Heute und morgen ist beim HSV trainingsfrei. Köpfe frei bekommen für das bevorstehende Spitzenspiel gegen Werder Bremen. Und bevor hier wieder die selbst ernannten Sport-Physiologen unter uns anfangen, über Wohlfühloase und konterkariertes Leistungsdenken zu schreiben, mal ein Ansatz, den ich schon seit einigen Wochen vertrete. So sehr ich auch ein großer Freund von Training bin – letztlich wird diese eine Einheit mehr oder weniger das Leistungsniveau an sich nicht entscheidend heben oder senken. Hierbei geht es mehr um den Kopf. Es geht darum, wie man die Mannschaft packt und ihre Motivation und ihr Leistungsdenken in der Spur hält. Und insbesondere was die mentale Verfassung betrifft, hat Tim Walter bislang ein sehr gutes Gespür für seine Mannschaft gehabt. Daher verdient er – so sicher ich das auch anders gehandhabt hätte – einfach das Vertrauen von außen. Und meines hat er.
Warum? Ganz einfach: In den letzten Jahren wurde immer wieder das Sprichwort mit Zuckerbrot und der Peitsche bemüht. Bei fast allen Trainern. Tim Walter hat diese Vorgehensweise für sich noch nicht beansprucht. Er macht es hier wie in so vielen anderen Dingen auch: Er spricht nicht über die Dinge – er macht sie. So, wie er es jetzt bei Moritz Heyer getan hat. Zur Erinnerung: Der ansonsten außergewöhnlich konstante Defensivallrounder hatte am Sonnabend einen mächtig gebrauchten Tag und wurde ausgewechselt. Ich hatte in der Halbzeit bei unserer Halbzeitanalyse noch gesagt, dass ich ihn nicht auswechseln würde, weil Heyer einer der wenigen Spieler ist, die sich in aller Regel auch aus dem tiefsten Schlamassel selbst herausziehen können und ich ihm deshalb vertrauen würde. Aber Walter machte es anders und bewies einmal mehr, weshalb er HSV-Trainer und ich HSV-Reporter bin: Denn er machte (fast) alles richtig und sorgte dafür, dass der HSV nach einer verschlafenen ersten Halbzeit in der zweiten Hälfte aufdrehte. Allein, ein zweites Tor fehlte….
Walter wechselte Heyer zwar aus, aber er tat damit sowohl dem eigenen Spiel als auch seinem Spieler einen Gefallen. Denn zuerst wurde das Spiel durch diesen (und die anderen beiden) Wechsel deutlich besser. Und zum zweiten redete der Trainer den Ausgewechselten nach dem Spiel so glaubhaft stark, indem er das machte, was ich bei anderen Trainern immer wieder vermisst habe: Er nahm alle in die Pflicht, um einen Spieler zu stützen – auch sich selbst. Zudem sagte er: „Mo ist ein sehr guter Spieler und ganz wichtig für unsere Mannschaft. Von daher ist das überhaupt gar kein Problem. Wir bauen ihn auf und er zieht sich selber auch noch da wieder raus, dann passt das wieder.“
Heyer selbst dürfte das als Kompliment auffassen – wenn er es richtig versteht. Und ich behaupte: Genau so macht man das, wenn man zu seinen Spielern steht. Und so stehen die Spieler dann auch zum Trainer. Und ich bin mir sicher, dass Heyer am kommenden Sonntag gegen Werder Bremen im Nordderby wieder von Beginn an auflaufen wird – und gut spielt.
Nicht ganz so sicher bin. Ich mir, wie der Trainer bei Giorgi Chakvetadze agieren wird. Den hatte er nach dem Sandhausen-Spiel zurecht gelobt, denn der Georgier brachte Schwung rein und deutete erneut an, wozu er fußballerisch in der Lage ist. Es war – so hatte ich es in der Einzelkritik beschrieben – ein nächster Schritt in die richtige Richtung. Und auch Walter ließ offen, ob das so schon für die Startelf reichen könnte. Und Sportchef Michael Mutzel lobte den offensiven Mittelfeldspieler: „Er hat gute Entscheidungen getroffen offensiv. Man sieht Tag für Tag und Woche für Woche, dass er besser in den Rhythmus kommt, dass er mehr Power kriegt. Er kann offensiv einfach immer was kreieren.“
So, wie es auch Faride Alidou konnte. Zumindest bis zur Winterpause. Seither kommt der junge Angreifer nicht mehr so zur Geltung, wie er und alle anderen sich das erhoffen. Und trotzdem lässt Walter seinen Worten Taten folgen und setzte unvermindert konsequent auf Alidou. Selbst wenn Walter Alidou jetzt am Sonntag gegen Werder nicht von Beginn an bringen würde, würde dieser ihm das nicht wirklich übelnehmen können. Denn Walter hat bewiesen, dass er Alidou vertraut. Und Alidou selbst weiß, dass dieser Trainer nur das Beste für ihn will. Wobei ich persönlich zwar gespannt darauf bin, Chakvetadze mal über einen längeren Zeitraum spielen zu sehen. Meine Frage des Tages daher an Euch:
Würdet Ihr Chakvetadze am kommenden Wochenende gegen Werder von Beginn an bringen?
Ich bin gespannt. Sehr gespannt sogar!In diesem Sinne, bis morgen. Da wird auch vom Senat entschieden, ob der HSV gegen den Karlsruher SC im DFB-Pokal (2. März) eine Ausnahmegenehmigung erhält. schon auf bis zu 25.000 Zuschauer setzen darf. Das hat Sportstaatsrat Christoph Holstein am Montag angekündigt. Es geht um die Frage, ob das Spiel am 2. März im Volksparkstadion trotz noch geltender Corona-Regeln bereits vor 25 000 Zuschauern stattfinden kann. Nach den Beschlüssen der letzten Ministerpräsidentenkonferenz wäre dies eigentlich erst ab dem 4. März möglich. Bis dahin sind in den Fußball-Arenen eigentlich nur 10 000 Zuschauer erlaubt. Im Senat gebe es „das aufrichtige Bemühen“, dem HSV mehr Zuschauer zu gestatten, sagte Holstein. Also: Daumen drücken…!
