Der Vieira-Zwiespalt: Was fängt der HSV mit seinem wertvollsten Spieler an?

Der Vieira-Zwiespalt: Was fängt der HSV mit seinem wertvollsten Spieler an?

Moin zusammen,

mit Fabio Vieira hat der HSV im Sommer einen Spieler verpflichtet, der vom Marktwert her der beste Spieler des Kaders ist. Und gleich in seinem zweiten Spiel wusste der Portugiese zu überzeugen. Gegen Heidenheim kam Vieira direkt auf eine Vorlage und leitete das Offensivspiel des HSV. Gezielte Pässe, starke Abschlüsse und solide Ballverlagerungen im Aufbauspiel. Gegen Union Berlin konnte der 25-jährige nur teilweise anknüpfen, ehe er in der Nachspielzeit mit Rot vom Platz flog. Seither konnte Vieira nicht mehr an seine Leistung gegen Heidenheim anknüpfen. Das hat mehrere Gründe, die sowohl von außen als auch von ihm kommen.


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IHR FRAGT – MATS ANTWORTET

System-Limitation und fehlende Leistung

Vieira ist der typische Spielmacher. Er braucht den Ball. Er will derjenige sein, der die letzten Pässe spielt. Wenn das Offensivspiel läuft, geht der Ball auf ihn. Defensivarbeit steht dabei eher weniger im Fokus. Doch das HSV-Spiel liegt primär auf den Flügeln. Im Zentrum geht es darum, den Ball schnell auf die Außen zu bringen. Die Doppel-8 ist dazu da, den Gegner zu zerstören und sowohl defensiv als auch im Umschaltspiel aktiv zu sein. Für geringe Defensivarbeit ist da kein Platz. Gegen Heidenheim hat es mit Vieira im Zentrum neben Remberg funktioniert. Das lag aber auch daran, dass Heidenheim in der 1. Halbzeit zu ineffektiv war und der HSV in der zweiten Halbzeit lange Zeit das Spiel mit Ball gestaltet hat. Offensiv war er gewinnbringend, aber in der Defensivarbeit gab es auch im Spiel gegen Heidenheim einige Aktionen, die zu guten Torchancen der Gäste führten, da Vieira defensiv weniger arbeitete als Remberg. Mit Ball war das sehr gut, aber ohne Ball gab es Probleme. Ähnliches passierte auch im Union-Spiel. Seit der roten Karte in Berlin übernahm dann Lokonga die zweite Position neben Remberg. Und vor allem defensiv arbeitet Lokonga deutlich aktiver als Vieira. Das Spiel in Köln zeigte ein weiteres Mal, warum die Doppel-8 aus Remberg und Lokonga momentan unantastbar ist.

Hieraus resultiert, dass Vieira momentan keinen Platz im Zentrum bekommt. Damit er spielt, muss er wie in Augsburg auf den rechten Flügel weichen. Auf der rechten Bahn konnte Vieira aber bisher nicht überzeugen. Der rechte Flügel hat im HSV-System zwar mehr Freiheiten und darf auch aus dem Zentrum heraus agieren, allerdings fehlt dann jemand, den Vieira auf der rechten Bahn in die Tiefe schicken kann. Hinzu kommt, dass Vieira als rechter Flügel genauso weniger nach hinten arbeitet. Damit hat man dann zwei Flügel, die tendenziell wenig Abwehrarbeit machen. Das funktioniert in einem System, das vorwiegend auf die Defensive ausgelegt ist, nicht.

Und dann ist da noch das Ding mit den roten Karten. Ja, das Foul in Berlin ist nicht zwangsläufig eine rote Karte, aber da geht man eben auch nicht so rein. Auch die Karte in Köln muss man nicht geben, aber das Argument gegen die rote Karte in Köln basiert eher auf dem Fingerspitzengefühl des Schiedsrichters, hinsichtlich der Gelb-roten Karte von Pherai, als auf der Aktion selber. Wenn du Gelb hast und der Schiri dich mehrfach darauf hinweist, dass du ruhig sein sollst, ist Diskutieren eben nicht der richtige Weg. Und so ist die zweite Gelbe verständlich.

Was nun?

Der HSV hat ein Problem. Vieira ist nominell der beste Spieler, aber das System widerspricht seinen Stärken. Sowohl im Zentrum als auch auf den Außen muss Vieira Sachen machen, die ihn limitieren.   Man versucht immer wieder, ihn in die Startelf einzubauen, aber das Doppel-8 ist zu gut eingespielt und auf dem rechten Flügel ist Vieira verschwendet. Aktuell ist Vieira für mich nur ein Kandidat für die Bank, weil er eben auch nicht genügend Argumente für die Startelf geliefert hat. Selbst im Pokalspiel in Heidenheim, in dem der HSV über 90 Minuten den Ball beherrschte und sogar eine Halbzeit in Überzahl spielte, war Vieira nicht auffälliger als die anderen Spieler.

Vieira war eben ein Zufallstransfer. Ein Transfer, der nicht ins System passt und nie ins System passte. Aber bei den Konditionen und den damaligen Aussichten sagt man beim HSV natürlich nicht nein zu so einem Spieler. Doch nun ist man in einem Zwiespalt. Ändert man das System, um Vieiras Stärken auf der 10 auszuspielen? Oder lässt man ihn auf der Bank beziehungsweise stellt ihn auf die 8 und zerbricht eine funktionierende Achse? Und eine weitere Frage ist, ob sich eine Umstellung nur für Vieira überhaupt lohnt. Macht Vieira mit der vollen Ausprägung seiner Fähigkeiten den HSV so viel besser, dass man alles auf ihn setzen muss?

