darüber freuen, dass man eine Einheit darstellt, die aktuell schwer zu bezwingen ist und dass man selbst so schwache Spiele Leistungen wie die ersten 60 Minuten in Heidenheim mit der intakten Moral noch drehen kann. Nicht selten entwickelt sich daraus auch ein sehr positives, stabiles Selbstverständnis. ABER: Es funktioniert alles auch nur, solange die klaren, kritischen Worte das Ganze nicht nur in den nächsten Tagen, sondern bis zum Saisonende begleiten.
Eine diskutabel schwache erste Halbzeit – und im Grunde auch „nur“ 30 vor allem moralisch starke Minuten. Am Ende steht für den HSV ein 3:3 bei Verfolger 1. FC Heidenheim, das man als Punktgewinn bezeichnen muss. Das Blitzfazit:
Tabellenzweiter, gerade den Vorsprung auf den nächsten Gegner und direkten Verfolger auf vier Punkte ausgebaut – und trotzdem spielt der Fußball eher am Rande eine Rolle. So geschehen heute auf der Pressekonferenz des HSV. Und Trainer Tim Walter war darauf eingestellt. Zumindest überraschten ihn die Fragen zum Unfall von Jean-Luc Dompé und William Mikelbrencis sowie zum Stand im Dopingfall Mario Vuskovic sichtbar nicht. „So ist das Leben. Allgemein spielt das Leben Kapriolen und nicht immer ist alles vorauszusehen“, sagte Walter. „Trotzdem gibt es auch in anderen Vereinen Dinge, die nicht so laufen. Die haben wir natürlich auch, immer wieder.“ Und dann kam, was immer beim HSV gesagt wird. Solche Nebengeräusche würden medial in Hamburg nun mal mehr unterstützt als in anderen Bereichen oder in anderen Städten. „Damit müssen wir umgehen, damit müssen wir leben. Ich glaube, dass wir das ganz gut machen.“
Und sportlich merke man ja, „dass man die Dinge meistern kann. Wir müssen professionell mit der Situation umgehen. Und professionell heißt in dem Fall das Spiel“, so Walter weiter, um das Thema wieder aufs Sportliche zu lenken. „Wir sind Profisportler, entsprechend ist unser Fokus ausgelegt.“ Und das macht sportlich auch absolut Sinn, denn die Chance, die das direkte Duelle in und gegen Heidenheim bietet, ist groß. Nach den beiden Erfolgen zum Rückrundenauftakt gegen Eintracht Braunschweig (4:2) und bei Hansa Rostock (2:0) können Walter und Co. mit einem Sieg einen seiner Hauptkonkurrenten im Aufstiegskampf deutlich distanzieren.
Ob das mit Dompé geschehen wird, ließ Walter offen. „Wenn er sich sportlich qualifiziert, dann darf er am Wochenende auch ran“, sagte der Cheftrainer und deutete damit mehr als deutlich an, dass der Franzose spielen wird. Denn aktuell ist der Außenstürmer mit sieben Assists und einem Treffer in 13 Partien in Topform und gilt als gesetzt. Noch nicht geregelt und entschieden ist der Dopingfall von HSV-Verteidiger Vuskovic. Walter hofft noch immer auf einen positiven Ausgang für seinen Spieler und spricht von berechtigten Zweifeln. „Dass die Sache noch einmal in die Verlängerung geht, wirft ja noch mehr Fragen auf“, meinte Walter und fügte mit Blick auf die Kritik am Ablauf der Dopingproben und deren Auswertung hinzu. „Da ist auch nicht alles so professionell, wie man sich das vorstellt.“
Und dann kam doch noch ein wenig Fußball zur Sprache. Es ging um das anstehende Spiel und den Gegner. „Da trifft die beste Heimmannschaft auf die beste Auswärtsmannschaft. Wir sind so selbstbewusst, dass wir dahinfahren und auch gewinnen wollen“, sagte Walter. Und mit Blick auf die Nebengeräusche meinte er: „Die Jungs haben gezeigt, dass sie mit solchen Situationen umgehen können, mit Stresssituationen.“
Vor allem hat der HSV defensiv gegen Heidenheim zuletzt gut gestanden. Zuletzt gab es in vier Spielen keinen Gegentreffer (3 Siege, ein Remis). Das betonte Walter auch noch einmal explizit: „Wir haben in den letzten drei Spielen, in denen ich verantwortlich war, kein Gegentor kassiert. Es waren immer enge Spiele, trotzdem haben wir zwei davon gewonnen.“ In Heidenheim hat der HSV allerdings noch nie gewonnen. Dennoch dürfte diese Statistik Mut machen – gerade, weil der HSV defensiv personell eng ist.
Nach dem zwangsläufigen Ausfall von Vuskovic musste zuletzt auch Jonas David mit einer Hüftprellung passen. Sollte der zuletzt neben Sebastian Schonlau eingesetzte Innenverteidiger ausfallen, wäre Javi Montero sicher die erste Alternative. Eine sehr gute Alternative. Deutlich schwieriger wäre der Ausfall von Jonas Meffert, der heute allerdings wieder auf dem Trainingsplatz stand. Sein Einsatz dürfte sich kurzfristig entscheiden. Aber Fakt ist: Seinen Ausfall müsste der HSV mit vereinten Kräften auffangen.