Nur 1:1 beim 15. – das war definitiv ein erster, sehr realistischer Vorgeschmack auf das, was jetzt noch auf den HSV kommt. Viele Zweikämpfe, wenig Raum, fast schon Manndeckung über das gesamte Feld – Fußball von Mannschaften, die unten in der Tabelle stehen sieht oft so aus. Und wenn die favorisierte Mannschaft nicht schnell genug umschaltet, dann passiert, was dem HSV heute in der ersten Halbzeit passiert ist: Dann liegt der HSV plötzlich zurück. Nimmt der HSV die Härte aber an und zieht trotzdem sein Spiel weiter auf, dann passiert, was in der zweiten Halbzeit passiert ist: Dann ist der HSV überlegen und trifft. Mit anderen Worten: Dieses Remis beim SV Sandhausen darf der HSV tatsächlich als Blaupause nehmen für die Wochen nach dem Nordderby am kommenden Wochenende. Mit allem, was gut war (2. Halbzeit) – aber auch alledem, was schwach war (1. Halbzeit).
Das Blitzfazit und die Bewertungen:
Daniel Heuer Fernandes: Spielte gut mit und war beim Gegentor machtlos. Note: 3
Heyer: Pennte – auch beim ersten Gegentor, als er Testroet den Weg zum Tor völlig frei ließ. So verteidigt man nicht im Sechzehner! Stand insgesamt heute oft falsch und wurde zurecht ausgewechselt. Note: 5
Gyamerah (ab 46.): Spielte mit. Wirklich viel mehr fällt mir nicht ein. Er lässt sich nicht hängen – absolut nicht. Aber er wirkt auch nicht besonders motiviert, sich als Einwechselspieler für mehr empfehlen zu wollen. Er wirkt ein bisschen so, als würde er alles austrudeln lassen, bevor er den HSV im Sommer verlässt. Note: 4
Schonlau: War in der ersten Halbzeit nicht gedankenschnell genug, sortierte nicht – und wachte erst mit Apfiff der ersten Halbzeit endlich auf, als er das erste Mal ordentlich im Zweikampf dazwischenhaute. Note: 4
Vuskovic: Irgendwann musste es ja mal passieren – leider war das heute. Nahm sich zweikamptechnisch seine Auszeit nehmen. Tat das leider heute in Sandhausen. Note: 4
Muheim: Beim 0:1 nicht auf der Höhe, danach zwar besser, aber nicht ganz so zielführend nach vorn. Defensiv war das auf seiner linken Seite nach dem 0:1 wieder sehr in Ordnung, deshalb liefen gefühlt zwei von drei Sandhausen-Angriffe über die rechte HSV-Seite. Ihm fehlt meiner Meinung nach aber noch die Klarheit in der Offensive. Note: 4
Meffert: Ungewohnt fahrig in den ersten 30 Minuten. Bekam weder in sein und dementsprechend auch nicht in das HSV-Spiel Ordnung, war immer wieder zu langsam. Das änderte sich mit Anpfiff zur zweiten Halbzeit komplett. Da war er wieder alte Meffert – das Gehirn des Spiels beim HSV. Schade ist nur, dass er so abschlussschwach ist. Denn gerade in Powerplay-Situationen wie heute bieten sich immer wieder gute Möglichkeiten, auch mal aus der zweiten Reihe abzuschließen – das aber vermeidet Meffert leider. Trotzdem für mich einer der wichtigsten Spieler im Team. Gut, dass er noch nicht seine 5. Gelbe gesehen hat und dementsprechend gegen Werder (27. Februar) dabei sein kann. Note: 3,5 Reis: Er musste von Anfang an mächtig einstecken – wehrte sich aber wenigstens. Den Kopfball in der 43. Minute, als er völlig frei zum Kopfball kommt, hätte er aber mindestens aufs Tor bringen müssen. Seine Auswechslung dürfte einer Verletzung geschuldet sein. Note: 3,5
Kinsombi (ab 46.): Bereitete gleich eine große Chance vor und hätte in der 50. Minute das 1:1 machen MÜSSEN. War aber von seiner ersten bis zur letzten Minute ein Aktivposten und bewies, dass er offensiv den Riecher für gefährliche Aktionen hat. Seine Qualitäten könnten gerade in der Schlussphase dieser Saison gegen tief stehende Teams noch sehr wertvoll werden. Hoffen wir mal, dass er weiter durchzieht. Heute war ein guter Beginn. Note: 2,5 Kittel: In solchen Spielen (ver)zweifelt man immer wieder mal an ihm. Er ist kein Zweikämpfer, das wissen wir. Aber wenn der Gegner mal mit Härte zu punkten versucht, muss man mehr Gegenwehr erwarten. Nur den schönen, finalen Pass spielen zu wollen ist in solchen Partien – und solche stehen dem HSV bis Saisonende fast ausschließlich bevor – nicht der richtige Weg. In der zweiten Halbzeit war er sofort körperlich und am Ball präsent, und dadurch wurde das Spiel des HSV sofort stärker. Sein Treffer zum 1:1 war ebenso verdient wie wichtig. Erste Halbzeit 4,5, zweite Halbzeit 2, das ergibt eine Note: 3
Jatta (bis 85.): Warum er so viel haderte, erschloss sich mir nicht. Sollte sich mehr auf sein Spiel konzentrieren, dann kann er helfen. Zumal dann, wenn er wie heute immer wieder gedoppelt wird. Note: 4,5
Wintzheimer (ab 85.): Das Spiel an sich war eigentlich wie auf ihn zugeschnitten. Er brachte nach seiner Einwechslung durchaus Schwung – aber hatte zu wenig Zeit für Zählbares. Note: 3
Glatzel: Hing ewig lange in der Luft, bekam kaum Bälle. Die Bälle, die er mal bekam, bekam er mit dem Rücken zum Tor und verlor sie zu oft. Nicht sein Spiel heute. Note: 4,5
Alidou: Ihm fehlt in der Rückrunde 2022 noch jeglicher Bezug zum Spiel. Zudem kam er zu Beginn der Partie mit der Härte und dem aggressiven Verteidigen der Sandhäuser nicht zurecht und prallte immer wieder einfach ab. Defensiv war er überfordert. Das war viel zu wenig. Dass er raus musste, war logisch. Note: 5