All das sind Fragen, auf die man Antworten finden muss. Und ich bin wie im vorherigen Blog der Auffassung, dass man im Spiel gegen Kiel eine Änderung mit einem 10er hinter 2 Spitzen ausprobieren sollte. Denn so hat man einerseits eine andere Variante, was die Offensive angeht, andererseits kann man sehen, was für eine Auswirkung Vieira auf der 10 vor 2 6ern/8ern hat.

Tom

HSV vor der Triple-Prüfung: Stuttgart, Kiel, Bremen – die entscheidenden Baustellen

HSV vor der Triple-Prüfung: Stuttgart, Kiel, Bremen – die entscheidenden Baustellen

Moin zusammen,

heute begann für den HSV die Vorbereitung auf das Spiel gegen Stuttgart. Damit wird offiziell die englische Woche, welche zwischen dem 30.11 und 07.12 stattfindet, eingeleitet. Eine Woche, in der der HSV zeigen muss, dass er aus dem Augsburg-Spiel gelernt hat. Dabei geht es einerseits darum, am Wochenende Stuttgart das Spiel so schwer wie möglich zu machen. Andererseits wird es in den Spielen gegen Kiel und auch gegen Bremen darum gehen, zu zeigen, dass man auch mit dem Ball kreieren kann. Beides funktionierte am Wochenende gegen Augsburg überhaupt nicht. Man sollte die Leistung vom Samstag nicht auf die komplette Saison beziehen, aber man sollte die Schlüsse aus diesem Spiel ziehen. Und diese lauten: Wer nicht bereit ist, alles zu geben, verliert das Spiel. Die zweite Erkenntnis ist, dass man ein offensives Konzept braucht, dass dem HSV Tore bringt.

Neues System ohne Flügel?

Offensiv mangelt es momentan an allem. Kreativität, Qualität und Quantität. Der HSV kreiert zu wenig Chancen und diese wenigen Chancen werden fahrlässig verschenkt. Hinzu kommt, dass Dompe weiterhin mit Problemen an der Achillessehne laboriert. Das System, welches vorwiegend auf Dompe ausgelegt ist, muss sich nun also auf mehrere Schultern verteilen. Denn man hat auch in den letzten Wochen gesehen, dass wenig nach vorne geht, sobald Dompe nicht zum Unterschiedsspieler wird. Sicherlich wird Dompe am Sonntag gegen Stuttgart spielen und in diesem Spiel wird der HSV wieder einmal von Umschaltmomenten leben. Aber vor allem gegen Kiel im Pokal könnte der HSV offensiv etwas Neues probieren. Vielleicht auch ohne offensive Flügel.   Da Dompe immer mal wieder mit der Achillessehne zu kämpfen hat, kann ich mir vorstellen, dass er gegen Kiel nicht spielt. Der rechte Flügel hat im HSV-System meistens deutlich mehr Freiheiten und Zeit, auch gerne mal ins Zentrum. Da wäre es meiner Meinung nach eine Überlegung, mal ein System mit einem 10er und 2 Spitzen auszuprobieren. Und dafür ist der Pokal meiner Meinung nach am ehesten passend. Denn für das Spiel gegen Bremen braucht man auch eine gute Idee mit Ball. Dort wird man eher Ballbesitzphasen haben als im Spiel gegen Stuttgart. Gegen Stuttgart wird es ähnlich wie gegen Dortmund darum gehen, das Spiel so lange wie möglich offen zu halten, um dann am Schluss noch einmal zuzuschlagen.

Elfaldi schneller fit als gedacht

Heute wieder auf dem Trainingsplatz waren Yussuf Poulsen und Daniel Elfadli. Sie trainierten individuell, aber konnten schon so einiges machen. Vor allem kleine Sprints wurden angezogen. Bei Poulsen wird es wohl noch ein wenig dauern. Elfadli hat Ende der Woche noch einen Kontrolltermin, ehe er, nach möglichem positivem Ergebnis, wieder in das Teamtraining einsteigen kann. Für das Wochenende wird es knapp, aber spätestens gegen Bremen könnte Elfadli wieder eine Option sein. Das wäre für den HSV enorm wichtig, denn Elfadlis Drang nach vorne im Spielaufbau ist ein wichtiges Element des HSV. Er hätte am Samstag in Augsburg sicherlich noch einmal etwas mehr Schwung in den Aufbau des HSV bringen können. Wer weichen würde, ist noch unklar, ich gehe aber davon aus, dass die 3er-Kette auch in Zukunft wieder aus Elfadli, Vuskovic und Capaldo besteht.

Tom

HSV-Krise im Angriff: Warum Hamburg so wenige Tore schießt – Analyse nach dem Augsburg-Spiel

HSV-Krise im Angriff: Warum Hamburg so wenige Tore schießt – Analyse nach dem Augsburg-Spiel

Moin zusammen,

am Wochenende war ich mal wieder ca. 30 Stunden unterwegs, um dem HSV hinterherzufahren. Und was soll ich sagen? Ich wurde enttäuscht. Ich kann akzeptieren, wenn man verliert, weil man individuell schlechter besetzt ist und trotzdem alles gegeben hat, wie in Leipzig. Was ich aber nicht akzeptieren kann, ist, wenn man läuferisch weniger tut als der Gegner und deshalb nicht ins Spiel findet. Scholle hat ja schon ein, zwei Spieler angesprochen, aber es waren insgesamt zu wenig kluge und intensive Läufe. Vorne beläuft man die Räume nicht, hinten bleibt man stehen, während der Gegner einem wegläuft. So geht das nicht. Am Ende ist der HSV wieder 3 Kilometer weniger gelaufen und das, obwohl man am Ende ca. 10 Minuten in Überzahl war.