Dass Walter heute sogar Sebastian Schonlau als Alternative für Meffert nannte, fand ich etwas seltsam. Denn ich bin mir sicher, dass Schonlau hinten nicht rausgenommen wird. Dafür ist er als Innenverteidiger und Abwehrchef einfach zu wichtig. Vielmehr erscheint mir eine Kombi aus Ludovit Reis mit Laszlo Benes wahrscheinlicher. Oder Walter zieht Heyer von rechts hinten ins defensive Mittelfeld. Wobei sich dann wieder die Frage nach dem Rechtsverteidiger stellen würde. Bleibt zu hoffen, dass Walter gar nicht erst umstellen muss…
In diesem Sinne, bis morgen! Da melden wir uns wieder mit der Holsten-Auswärtscouch bei Euch! Wer also live dabei sein will, der schaltet ganz einfach hier am Sonnabend ab 20 Uhr einfach rein. Euch bis dahin einen schönen Abend!
Der Dopingfall von Mario Vuskovic ist entgegen allen Erwartungen heute noch nicht entschieden worden. Weil die HSV-Anwälte es geschafft haben, die Abläufe der Urinprobe bis zur Lieferung ins Labor so zu hinterfragen, dass Zweifel entstanden sind. Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt will nach den ersten beiden Verhandlungstagen des komplexen und komplizierten Verfahrens einen unabhängigen Sachverständigen zurate ziehen. Das DFB-Gericht unter dem Vorsitz von Stephan Oberholz wählte Jean-Francois Naud aus Kanada aus. „Es gibt noch ungeklärte Umstände und Fragen. Wir wollen in sorgfältiger und gewohnter Tiefe aufklären“, begründete Oberholz seine Entscheidung. Weiter geht es jetzt am 10. März.
Vuskovics Rechtsanwälte hatten am heutigen Donnerstag vier Gutachten präsentiert, um den positiven Dopingtest des Kroaten am 16. September 2022 auf das Blutdopingmittel Erythropoetin (Epo) anzufechten. Der Jungprofi ist seitdem suspendiert und beteuert weiterhin seine Unschuld. Die vom HSV und von Vuskovic engagierten Experten waren zu dem einhelligen Ergebnis gekommen, dass beim Analyseprozess und der Interpretation der Fakten im Institut für Dopinganalytik und Sportbiochemie Fehler gemacht worden seien.
Der Krebsforscher Jon Nissen-Meyer (Norwegen), der Proteinchemiker David Chen (Kanada), der Biomathematiker Markus Schulz (Leipzig) und der Endokrinologe Lorenz Hofbauer (Dresden) hatten dazu ausgesagt. „Aus meiner Sicht liegt die Wahrscheinlichkeit bei 80 bis 90 Prozent, dass die Probe falsch positiv ist“, sagte Lorenz Hofbauer. Es wäre fast zu schön, um wahr zu sein. Institutsdirektor Sven Voss aus Kreischa wies diese These zurück. „Nach allen Kriterien, die wir eingehalten haben, würde ich hundertprozentig die Probe positiv geben“, beteuerte Voss.
Jetzt soll ein unabhängiger Gutachter letzte Klarheit herbeiführen. Dafür bestellte das Gericht den kanadischen Wissenschaftler Naud. Er soll nicht nur mögliche Ungereimtheiten im Labor von Kreischa bewerten, sondern auch den ordnungsgemäßen Verlauf von der Probenentnahme über den Transport der Test-Gefäße bis ins Labor. Dabei geht es unter anderem um die ordnungsgemäße Lagerung und eine mögliche Verdunstung des Urins. Der Forscher aus Quebec soll zudem die nach A- und B-Probe noch vorhandene Restmenge an Urin für eine weitere, dritte Auswertung nutzen.
Spannend hierbei: Da dieses Vorgehen nach dem Katalog der Welt-Anti-Doping-Agentur nicht vorgesehen ist, könnte diese Entscheidung zu einem Widerspruch der Weltagentur führen. Und auch beim HSV sorgte die Bestellung Nauds nicht für Freude. Trotz des ersten Teilerfolges, zweifelt der HSV bei Naud dessen Unabhängigkeit an. Hintergrund ist dessen Zugehörigkeit als Wada-Experte für Epo. Das wiederum sieht das Gericht als Vorteil an. Justiziar Phillipp Winter: „Wir prüfen, ob wir dagegen vorgehen.“
Das Thema Vuskovic wird sich noch ziehen, da lege ich mich fest. Dass sich das Gericht dazu entschieden hat, diese dritte Analyse durchführen zu lassen, ist schon erstaunlich. Aber wer weiß, wohin es führt. Ein Freispruch wäre sicherlich überraschend. Und es würde weltweit für Aufsehen sorgen. Aber wie immer gilt auch hier, das Urteil des Gerichtes zu respektieren. Ich für meinen Teil glaube an die Unabhängigkeit und Objektivität (nicht nur, aber sicher auch) deutscher Gerichte. Aber wie gesagt: Das Thema Vuskovic ist längst noch nicht entschieden.
Ich werde mich morgen Abend an dieser Stelle noch einmal mit einem Update zum Sportlichen melden. Heute hat Jonas Meffert gefehlt, weil er individuell trainieren musste. Ob der Mittefeldspieler am Sonnabend in Heidenheim auflaufen kann, scheint noch offen zu sein. Und ich weiß, dass Meffert hier von vielen deutlich kritischer gesehen wird als von mir. Und für mich wäre ein Meffert-Ausfall gleichzusetzen mit dem von Heuer Fernandes, Schonlau und Reis. Normalerweise hätte ich in diese Reihe auch noch Glatzel mit eingebaut – aber hier habe ich seit der Verpflichtung von Andras Nemeth ehrlich die Hoffnung, dass man den (trotz allem dann extrem bitteren) Ausfall des Topstürmers doch auffangen könnte.