Chakvetadse: Er ist noch nicht da, wo ihn alle erhoffen. Aber: Das war sein nächster Schritt nach vorn. Durfte 45 Minuten ran und war nach einer kurzen Anlaufphase immer wieder auffällig. Hätte in der 84. Minute nach seinem schönen Solo treffen können/müssen. Aber: Der Georgier wird dem HSV helfen können, da er die Eins-gegen-Eins-Situationen beherrscht und besser wird. Note: 3
Was gegen Top-Teams klappt, soll gegen Außenseiter erst recht gelingen. Sagt sich so einfach. Und genau so will sich auch der HSV noch dichter den direkten Aufstiegsrängen annähern. Der Tabellendritte, der zuletzt gegen die Top-Teams St. Pauli (2:1), Darmstadt 98 (5:0) und 1. FC Heidenheim (2:0) überzeugt hat, peilt beim Tabellen-Fünfzehnten SV Sandhausen seinen vierten Sieg in Serie an. Dass der HSV-Auftritt in Sandhausen ein Selbstgänger wird, davon will Trainer Tim Walter aber naturgemäß nichts hören. Auch deshalb will er auch sein bestmögliches Team aufbieten. „Wenn man denkt, man kann jemanden schonen, dann geht das meist in die Hose“, sagte der 46-Jährige. „Für uns gilt immer dasselbe: Wir müssen immer Vollgas gehen.“
Dass der HSV bei den Hannoveranern (0:1) und beim Abstiegskandidaten Aue (1:1) seine schwächsten Saison-Auftritte hingelegt hat, ficht Walter nicht weiter an. „Wir machen uns darüber keine Eier, was war. Wir leben im Hier und Jetzt, wir bleiben bei uns und wollen unsere gute Entwicklung fortsetzen“, formulierte er einmal mehr einen seiner Lieblingssätze. Positiv sei, dass er mehr Personal zur Verfügung habe. Auch der Einsatz von Allrounder Moritz Heyer, der zuletzt wegen Knieprobleme pausiert hatte, ist nicht mehr fraglich. Damit steht die zuletzt bewährte Viererkette in Gänze zur Verfügung.
Es passt zu Walter, dass er nie über das klagt, was gerade nicht da ist. Auch bei Heyer hatte er es im Vorfeld, als dessen Einsatz noch fraglich war, simpel gehalten. „Ist er fit, fährt mit. Ist er nicht fit, bleibt er hier“). Und er nannte mit Jan Gyamerah und Josha Vagnoman (erstmals wieder im Kader) gleich doppelt Ersatz. „Wer bei uns im Kader ist, kann spielen.“ Auch Winterzugang Giorgi Chakwetadze sei schon eine Option. Der flinke Georgier kam bislang zu zwei Kurzeinsätzen und gefiel durch seine Ballgewandtheit. Ob der 22 Jahre alte Leihspieler auch ein Kandidat für die Startelf sein kann, wollte Walter nicht verraten. „Jeder, der trainiert, hat auch die Chance zu spielen“, meinte er.
So oder so, Ex-HSV-Profi Dennis Diekmeier verspricht seinen alten Kameraden einen heißen Tanz in der Kurpfalz: „Der HSV muss sich warm anziehen. Derzeit herrscht in Hamburg stürmisches Wetter. Und so wird es auch bei uns werden.“ Eine Warnung, die der HSV angesichts der Verfassung von Diekmeier und Co. (sieben Punkte aus den letzten drei Spielen) ernst nehmen wird. Sie wissen beim HSV, dass die Partie beim SVS am Sonnabend (13.30 Uhr, BWT-Stadion am Hardtwald), ein Abziehbild dessen wird, was den HSV für die restlichen Spiele (bis auf Werder am kommenden Spieltag) erwartet: Kampffußball gegen Teams, die sich vor allem physisch wehren und mehr reagieren als agieren. Oder anders formuliert: Für viele sind diese Spiele die eigentlich schwierigeren Spiele.
Ich persönlich habe Fußballspiele gegen vermeintlich schwächere Teams nie als schwerer empfunden, als die Partien gegen TOP-Teams. Ich hatte allerdings auch nie großartig Probleme, mich zu motivieren (es war eher andersrum). Und ich bin mir bei dieser HSV-Mannschaft fast sicher, dass sie diese Probleme auch nicht hat. Schon von Trainerseite her wird das gar nicht zugelassen. Dazu kommen noch Spieler wie Daniel Heuer Fernandes, Sebastian Schonlau, Mario Vuskovic, Jonas Meffert und Co., die sich auch beim Stand von 5:0 in Darmstadt für einen normalen, gewonnen Zweikampf gegenseitig gefeiert haben, als hätten sie in der allerletzten Sekunde des Champions-League-Finals gerade das Siegtor geschossen. Das mag für einige übertrieben wirken – aber solange es als Show nach außen nicht aufgesetzt ist, liebe ich sowas.
Zumindest bin ich gerade deshalb optimistisch, dass der HSV in dieser Saison sehr viel von dem anders macht, was man ihm in den letzten Jahren vorgeworfen hat. Reisetechnisch hatte der HSV Glück, dem Orkan „Ylenia“ noch entkommen zu sein. Gegen Nachmittag reiste die Mannschaft per Flieger nach Frankfurt, um von dort aus per Mannschaftsbus nach Sandhausen weiterzureisen. Ansonsten wäre eine lange Busfahrt die Alternative gewesen – und sicherlich auch zu verkraften. Oder wie es Trainer Tim Walter sagen würde: „Hebt der Flieger ab, fliegen wir. Hebt er nicht ab, fahren wir.“ Manchmal ist es eben so einfach.
Und genau so einfach wird es der Trainer intern auch mit den letzten Spielen halten. Weil er weiß, dass der Druck eh von Spiel zu Spiel wachsen wird, je näher man dem Saisonende kommt. Zumindest dann, wenn man bis zum Schluss oben dranbleibt. Seine Aussage, dass er nicht auf die Tabelle schaut und die Entwicklung über allem stünde, mag grundsätzlich ehrlich sein. Aber im weiteren Saisonverlauf – je näher man dem Saisonende und einem möglicherweise erreichbaren Ziel auch kommt – wird sich niemand beim HSV dem mehr entziehen können.