In diesem Spiel lief einfach gar nichts und es stellen sich Schemata heraus, die sich schleunigst ändern müssen, denn sonst holt man die Punkte nicht. Ich kann verstehen, dass der Fokus auf der Defensive liegt, aber man muss einen gesunden Ausgleich finden. Letztes Jahr hat jeder gesagt, wie gut doch die Defensive von St. Pauli in der Bundesliga gewesen sei. Ja, sie hatten die 2. beste Defensive der Liga. Aber mit der Punkteausbeute wäre St. Pauli in 8 der letzten 10 Saisons abgestiegen. Von der Defensivleistung darf man sich nicht blenden lassen. Eine gute Defensive ist gut, hält aber nur, solange man genug Tore schießt. Denn wenn das nicht passiert, reicht am Ende ein Stellungsfehler und man fährt ohne Tor und ohne Punkte gegen einen direkten Konkurrenten nach Hause, der die schlechteste Defensive der Liga stellt. Das kann es nicht sein.

Defensiv zu wenig

Fangen wir mal bei der Defensive an. Der HSV hat mit Vuskovic den besten Kopfballspieler der Liga. Torunarigha ist auch ganz solide dabei und Capaldo arbeitet sich rein. Häufig hat man den Ball in anderen Spielen erobert, da man den Gegner zu langen Bällen gezwungen hat. In diesem Spiel war davon gar nichts zu sehen. Es gab 2/3 Szenen, in denen der HSV hoch presst und Augsburg zum langen Ball zwingt. In diesen Situationen hat man meist den Ball durch das Kopfballduell und den zweiten Ball erobert. Warum macht man das nicht immer, wenn Königsdörffer hoch presst? Meistens sahen die Szenen gleich aus: Königsdörffer läuft den Torwart an und das Mittelfeld schiebt nicht richtig nach. So steht ein Spieler im Zentrum oder direkt neben Dahmen frei und sofort ist Königsdörfer überspielt und alle Spieler müssen sich umorientieren, weil man direkt einen Mann in der Defensive verloren hat. 
Beim Anlaufen gibt es faktisch 2 Wege, um den zu attackieren:

Man geht mit allen vorne drauf, oder man steht gestaffelt und läuft obligatorisch den ersten Passweg zu. Aber ein anlaufender Stürmer, der alleine anläuft, ist kein guter Weg, um den Ball zu erobern. So ließ man sich in der ersten Halbzeit herspielen und teilweise dachte man, Augsburg spielt um die internationalen Plätze. Denn die Kombinationen funktionierten häufig. Das lag aber weniger am Verhalten der Augsburger als am Verhalten der Hamburger.

Die Augsburger spielten das meistens nach dem gleichen Konzept. Ball in den Fuß und der Passgeber läuft nach. Was macht man da? Richtig, der Innenverteidiger attackiert den angespielten Stürmer, während der zweite Verteidiger den abspielenden Augsburger am Lauf in die Tiefe hindert. Was macht der HSV? Man attackiert den Stürmer, lässt den Spieler, der den Ball auf den Stürmer gespielt hat, aber komplett alleine in die Tiefe laufen und wundert sich, warum der dann mit einem weiteren Doppelpass alleine vor dem Tor steht.

So entstanden in der ersten Halbzeit viele Großchancen für den FCA.

Das Offensive Konzept passt nicht

Das andere ist dann die Offensive. Das Ganze fing mit der Personalbesetzung an. Für mich gab es auch hier zwei Möglichkeiten für die Besetzung im Sturm und auf rechts außen. Mit Glatzel und Vieira auf Ballbesitz setzen und kreative Chancen erarbeiten oder mit Königsdörffer und Philippe voll auf Umschaltspiel setzen. Aber bitte, was war der Plan mit Vieira und Königsdörfer?

Vieira ist kein Spieler, der jeden Ball erläuft, er ist eher für die kreativen, unvorhergesehenen Momente zuständig. Das zusammen mit Königsdörffer hat für mich keinen Sinn ergeben. Und so kam es dann auch im Spiel. Die Kreativität von Vieira kam selten zum Einsatz, weil man auf schnelle Gegenstöße setzen wollte. Zumindest würde ich das mal so interpretieren, so viele Aktionen hatte der HSV ja nicht. Gefährlich wurde man nur, wenn man mal schnell umschaltete und die Seiten verlagerte. Aber das passierte viel zu selten. Wahrscheinlich war die Vorstellung, dass man den Ball lang schlägt und dann den zweiten Ball erobert, um ihn in die Tiefe zu spielen. Aber dafür ist Vieira einfach nicht passend. Der gehört ins Zentrum, um von da das Spiel zu leiten. Der Transfer war sicherlich nicht vorhergesehen, aber wenn man einen solchen Spieler hat, sollte man alles dafür tun, um diesen in seiner stärksten Rolle einzusetzen.

Zurück zum Konzept. Man hat vor allem am Anfang der zweiten Hälfte gesehen, was passiert, wenn man schnell den Ball in die Tiefe spielt. Da hatte der HSV gute Möglichkeiten. Aber das hat man viel zu selten gemacht. Es war wieder das klassische Ballgeschiebe durch die eigenen Reihen. Ja Augsburg stand gestaffelt defensiv, aber wenn man mal Platz im Zentrum hatte, wurde viel zu selten der Ball direkt tief gespielt. Und das muss ja das Konzept sein, wenn man mit Königsdörffer startet. Am Ende der meisten Angriffe landete der Ball bei Heuer Fernandes und dieser schlug den Ball lang auf Königsdörffer. Dieser sollte wohl dafür sorgen, dass der HSV Chancen auf die zweiten Bälle erhält. Aber er verlor das Kopfballduell meistens so klar, dass es selten die Chance gab, den zweiten Ball zu erobern. Und wenn es die Chance gab, dann ergriff man sie nicht. Hier hätte man mMn viel früher Glatzel bringen müssen. Glatzel ist zwar auch nicht derjenige, der in jedes Kopfballduell im Mittelfeld zum Ball geht, aber mit seiner Größe kann er zumindest dafür sorgen, dass der Gegenspieler nicht kontrolliert den Ball zum Mitspieler köpft.

Fazit

Der HSV hat ein Problem: Er schießt zu wenig Tore. Das offensive Konzept funktioniert nicht so, wie es funktionieren soll. Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass Dompe nicht der Unterschiedsspieler ist, der er in der 2. Liga war. Denn er ist derjenige, den man versucht, in Aktion zu bringen. Aber auch bei ihm funktioniert momentan gar nichts. Die Schüsse fliegen zentral auf den Keeper und die Flanken landen im Fuß des Gegners oder im Aus. Da muss man mehr Entlastung schaffen.

Fest steht, dass der HSV ein neues Offensivkonzept braucht. Die meisten Gegner haben sich auf das Umschaltspiel eingestellt und stehen einfach tiefer. So ist der HSV gezwungen, mit dem Ball zu agieren, und das schafft er momentan nicht.

Wie genau die Veränderung aussehen muss, kann ich nicht zu 100 % sagen. Für mich muss aber ein Vieira als klarer Spielmacher hinter der Spitze oder in Zukunft vielleicht den Spitzen agieren. Er braucht diese Rolle als Spielmacher. Wie und ob das umgesetzt wird, kann ich aktuell nicht sagen, aber auf die Möglichkeiten können wir in einem anderen Blog nochmal eingehen.

Schreibt doch mal gerne, was es nach eurem Empfinden braucht, damit der HSV endlich mehr Tore schießt und mehr Punkte holt.

Tom

Entwicklung ja – Belohnung später: Warum der HSV jetzt Leistung statt Verträge braucht

Entwicklung ja – Belohnung später: Warum der HSV jetzt Leistung statt Verträge braucht

Der HSV hat sich stabilisiert – defensiv deutlich verbessert, taktisch klarer, als Mannschaft reifer. Aber Stabilität alleine reicht nicht. Wer in der Bundesliga bestehen will, muss Spiele auch gewinnen. Und dazu braucht es Tore. Ich finde: Der Weg stimmt, aber jetzt wird es Zeit, ihn zu vollenden. Und gleichzeitig wäre es fatal, in dieser Phase Vertragsgeschenke an Stefan Kuntz zu verteilen. Erst liefern – dann belohnen!

Der HSV befindet sich gerade auf einem schmalen Grat – und das fühlt sich ganz anders an, als es die Ergebnisse vermuten lassen. Fünf Spiele ohne Sieg, nur ein Punkt, dazu ein erneut bitteres 0:1 in Augsburg: Das alles liest sich nach Krise, es ist aber keine. Denn wer genauer hinschaut, erkennt, dass diese Mannschaft nicht stagniert, sondern sich entwickelt. Die Defensive, über Wochen, Monate und Jahre das größte Problem, ist inzwischen stabiler, kompakter und klarer strukturiert. Die Restverteidigung steht besser, die Räume zwischen Angriff und Absicherung werden disziplinierter bespielt, leichte Gegentore aus Umschaltsituationen passieren seltener. Es wirkt nicht mehr wie Zufall, wenn der HSV ein Spiel lange offen hält – es wirkt erarbeitet. Und das ist ein entscheidender Schritt in der Entwicklung dieses Teams.

Erst zu stabilisieren ist richtig – der nächste Schritt ist aber notwendig!

Aber Stabilität ist eben nur die Grundlage. Wer in der Bundesliga bestehen will, muss nicht nur verhindern, sondern entscheiden. Und genau hier hakt es. Offensiv entlastet sich der HSV noch zu selten selbst, die Wege sind da, aber die Konsequenz fehlt. Das Tempo über außen, die Läufe in die Tiefe, der Versuch, mit Dynamik hinter die Kette zu kommen – das alles ist gut angelegt, aber noch nicht sauber zu Ende gespielt. Es reicht nicht, Spiele offen zu halten, man muss sie gewinnen. Und gewinnen kann man nur, wenn man trifft. Der HSV hat die Balance zwischen defensiver Stabilität und offensivem Umschalten einerseits gefunden, andererseits muss er sie jetzt aber auch nutzen. Momentan verteidigt der HSV gut, ohne vorne gefährlich genug zu sein. Das ist kein Rückschritt, sondern der nächste notwendige Schritt.