In Sandhausen geht es vor allem darum, gegen eine tieferstehende Mannschaft Mittel und Wege zu finden, Chancen zu kreieren. Es ist so etwas wie die Generalprobe für die Spiele nach dem Nordderby gegen Werder Bremen. Dabei wird es darauf ankommen, dass die Außenbahnspieler ihre Eins-gegen-Eins-Situationen gewinnen, um Räume zu schaffen. Es wird aber auch darum gehen, diese Räume dann effektiver zu nutzen. Jattas Flanken und letzte Pässe müssen genauer werden und auch der technisch starke Faride Alidou hat hier noch Luft nach oben. Dazu kommt, dass die zweite Reihe um Sonny Kittel ebenso wie die Außenverteidiger etwaige Freiräume nutzen, um sich vorn mit einzuschalten. Alles selbstverständlich, ohne die eigene Defensive zu vernachlässigen.
In diesem Fall kann man von Glück sprechen, dass die Spielweise von Tim Walter eh seit Saisonbeginn unverändert offensiv und auf Agieren ausgerichtet ist. Soll heißen: Eigentlich bleibt alles gleich. „Es gibt für uns keinen Unterschied zwischen den Spielen gegen die Topplatzierten und die in der Tabelle etwas tiefer rangierenden Mannschaften“, hatte Walter zuletzt immer wieder gesagt. So einfach kann es manchmal sein. Hoffen wir einfach mal, dass sich Walter und sein Team diese Lockerheit auch ins letzte Saisondrittel rüberretten. Beginnend morgen in Sandhausen…
Apropos: Meine Startelf sähe keine Veränderung zum Spiel gegen Heidenheim vor. Ich würde wieder wie folgt beginnen lassen: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kittel – Jatta, Glatzel, Alidou. Und Ihr? Wie würdet Ihr aufstellen?
In diesem Sinne, Euch allen einen möglichst heilen Sturmabend. Bis morgen! Da melde ich mich vor dem Spiel mit einem Live-Update via Instagram und komme nach dem Spiel mit den Spielerbewertungen sowie natürlich mit dem Blitzfazit zu Euch! Bis dahin!
Geschäftsbeziehungen zum HSV hatte Dr. Thomas Wüstefeld schon bevor er Anteile erwarb. Das war allen bekannt. Hier jetzt in den Vorgang mehr hineinzuinterpretieren wäre falsch. Und dennoch hat sich das Abendblatt heute in seinem zweiten Teil, der sich mit der Neubesetzung des Vorstandes befasst, diesem Thema gewidmet. Und bei genauerem Hinsehen machen die Kollegen das auch völlig zurecht, denn der Umgang mit Investoren ist ebenso zu hinterfragen wie der Umgang mit intern hochgelobten Kandidaten für den Finanzvorstand. Denn wenn es stimmt, dass letztlich nicht Wüstefeld überredet wurde, das Amt zu übernehmen, wie es offiziell erklärt wurde, sondern sich selbst anstelle des von wirklich ALLEN Seiten zuvor hochgelobten Finanzdirektors Dr. Eric Huwer eingesetzt hat, dann sind wir wieder genau dort, wo der HSV nicht mehr hinwollte: Bei Machtschieberei und falschen Eitelkeiten.
So soll dem Artikel nach Dr. Thomas Wüstefeld erst den möglichen Vertrag mit Huwer, der von der Mehrheit des Aufsichtsrates als geeigneter Kandidat anerkannt war, ausverhandelt haben. Huwer soll demnach einen kleinen vierstelligen Betrag Gehaltserhöhung angefragt hatte. Intern sollen dagegen deutliche höhere Zahlen als Huwers Gehaltswunsch im entscheidenden Gremium lanciert worden sein – was wiederum Huwer übel aufgestoßen, so meine Kollegen Kai Schiller und Henrik Jacobs. „Der bisherige Direktor soll um eine geringe vierstellige Summe pro Monat als Gehaltserhöhung gebeten haben, wodurch er trotzdem einer der am schlechtesten bezahlten Vorstände beim HSV in den vergangenen 20 Jahren gewesen wäre“ heißt es in dem Artikel, was das gesamte Vorgehen noch unverständlicher macht.
Vor allem, wenn man den Hintergrund beachtet, dass es bei allem Handeln innerhalb des HSV derzeit primär darum geht, die unmittelbar bevorstehende Lizenzierung zu sichern. In diesem Zusammenhang gilt Huwer als DER absolute Fachmann. Vor allem, da niemand die Zahlen des HSV besser kennt als er. Zudem kennt Huwer die Lizenzierungsprozesse aus den Erfahrungen der letzten acht Jahre hautnah. Denn seit 2014 hatte er Wettstein assistiert, seit 2016 ist er Finanzdirektor des HSV. Und da es wirklich weder im Aufsichtsrat noch im Vorstand irgendjemanden gibt, der Huwer nicht für dessen Kompetenzen lobt, drängt sich hier die Frage auf, weshalb Wüstefeld sich selbst als geeigneter erachtet als den Mann, der alle Abläufe rund um die Lizenz aus dem Effeff kennt.
„Es steht ja außer Frage, dass ich verschiedene Perspektiven einnehme: Ich bin Fan des Hamburger SV, genauso wie Gesellschafter der Fußball AG und aktuell auch kommissarischer Vorstand. Bei allen Perspektiven stehen der Erfolg des Clubs und der Wunsch nach der Weiterentwicklung des HSV im Mittelpunkt.“ Das sagt Wüstefeld selbst auf Nachfrage der Kollegen. Und damit sagt er viel – aber er beantwortet natürlich die entscheidende Frage nicht: Warum er und nicht Huwer? Meine Vermutung: Weil Wüstefeld den HSV einmal komplett auf links drehen will. Denn hier wiederum gilt der neue HSV-Anteilseigner und -Vorstand als bestens geeignet: als knallharter Sanierer. Dass sich der HSV weiterhin diesen Festkostenapparat der letzten Jahre leisten wird, gilt unter Wüstefeld als ausgeschlossen. Was das für die Gemütslage der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bedeutet, dürfte sich jeder vorstellen können.
https://youtu.be/4sTGQKRe3KQ
Gegangen wurde bereits der Marketing-Direktor Philipp Mokrohs, der seit seinem Amtsantritt fast durchgängig in der Kritik stand. Sein Nachfolger sollte dem Abendblatt nach Markus Frömming werden, der dies aber bei den Kollegen ebenso dementierte. Schon bei seinem Einzug in den Aufsichtsrat gab es dahingehende Gerüchte um Frömming. Damals hieß es, Jansen plane sich als Vorstandsboss und Frömming als Marketingvorstand ein. Beide dementierten das mir gegenüber vehement und betonten, dafür nicht zur Verfügung zu stehen. So, wie Frömming es heuer offenbar dem HA gegenüber wiederholt hat. Was solche Dementi beim HSV wert sind, beantwortet das Abendblatt selbst im nächsten Satz: „Das Abendblatt bleibt aber auch bei seiner Darstellung, dass parallel zu den Auflösungsgesprächen mit Wettstein bereits konkrete Gespräche über Gehalt und eine mögliche Präsentation für Frömming und Huwer geführt worden sind.“
Am Ende ist es beim HSV leider nie geräuschlos. In jedem Neuanfang tauchen immer wieder auch ungewöhnliche Verquickungen von Ehrenamt und Geschäftsverbindung sowie Interessenskonflikte auf, die die Verantwortlichen angreifbar machen. In diesem Fall wird es sicher nicht bei dem bleiben, was das Abendblatt berichtet hat. Dafür gibt es einfach schon wieder viel zu viele Unzufriedene und mögliche Quellen für Interna. Und die werden sich ebenso weiterhin äußern, wie sich Jansen, Wüstefeld und Co. erklären werden müssen. Wozu das wiederum führt, wissen wir alle. Mein Vorschlag: Der HSV sollte sich einen oder zwei übergeordnete und in allen Belangen unabhängige Compliance-Beauftragte leisten. Anders wird es in diesem Klub nie einen echten Neuanfang mit unanfechtbaren Verantwortlichen geben können. Oder anders formuliert: So wie jetzt wird der HSV für alle immer wieder zu leicht zu missbrauchen sein.
Alles andere als leicht wird es am Sonnabend in Sandhausen. „Wir treten immer mit breiter Brust auf“, sagte Trainer Tim Walter heute zwar. Allerdings warnte der Coach des Tabellendritten davor, den gastgebenden 15. zu unterschätzen. Schließlich hätten die Sandhäuser von ihren vergangenen fünf Spielen drei gewonnen und lediglich eines verloren, so Walter. Lediglich beim 0:3 gegen Jahn Regensburg hatten die Kurpfälzer Gegentore kassiert. „Wir müssen uns davon freimachen, nur die Tabelle zu betrachten.“
Ein Fragezeichen steht noch hinter dem Einsatz von Moritz Heyer. Der 26 Jahre alte Abwehr- und Mittelfeldspieler hatte sich im Training leicht am Knie verletzt. Sollte Heyer ausfallen, liefe er zumindest keine Gefahr, sich vor dem Nordderby gegen Werder Bremen noch die fünfte Gelbe einzuhandeln. Gleiches Schicksal droht übrigens meinem MVP der bisherigen HSV-Saison, Jonas Meffert. Letztgenannter ist allerdings fit und wird spielen.
Und auch ansonsten sind alle Spieler einsatzbereit. Selbst Josha Vagnoman (21) sei nach seiner Muskelverletzung wieder eine Option, betonte Walter, der über Winter-Zugang Giorgi Chakwetadze sagte, dass dieser noch Zeit bräuchte. Unmittelbar danach fügte Walter aber auch an: „Jeder, der trainiert, hat die Chance, von Beginn an zu spielen.“ Ob Walter in Sandhausen schon mit Blick auf das schwere Nordderby gegen Werder Bremen aufstellt? Defintiv nicht, sagt der Coach selbst. „Unsere Marschroute war, ist und bleibt Vollgas. Wir tun gut daran, dass immer zu beherzigen.“
Moritz Heyer fehlte heute im Training. Zunächst am Vormittag mit der Ansage, dass er eventuell schon am Nachmittag wieder dabei sein kann. Das allerdings war der Defensivallrounder mit den Offensivqualitäten nicht. Grund dafür ist eine Blessur, die er sich bereits am Dienstag im Training zugezogen hatte. Ohne gegnerische Einwirkung. Dennoch soll Heyer bis Sonnabend pünktlich fit werden und spielen können. Dafür war Bakery Jatta wieder voll im Training integriert, ebenso wie Josha Vagnoman, dessen Kader-Comeback eigentlich zum Nordderby gegen Werder Bremen am 27. Februar geplant war. Der aber eventuell schon am Sonnabend in Sandhausen dabei sein kann. „Wir müssen abwarten, wie es sich die Woche bei ihm entwickelt“, so Trainer Tim Walter. So viel zum sportlich Tagesaktuellen.
Rund um die Gremien hat das Hamburger Abendblatt heute mit seinem Artikel „Die Wahrheit über die Kühne-Anteile“ eine Diskussion angestoßen. Dabei geht es um die von Klaus Michael Kühne verkauften Anteile. Diese hatte der inzwischen zum Vorstand berufene Dr. Thomas Wüstefeld erworben, laut Abendblatt für 14 Millionen Euro. Zuvor hatte es aber, und das ist der eigentliche Kern der Geschichte meines Kollegen Kai Schiller, Verhandlungen gegeben mit weiteren Interessenten, die aus verschiedenen Gründen gescheitert sind.