Dass Namen wie Königsdörffer, Glatzel, Philippe und Dompé dabei in den Fokus geraten, ist logisch. Königsdörffer arbeitet brutal viel, ist schnell, geht permanent in die Tiefe, aber lässt zu viele klare Chancen liegen oder läuft zu früh los. Glatzel bringt Tiefe nur bedingt, ist aber ein anderer Stürmertyp und passt nicht immer in die aktuelle Ausrichtung. Philippe blitzt auf, Dompé bringt die höchste Umschaltspiel-Qualität mit, und Ramos ist ein wertvoller Impact-Joker, aber sicher kein Stürmer. Das ist alles nicht „schlecht“, aber es ist ein Hinweis darauf, dass diese Mannschaft offensiv noch nicht fertig ist. Und wenn man sich entscheidet, weiter auf Umschaltfußball zu setzen, muss man irgendwann entscheiden, ob das vorhandene Personal dafür reicht oder ob der nächste Schritt im Winter gemacht werden muss. Ich tendiere zu letzterem.

Polzin ist der richtige Trainer – aber die Entwicklung braucht Abschluss

Wichtig ist: Das hier ist kein Plädoyer für Aktionismus. Im Gegenteil. Es ist eine Aufforderung, eine Entwicklung konsequent zu Ende zu denken. Polzin geht diesen Weg klar, mutig, sachlich – und er ist der richtige Trainer für diese Phase. Er setzt nicht auf Parolen, sondern auf Inhalte. Er hat dem HSV Struktur gegeben, und diese Struktur hat Stabilität erzeugt. Jetzt muss daraus Souveränität werden. Und dafür braucht es Tore. Klingt einfach – ist es aber ganz sicher nicht.

Und genau deshalb ist der Zeitpunkt für eine andere Debatte gerade vollkommen falsch: die über eine vorzeitige Vertragsverlängerung mit Stefan Kuntz. Ich sage es deutlich: Eine Verlängerung jetzt wäre falsch – und sie wäre vor allem unnötig. Nicht, weil Kuntz keine gute Arbeit macht, sondern weil es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, den Prozess zu überspringen. Sein Vertrag verlängert sich automatisch, wenn der HSV die Klasse hält. Diese Klausel ist eine Leistungsprämisse – sie belohnt Erfolg. Wenn man nun vorzeitig verlängert, bevor dieser Erfolg überhaupt eingetreten ist, macht man diese Klausel nicht nur inhaltlich sinnlos, sondern wiederholt exakt die Fehler der vergangenen 20 Jahre: Verträge auf Hoffnung, statt auf Leistung. Kosten aus Emotion statt aus Rationalität. Belohnung vor dem Beweis.

Erst Ergebnisse liefern, dann belohnen

Hinzu kommt: Es gibt aktuell keinerlei Marktbewegung, die darauf hindeuten würde, dass Vereine Kuntz abwerben wollen. Es gibt kein Szenario, das Druck erzeugt. Ein frühzeitiger Vertrag wäre ein Geschenk ohne Anlass – genau das, was den HSV so oft teuer zu stehen kam. Wenn es wirklich der Anspruch des Vereins ist, professioneller und konsequenter zu werden, dann muss das Leistungsprinzip ganz oben beginnen. Erst liefern – dann verlängern. Nicht andersherum.

Unterm Strich ist der HSV sportlich auf dem richtigen Weg. Die Defensive steht, das System trägt, die Mannschaft ist stabiler und weiter, als viele erwartet haben. Aber diese Entwicklung braucht jetzt eine Bestätigung durch Ergebnisse. Durch Tore. Durch Siege. Nur dann wird aus Fortschritt Erfolg. Und nur dann darf man auch über Vertragserweiterungen als Belohnung sprechen. Wenn der HSV wirklich ein neuer HSV sein will, dann muss er die alten Reflexe ablegen. Nicht zu früh belohnen, nicht aus dem Bauch entscheiden, nicht wieder nach Gefühl handeln, sondern nach Leistung.

Dieser Weg stimmt – jetzt muss er sichtbar gemacht werden. Auf dem Platz. Und erst danach auf dem Papier.

Oder wie seht Ihr das?

0:1 beim FC Augsburg – HSV lässt erneut eine Chance liegen

0:1 beim FC Augsburg – HSV lässt erneut eine Chance liegen

Der HSV hat auch sein Auswärtsspiel in Augsburg verloren und steht nach dem 0:1 nicht nur ohne Punkte da, sondern erneut mit der unangenehmen Erkenntnis, dass man sich in eine Situation manövriert hat, die längst vermeidbar gewesen wäre. Die Hanseaten rutschen durch die Niederlage weiter in das Tabellenmittelfeld ab und werden zunehmend in Regionen gezogen, in denen sie vor der Saison realistisch erwartet wurden – obwohl man doch zwischendurch mehrfach die Gelegenheit hatte, sich frühzeitig von diesen Gefilden abzusetzen.

Verschlafener Beginn – HSV reagiert statt agiert

Schon in den ersten Minuten wurde deutlich, dass Augsburg an diesem Nachmittag entschlossener und wacher auftrat. Während die Gastgeber früh pressten, mutig angriffen und schnell in Strafraumnähe kamen, wirkte der HSV passiv, teilweise unorganisiert in der Restverteidigung und zu spät in den Zweikämpfen. Gleich mehrfach mussten die Hamburger durch starke Paraden von Daniel Heuer Fernandes einen frühen Rückstand verhindern. Ob Kade, Kömür oder Giannoulis – immer wieder tauchten die Augsburger gefährlich vor dem Tor auf, weil die Abstimmung im Hamburger Block fehlte und das Zentrum zu leicht geöffnet wurde.

In dieser Phase erinnerte vieles an die vergangenen Wochen: Wir waren im Spiel, aber eben nur mit 90 Prozent Präsenz – und genau diese fehlenden zehn Prozent machen auf Bundesliga-Niveau den Unterschied.

Ein vermeintlicher Treffer Augsburgs wurde wegen knappem Abseits zurückgenommen, ein erster Warnschuss. Doch statt diese Szene als Weckruf zu nutzen, blieb die Spielkontrolle weiter bei den Gastgebern.

Späteres Aufbäumen – aber ohne Konsequenz

Erst ab der 25. Minute stabilisierte sich der HSV, fand etwas besser in die Zweikämpfe und setzte erste Akzente nach vorne. Vor allem über schnelle Umschaltszenen ergaben sich Möglichkeiten, doch wie schon in den vergangenen Spielen fehlte es an letzter Präzision im Abschluss und an klaren Entscheidungen rund um den Strafraum.

Kurz vor der Pause hätte Hamburg sogar in Führung gehen können. Ein Fehler der Augsburger Abwehr sorgte für die beste Chance des ersten Durchgangs, doch erneut fehlte im Abschluss entweder die Genauigkeit oder das letzte Quäntchen Entschlossenheit. So ging es mit einem durchaus schmeichelhaften 0:0 in die Halbzeit – schmeichelhaft vor allem deshalb, weil Augsburg bis dahin das deutlich klarere Team war.

Und hier liegt der Kern der Enttäuschung: Der HSV hielt mit, ja – aber erst, als das Spiel bereits gegen ihn lief.

Nach der Pause stärker – und genau dann fällt das Gegentor

Der zweite Durchgang begann mit einer ganz anderen Körpersprache. Ballbesitz, Passquote, Zweikampfführung – vieles sah nun strukturierter und mutiger aus. Die Mannschaft arbeitete sich zunehmend ins Spiel, gewann Feldhoheit und erzwang Fehler im Augsburger Aufbau. Es war die stabilste Phase des HSV, jene Minuten, in denen man das Gefühl bekam: Jetzt kippt das Spiel zu unseren Gunsten. Und genau in diese Phase hinein fällt der Gegentreffer.

Ein Angriff über die linke Seite, ein Moment zu großer Distanz zum Gegner, ein schlecht verteidigter Laufweg – und Kade trifft per Direktabnahme zum 1:0. Es war eine der wenigen klaren Chancen Augsburgs nach der Pause, aber sie wurde genutzt. Und einmal mehr zeigte sich: Während wir Chancen brauchen, um uns in ein Spiel zu kämpfen, reicht dem Gegner oft eine einzige Situation, um uns zu bestrafen.

Dass Augsburg kurz darauf in Unterzahl geriet, änderte nichts. Der HSV konnte daraus kein Momentum entwickeln. Statt die numerische Überlegenheit zu nutzen, blieb das Offensivspiel zu harmlos, zu statisch, zu leicht auszurechnen. Keine zwingende Torchance mehr bis zum Abpfiff – und damit keine Argumente gegen die Niederlage.

Tabellarische Realität war erwartbar – aber sie war auch vermeidbar

Mit dieser Pleite rutscht der HSV weiter ab und befindet sich nun genau dort, wo viele Experten ihn vor Saisonbeginn eingeordnet hatten: im zähen, ergebnisabhängigen Tabellenmittelfeld, mit direktem Blick nach unten. Rein objektiv wäre das weder überraschend noch dramatisch – wäre da nicht die Erkenntnis, dass man schon mehrfach die Möglichkeit hatte, dieser Situation zu entkommen, aber die Punkte leichtfertig verschenkte.

Zu viele Spiele in den letzten Wochen liefen nach dem gleichen Muster: ordentliche Phasen, viel Ballbesitz, stabile Momente – aber ohne die Kaltschnäuzigkeit, die auf diesem Niveau den Unterschied macht. Der HSV hatte mehrfach den Fuß in der Tür zu besseren Tabellenregionen. Er hat es aber verpasst, auch hindurchzugehen.

Es wird nicht leichter…

Und die kommenden Aufgaben werden keineswegs leichter. Wer jetzt glaubt, die schwierigen Wochen seien überstanden, unterschätzt die Lage. Dieser Mannschaft reicht es nicht, „ordentlich mitzuhalten“. Sie muss konstant am Limit spielen, will sie sich nicht schnell in eine gefährliche Spirale aus Ergebnisdruck, Unsicherheit und Abstiegskampf ziehen lassen.

Wachsamkeit ist jetzt nicht nur gefordert – sie ist Pflicht. Nicht 90 Prozent. Nicht 95. Sondern 100 Prozent. In jedem Spiel. Von der ersten Minute an.

Denn nur dann wird der HSV Spiele wie dieses nicht mehr aus der Hand geben – und nur dann wird sich die Tabelle wieder so entwickeln, wie dieser Verein es verdient.

DIE EINZELBEWERTUNGEN:

Daniel Heuer Fernandes: Hätte er das 1:1 geköpft – was er hätte machen müssen -, wäre es eine 1 geworden. Aber auch so war er der einzige HSVer heute in Normalform und rettete zudem mehrfach stark. Note: 2

Giorgi Gocholeishvili (bis 86.): Sei Spiel ist will und voller Energie. Meistens ist das eine Hilfe, heute war es das nur sehr bedingt. Nach vorn gingen zu viele Aktionen verloren bzw. verpufften. Nach hinten ließ er zu viel zu und war beum gegentor nicht auf der Höhe.  Note: 4

Alexander Rössing-Lelsit (ab 86.): Was bitte sollte diese Einwechslung?? Ohne jede Auswirkung aufs Spiel.