Bei einem der zwei Verhandlungen soll es klubintern im Aufsichtsrat zu Verstimmungen gekommen sein, weil die Fraktion um Marcell Jansen und Kühne-Abgesandten Markus Frömming die Nachverhandlungen vom inzwischen freigestellten Vorstand Frank Wettstein als einen der Gründe ausgemacht hatte, weshalb letztlich der Deal – die Rede war von 30 Millionen Euro für Anteile und Medienrechte – scheiterte. Die andere Fraktion um die inzwischen aus dem Kontrollrat ausgeschiedenen Michael Krall und Felix Goedhardt hielt Wettsteins Nachverhandlungen für hilfreich. Das wiederum lässt das Ausscheiden von Goedhardt, Krall und Wettstein) in einem anderen Licht erscheinen, als zuletzt verkündet wurde. Und vor allem wirft der Abendblatt-Artikel die Frage auf, inwieweit die hier Beteiligten – insbesondere Frömming, der für den Kühne-Anteilsverkauf an Wüstefeld eine sechsstellige Prämie erhalten haben soll – ohne eigene Interessen im Sinne des HSV gehandelt haben. Aber dazu in den nächsten Tagen mehr. Denn dieses Thema ist sehr wohl noch deutlich vielschichtiger, als es der Abendblatt-Artikel eh schon suggeriert.
Heute hat stattdessen der Bundeskanzler gesprochen. Und er hatte gute Nachrichten. „Wir befinden uns an einem besonderen Tag der Pandemie, wir können zuversichtlicher nach vorne schauen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz: „Wenn alles so bleibt, werden wir in den nächsten Wochen eine stetig verbesserte Situation haben.“ Ab dem 4. März soll eine maximale Auslastung von 60 Prozent (maximal 25.000 Zuschauer) erlaubt sein. Und ab dem 20. März entfallen sogar „alle tiefergreifenden Schutzmaßnahmen“, dann sollen auch volle Arenen möglich sein. Allerdings: „Wir werden Basisschutzmaßnahmen als Handlungsmöglichkeit aufrechterhalten, aber nicht als Standard. Wir werden es wagen, das meiste zu öffnen. Aber wir brauchen die Möglichkeit zu handeln, wenn etwas passiert.“
Der HSV hofft indes, schon eine vorzeitige Freigabe für bis zu 25.000 Zuschauer zu erreichen, da man in der Woche vor der geplanten Öffnung mit Werde Bremen (27. Februar) und am 2. März im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen den Karlsruher SC zuhause antritt. Dazu spricht Vorstand Wüstefeld derzeit mit der Stadt Hamburg, die letztlich autark entscheiden könnte. Angesichts der bislang sehr regierungsnahen Vorgehensweise der Stadt Hamburg erscheint eine Sonderregelung für den HSV nicht allzu wahrscheinlich. Daher versucht der HSV mit einem besonderen Hygienekonzept zu punkten. Ergebnis offen.
Offen ist und bleibt auch erst einmal, wie der HSV in den Spielen gegen die vermeintlich Schwächeren der Liga auftritt. Und dabei sind alle ab Tabellenplatz sieben abwärts gemeint. Denn der HSV hat nach dem Spitzenspiel gegen Werder Bremen in anderthalb Wochen nur noch Gegner aus dem zweiten und dritten Drittel der Tabelle vor der Brust. Wobei ich das „nur noch“ bitte nicht falsch verstanden wissen will.
Denn diese Spieler können durchaus schwieriger werden als offen geführte Partien gegen Teams auf Augenhöhe. Dafür muss man sich nur die Hinrunde ansehen. Es wird der nächste Entwicklungsschritt sein, den der HSV gehen muss, wenn er am Ende erfolgreich sein will. Es wird entscheidend sein, wie der HSV gegen tief stehende Gegner agiert. Und das wird schon am Sonnabend das erste Mal der Fall sein. Sandhausen ist sowas wie die Generalprobe für die letzten zehn Partien (alle nach dem Werder-Derby).
Ich wurde heute im Communitytalk gefragt, ob der Spielplan dem HSV in die Karten spielen würde. Und ich konnte die Frage nur bedingt beantworten. Denn Partien gegen nominell schwächere Teams sind in aller Regel kein Nachteil. Aber das eben auch nur, wenn man eine Idee hat, wie man seine spielerische Überlegenheit umsetzt. Gegen tieferstehende Mannschaften erfordert das ein hohes Maß an offensiver Kreativität. Und vor allem ein höchstes Maß an defensiver Disziplin, da tief stehende Teams gern dazu verleiten, die eigene Defensive ein wenig zu lockern und sich als Defensivspieler offensiv mit einzubringen. Was mich in diesem Bereich hoffen lässt: Der HSV hat sich bislang noch nicht auskontern lassen und spielt mit Schonlau und Vuskovic defensiver als noch zu Saisonbeginn. Und sollte der HSV die Ergebnisse der Hinrunde von jetzt an wiederholen können, käme man am Ende auf 63 Punkte bei einem Torverhältnis von 63:30. Das wiederum klingt sehr nach Aufstieg angesichts der bislang so ausgeglichenen Liga.
Aber auch hier gilt: Bitte glaubt nicht, dass ich sowas als Maßstab nehme. Ich wollte damit nur mit bereits Geschehenem aufzeigen, dass dieser HSV sehr wohl das Zeug hat, (ganz) oben zu landen. Ich behaupte sogar, dass der HSV von heute ohne schwerwiegende Ausfälle stärker und stabiler ist als noch in der Hinrunde. Dementgegen steht, dass die Gegner den HSV vielfach studieren konnten und somit Überraschungseffekte schwieriger werden. Aber: Angesichts des „Harakiri-Fußballs von Tim Walter“ (Zitat Friedhelm Funkel heute in der SportBild) ist der HSV schwieriger auszurechnen als andere Teams.
So viel zur Theorie. Praktisch wird es darauf ankommen, dass der HSV defensiv weiterhin so stabil und offensiv weiterhin so effektiv wie in den letzten fünf Partien auftritt. Aber dazu morgen an dieser Stelle mehr. Dann auch mit O-Tönen vom Cheftrainer, der uns morgen per Video-Pressekonferenz zugeschaltet wird.
Ich hatte es vor einiger Zeit schon angekündigt: Immer wieder werde ich aus meiner Sicht spannende Posts aus dem Forum zum Anlass nehmen, sie hier einmal schriftlich zu diskutieren. Heute habe ich einen Beitrag des Users „Abraeumer“ zum Anlass genommen, ihn hier einmal etwas ausführlicher zu diskutieren. Abraeumers Zeilen sind hierbei die fett gedruckten, meine Antworten die in normaler Schriftstärke. Aber lest selbst:
Ich habe mich gefreut über den Sieg. Das Spiel selbst fand ich hingegen nicht gut. Gegen Darmstadt war es ein grandioser Sieg. Gegen Heidenheim hatten wir viel Glück. Für mich war Heidenheim ein Rückfall in alte Zeiten.