Nicolas Capaldo (bis 86.): In der ersten Halbzeit oft zu weit weg vom Mann und mit fehlerhaftem Stellungsspiel. Aber wer so viel macht wie er, der macht eben auch mehr falsch als andere. Aber: Er macht auch viel richtig. Ließ über die rechte Seite im Verbund mit Gocholeishvili trotzdem zu viel zu. Note: 4

Guilherme Ramos (ab 86.): Schmiss sich wie gewohnt rein – leider auch einmal zu viel als er Lelesit den Ball vom Fuß nahm.

Luka Vuskovic: Heute wirkte er verhaltener und weniger dominant im Auftritt, was sich auf seine Nebenleute auswirkte. Note: 4

Jordan Torunarigha (bis 82.): Er ist der richtige Mann für Spiele, in denen der HSV sich weit in die eigene Hälfte zurückzieht und die Räume durchgehend sehr eng hält. Sobald er im Raum verteidigen muss, hat er Probleme. Note: 4

Robert Glatzel (ab 82.): Kam zu spät, hatte keinen Impact aufs Spiel.

Miro Muheim: Das war nichts. Schien ein arges Kraftproblem zu haben, das sich auch auf seine Konzentration auswirkte. Er ließ zwischendurch seine Gegenspieler einfach ziehen, setzte nicht nach und verschätzte sich beim einzigen Treffer des Spiels entscheidend. Note: 5

Albert-Sambi Lokonga (bis 86.): Er bringt immer wieder Ruhe ins Spiel, versucht auch immer wieder, das Spiel anzutreiben. Aber auch das gelang nur sehr bedingt. Note: 4

Nicolai Remberg: Gewohnt gut. Er räumte ab, sicherte ab und war da, wo er gebraucht wurde. Dass er das Spiel nach vorn nicht entscheidend ankurbeln konnte – okay. Er ist halt kein Spielgestalter. Seine Aufgaben indes löste er wetestgehend. Note: 3

Immanuel Pherai (ab 86.): Das Engagement und der Wille, noch etwas zu reißen, waren genau so groß, wie seine Pässe, Flanken und sogar Einwürfe ne Katastrophe waren. 

Fabio Vieira (bis 72.): Er kann am Ball so viel – aber er muss seine Fähigkeiten eben auch in entscheidende Szenen ummünzen. Und das gelingt ihm einfach nicht. Das ist unter dem, was man von ihm erwarten können muss.  Note: 4,5

Rayan Philippe (ab 72.): Ich weiß nicht, ob ich de einzige bin, der das so sieht, aber aus meiner Sicht ruft der Offensivmann gerade einmal 60 bis 70 Prozent dessen ab, was ich in ihm an Qualität vermute. Er wirkt komplett verhalten, verkrampft. Warum lässt er nicht einfach mal los und versucht alles? Ich verstehe es nicht… Note: 4

Jean-Luc Dompé: Wenn in der Offensive überhaupt etwas passierte, dann über ihn. Aber: Leider verzog er die Flanken und verpasste die Torabschlüsse. Note: 4
Ransford Königsdörffer: Er ackert, läuft, wurde viel gefoult und ließ sich nicht unterkriegen. Aber wenn man als Stürmer am Ende nur einen echten Torabschluss gegen den FC Augsburg hat, dann ist das zu wenig. Note: 4

DIE STATISTIK ZUM SPIEL:

FC Augsburg: Dahmen – Banks, Matsima, K. Schlotterbeck – Kade, Massengo (74. Rexhbecaj), Fellhauer, Giannoulis – Rieder (83. Zesiger), Claude-Maurice (64. Saad) – Kömür (64. Essende).

HSV: Heuer Fernandes – Gocholeishvili (82. Rössing-Lelesiit), Capaldo (86. Ramos), Vuskovic, Torunarigha (82. Glatzel), Muheim – Remberg, Sambi Lokonga (86. Pherai) – Vieira (72. Philippe), Königsdörffer, Dompé.

Tore: 0:1 Kade (77.).

Gelb-Rote Karte: Schlotterbeck (81.).

HSV in Augsburg: Balance gefunden – jetzt müssen Punkte her

HSV in Augsburg: Balance gefunden – jetzt müssen Punkte her

Es ist schon bemerkenswert, wie schnell sich Stimmungen im Fußball drehen können. Vier Spiele ohne Sieg, nur ein Punkt aus zwölf möglichen – und trotzdem wirkt beim HSV nichts nach Krise. Ganz im Gegenteil: Was in den vergangenen Wochen auf dem Platz zu sehen war, ist eher die Geschichte einer Mannschaft, die in der Bundesliga längst angekommen ist, nur eben noch nicht vollständig in der Tabelle. Beim mutigen 1:2 in Leipzig, beim unglücklichen 0:1 gegen Wolfsburg, beim chaotischen 1:4 in Köln mit zwei Platzverweisen und beim starken 1:1 gegen Dortmund war dabei vor allem eines erkennbar: Der HSV scheint eine neue Balance gefunden zu haben – aus defensiver Stabilität und effektivem Umschaltspiel. Polzin hat dem Aufsteiger eine Struktur gegeben, die nicht mehr nur auf Ballbesitz abzielt, sondern auf Kompaktheit, klare Restverteidigung und zielgerichtete Konter. Doch so vielversprechend diese Entwicklung taktisch klingt, sie muss sich erst noch dauerhaft beweisen. Gerade in Augsburg wird entscheidend sein, ob der HSV diese neue Balance nicht nur andeutet, sondern manifestiert – und aus guten Leistungen endlich wieder zählbare Punkte macht.

Und genau das macht diese Mannschaft in Augsburg gefährlich – trotz Ergebniskrise, trotz Auswärtsflaute vor dem Tor, trotz Verletzungssorgen. Denn während beim Gegner Sandro Wagner die Tabelle drückt und der Trainerstuhl im „November der Entlassungen“ wackeliger wirkt, ist Polzins Position beim HSV so stabil wie lange keine Trainerrolle mehr im Volkspark. Zu Recht, wie Sportvorstand Stefan Kuntz öffentlich herausstellte: Das Vertrauen, das man Polzin und seinem Trainerteam entgegengebracht hat, sei „mehr als berechtigt und auch bestätigt“ worden – nicht nur durch den Aufstieg, sondern vor allem durch Energie, Klarheit, Kommunikation und Entwicklung im Detail.

Polzin als Glücksgriff? Polzin als Glücksgriff!

Doch dieses Vertrauen hat eine Vorgeschichte – und genau hier liegt die vielleicht wichtigste Personalentscheidung der jüngeren HSV-Geschichte: Dass Polzin heute Cheftrainer ist, resultierte ursprünglich aus einer Absage von Stefan Kuntz’ Wunschtrainer Kwasniok. Soweit, so klar. Aber die sportliche Leitung musste umdenken – und setzte auf das damals noch weitgehend unerprobte Duo Polzin/Favé. Es war ein mutiger Schritt, einer, der nicht auf Erfahrung, sondern auf Kompetenz, Charakter und Teamspirit setzte. Und dieser Teamspirit ist heute einer der größten Wettbewerbsvorteile des HSV in dieser Liga. Polzin, Favé & Co. haben ein direktes Team-Umfeld geschaffen, in dem Spieler nicht verwaltet, sondern besser gemacht werden. Wo fehlende Erfahrung nicht versteckt, sondern kompensiert wird – durch Klarheit, analytische Tiefe, Teamgeist und Nähe des gesamten Trainerteams zur Mannschaft.

Auch personell zeigt sich, dass gerade jene Entscheidungen, die ursprünglich Plan B waren, sich zu echten Trümpfen entwickeln. Guilherme Ramos ist dafür das beste Beispiel: Ähnlich wie Polzin wäre auch Ramos längst nicht mehr da, wenn im Sommer alles nach Wunsch der sportlichen Leitung gelaufen wäre. Heute aber ist er ein Joker mit Impact. Wenn Ramos in der Schlussphase eingewechselt wird, dann nicht zum Warmlaufen, sondern mit klarer Mission: Führung verteidigen oder selbst Zielspieler ganz vorne sein. Kopfballstark, robust, mit Timing – ein Werkzeug, das Spiele drehen kann. Seine Rolle ist keine Resteverwertung, sondern ein strategisches Element, das dem HSV neue Dimensionen verleiht.

Sturmroulette mit Vieira als Überrschungsbeginner gegen den FCA?

Und dann ist da die Frage, wer Yussuf Poulsen in Augsburg ersetzen wird. Glatzel, Königsdörffer, Philippe – oder der zurückkehrende Fabio Vieira in einer false-nine-artigen Rolle? Polzin hat Optionen, und anders als in früheren HSV-Jahren wirken diese Alternativen nicht wie Notlösungen, sondern trotz der durchaus verwirrenden Transferphase wie ganz bewusst von Polzin entwickelte Bausteine in einem System, das die Defensive an erster Stelle und somit als Garant für den Klassenerhalt vorsieht. Und davon hat sich Polzin ebenso wenig abbringen lassen wie von der Einführung der Dreier-/Fünferkette.

Auf der anderen Seite steht ein Augsburg, das im Kellerduell Druck verspürt, dreimal in Folge verloren hat und defensiv anfällig bleibt. Wagner will „den HSV unbedingt überholen“, doch die Erwartungshaltung liegt klar bei seinem Team. Der HSV dagegen reist mit einer Mischung aus Trotz, Selbstvertrauen und Lernwillen. Noch fehlen die Ergebnisse – ja. Aber die Entwicklungsrichtung stimmt. Und wer aktuell gegen den HSV spielt, spielt nicht gegen einen Aufsteiger, der überleben will, sondern gegen ein Team, das sich seinen Platz in dieser Liga nehmen will.

Es mag November sein – der Monat, in dem traditionell die meisten Trainer fallen. Aber beim HSV steht einer, der gerade immer besser zu sich und seiner Idee findet. Ein Trainer, der fast auf den Tag genau ein Jahr im Amt ist. Einer, der nicht gesucht, aber dafür gefunden wurde. Das mag alles sehr zufällig passiert sein. dennoch ist genau das der Unterschied zwischen Plan A und richtig beim HSV.

In diesem Sinne, bis morgen liebe Leute! Dann mit einem Blog und dem Blitzfazit nach dem Auswärtsspiel beim angeschlagenen und dadurch gefährlichen FC Augsburg.

Scholle