In dieser Einschätzung liegen wir sehr weit auseinander. Denn das Spiel des HSV war nicht so dominant wie gegen Darmstadt – aber das vor allem auch, weil Heidenheim mehr machte. Darmstadt war früh geschockt und hat sich nie wirklich gewehrt. Heidenheim war genau das Gegenteil. In alten Zeiten hätte der HSV dieses Spiel nicht gewonnen, sondern sich irgendwann Mitte der zweiten Hälfte aufgegeben. Dass man dieses Spiel durchaus glücklich gewonnen hat – okay. Glück ist bei engen Spielen immer dabei. Aber es war für mich „erarbeitetes Glück“, weil diese Mannschaft eben nicht aufhört, ehe der Schiedsrichter auch wirklich abgepfiffen hat.
Ich finde vieles sehr gut, was Walter macht. Ich schätze die Viererkette, ich mag es, wenn junge Talente eine Chance bekommen. Ich habe auch das Gefühl, dass die Mannschaft das System schätzt und sich nicht wie in der vorherigen Saison vorzeitig aufgibt. Ich schätze auch das Ballbesitzspiel, wenn es nicht horizontal TikiTaka-mäßig, sondern schnell vertikal gespielt wird. Aber ich sehe entgegen der heutigen Ausführungen von Scholle immer noch eine Beratungsresistenz bei Walter. Ich will nicht das Haar in der Suppe suchen, aber im Erfolg werden oft die meisten Fehler gemacht.
Entgegen meiner Ausführungen? Siehst Du denn keinen Unterschied zwischen den ersten 11 – 13 Partien gegenüber dem aktuellen Spiel beim HSV? Allein bei den Innenverteidigern, die zu Saisonbeginn immer wieder mit nach vorn gingen und sich rund um den gegnerischen Sechzehner einbrachten, ist für mich eine deutlich defensiver orientierte Taktik zu erkennen. Es stimmt, dass sich Vuskovic gegen den FCH ungewohnt oft offensiv eingebracht hat. Und Positionswechsel sind beim HSV auch immer noch Trumpf – aber die Verteidiger verteidigen zuallererst, das Mittelfeld ist primär Bindeglied nach vorn und Abfangjäger nach hinten – während die Offensivkräfte vorn wirbeln. Zusammenmit einem völlig frei agierenden Sonny Kittel, der so stark spielt wie noch nie. In diesem Bereich hat Walter das eigene Spiel seinerzeit wegen der vielen Umstellungen umgestellt – und inzwischen hat er eingesehen, dass es so besser funktioniert. Ich nenne das mal diplomatisch „erzwungene Einsicht“. Aber ich stimme Dir gern zu, dass das nicht bedeutet, dass Walter seine Beratungsresistenz abgelegt hat.
Wir haben die wenigsten Gegentore in der 2. Liga. Aber ich denke nicht, dass wir eine sehr gute Abwehr haben. Wir haben auch gegen Heidenheim einfach Glück gehabt, dass die Gegner das Klein-Klein-Spiel im eigenen Strafraum bisher nicht ausgenutzt haben. Es wird das Spiel kommen, bei dem wir 2:0 in Rückstand geraten, nur weil wir auch brenzlige Situationen im eigenen Strafraum spielerisch lösen wollen. Ducksch und Füllkrug werden diese Chancen nutzen.
Heyer auf rechts, Schonlau und Vuskovic im Zentrum und Muheim links sind für mich die beste Viererkette der Liga. Aktuell spielen sie sogar deutlich stärker als mit Leibold und Gyamerah zu Saisonbeginn. Zusammen mit Heuer Fernandes verleiht diese Viererkette der Mannschaft zumindest die Sicherheit, dass auch ein einziger Treffer vorn schon zum Sieg reichen kann. Und dieses Selbstvertrauen ist extrem viel wert. Das sollte man nicht unterschätzen. Dass der HSV aus Deiner Sicht noch immer zu waghalsig hinten spielt und bislang (übrigens auch in Dresden) dadurch immer wieder Chancen für den Gegner produziert – 100 Prozent Zustimmung! Noch immer gibt es Momente, die gezwungen wirken, nicht vernünftig. Im Ergebnis mag das Walter recht geben, aber das kann sich schnell ändern.
Auch lassen wir allgemein noch zu viele Chancen zu. Insbesondere rechts hinten haben wir Probleme. Heyer ist, auch wenn ich seine Flexibilität schätze, für mich kein RV. Er hat ein Tempodefizit (nebenbei sind offensiv auch seine Flanken schlecht). Es ist mir auch unverständlich, dass Vuskovic in der Drangphase der Heidenheimer Ausflüge in die gegnerische Hälfte unternommen hat. Gleichzeitig verteidigt Kittel am eigenen Strafraum. Für mich ist das eine verkehrte Welt.
Heyer spielt die RV-Position stärker als alle Rechtsverteidiger der letzten zehn Jahre, behaupte ich. Er hat defensiv die Qualität, stark antizipieren zu können. Als gelernter Innenverteidiger ist die rechte Seite – zumal dann, wenn er diese mit Jatta teilt – nicht anfällig. Und offensiv ist er für mich einer der zielstrebigeren Spieler. Es gab zumindest in den letzten Jahren keinen Rechtsverteidiger, der auch nur im Ansatz so viele Torszenen (und Tore erzielt!) hat.
Auffällig war für mich auch die Zweikampfschwäche von Meffert, was eigentlich seine Stärke ist. Auch seine horizontalen Sicherheitspässe stören mich. Den Pass von Glatzel, bei dem viele Gegenspieler überspielt wurden (in der neuen Fußballsprache „Packing“), fand ich hingegen genial. Aber genau diese Pässe müssten eigentlich aus dem DM kommen. Ein Mittelstürmer muss sich nicht in die eigene Hälfte fallen lassen, um einen solchen Pass zu spielen, denn er soll eigentlich einen solchen Pass erhalten. Bezüglich des DM hat Hoogma nach dem Spiel gegen Heidenheim völlig richtig angemerkt, dass Reis ein 6er ist, er aber auf der 8 spielen muss.
Hier würde ich Dir widersprechen wollen. Jonas Meffert ist für die Statik des HSV-Spiels neben den Innenverteidigern der entscheidende Mann. Bei Meffert fehlt auch mir ein wenig das Offensivspiel, also der Pass nach vorn. Aber das ist nicht seins und er beschränkt sich in aller Regel zu 100 Prozent auf seine Kernkompetenz. Und damit sortiert er das gesamte HSV-Spiel. Er bringt Ruhe rein, wenn es hektisch wird, er läuft entscheidende Räume zu, wenn seine Kollegen fehlen oder überspielt wurden. Meffert gewinnt immer wieder sehr offen entscheidende Zweikämpfe und ist aus meiner Sicht der Bauherr des aktuellen Erfolges. Zusammen mit dem stabilen Fundament der Abwehr.
Bei Glatzel bin ich bei Dir, dass es meist ein Zeichen dafür ist, dass es nicht so gut läuft, wenn sich Glatzel an der Mittellinie oder gar in der eigenen Hälfte den Ball holen muss. Aber: Das HSV-Spiel ist so aufgebaut, dass sich Glatzel zurückzieht, wenn er vorn zugestellt wird, da er so seine Gegenspieler mitzieht und den Außen Räume eröffnet. Die müssen selbige nur noch deutlich häufiger nutzen, dann wird das auch auffälliger. Und Ludovit Reis ist von allen Mittelfeldspielern derjenige, der am meisten Sechs mit am meisten Acht vereint. Denn er kann zweifellos beides. Lange Zeit hat er beim HSV nur abgeräumt und den Ball schnell weitergegeben, um sich nicht offensiv mit einbringen zu müssen. Das wiederum hat sich kurz vor der Winterpause geändert – und seitdem spielt Reis deutlich mutiger nach vorn und ist so stark und so effektiv wie nie zuvor beim HSV. Wenn Hoogma ihn auf der Sechs stärker sieht, will ich ihm gar nicht widersprechen. Aber da auf der Sechs mit Meffert ein sehr starker Spieler steht, setzt Walter auf Reis‘ andere Qualitäten, um ihn auf dem Platz zu haben. Denn eines ist klar: Auf die Bank gehört Reis nicht. Der Niederländer entwickelt zudem noch Qualitäten, die er vorher nicht so vordergründig präsentiert hat. Und vor allem: Reis ist im Ganzen immer stärker als ein offensiv ausgerichteter David Kinsombi.
Hinsichtlich des Aufstiegs bleibe ich skeptisch. St. Pauli wird mit Kyereh wieder besser spielen und auch der wichtige, aber unterschätzte Aremu wird zurückkehren. Bremens Kader ist aus meiner Sicht besser. Auch Schalkes Kader finde ich besser, sie scheitern nur an ihrem Trainer, der z. B. Bülter als RV aufstellt. Und Darmstadt und Heidenheim sind auch noch vorn dabei.
Skepsis würde ich es nicht nennen, aber ich bin bei Dir, dass ein Aufstieg alles andere als selbstverständlich wird, da ich St. Pauli sehr stabil sehe (insbesondere mit Kyereh), Werder einfach aktuell das aus dem Kader rausholt, was sie gegenüber dem HSV mehr haben. Und auch Schalke müsste angesichts des Kaders den Anspruch haben, vor dem HSV zu stehen, aber genau wie Du es sagst: Wenn ein Trainer aus einer defensiven Grundordnung einen Kader mit den besten Offensivspielern der Liga zusammengestellt bekommt (oder selbst zusammengestellt hat), dann passt das nicht. Ich weiß auch aus sicherer Quelle, dass auf Schalke die Diskussion um die Personalie Grammozis ununterbrochen geführt wird. Das wiederum kann am End genau die paar Prozentpunkte Fokus kosten, die den HSV vor den Schalkern landen lässt. Hoffe ich zumindest.
Insgesamt ist vieles gut, aber vieles müsste für einen Aufstieg verbessert werden. Walter hat am Anfang der Hinrunde mit nur drei Offensiven wenig Mut bewiesen und so haben wir viele Punkte liegen gelassen. Auch ist unser Kader auf einigen Positionen weiterhin nicht gut besetzt. Leider hat Boldt auch die Winterpause nicht genutzt, um einen ausgeglichenen Kader zusammenzustellen.
Den Satz „vieles ist schon sehr gut – aber sehr vieles eben auch noch nicht gut genug“ habe ich in der Hinrunde von Horst Hrubesch als Antwort darauf bekommen, wie er die Entwicklung beim HSV unter Walter sieht. Wobei ich diese Hrubesch-Aussage als pauschal immer gültig bezeichnen würde. Für alle Mannschaften. Denn die Entwicklung endet nie, die Mannschaften verändern sich ständig und dementsprechend auch die Möglichkeiten bzw. Bedürfnisse. Walter macht es aus meiner Sicht aktuell sehr gut. Er holt aus dem Kader nahezu das Maximum heraus und installiert dazu die jungen Talente des Klubs auf Profiebene. Walter hat in der kurzen Zeit, die er hier ist, mehr entwickelt als viele seiner Vorgänger zusammen. Und das hat dazu geführt, dass der HSV aus meiner Sicht sehr wohl auf allen Positionen gut besetzt ist. Vor allem aber hat Walter es geschafft, ein Team zu formen, das im Kollektiv besser funktioniert als die deutlich hochrangiger besetzten Zweitligateams des HSV zuvor. Den Umstand, dass man im Winter bis auf Giorgi Chakvetadze nicht nachgebessert hat, sehe ich auch durchaus kritisch. Aber nicht, weil der aktuelle Kader qualitativ nicht reicht, sondern weil das Risiko mitschwingt, dass Verletzungen Lücken reißen. Im Umkehrschluss sehe ich die Mannschaft auf diese (finanziell erzwungene) Weise noch ein Stück weit enger zusammengerückt, weil eben wirklich alle Spieler wichtig sind und sich schneller als Stammspieler wiederfinden könnten, als wenn man im Winter noch mal drei, vier Neue geholt hätte. Jonas Boldt, Michael Mutzel und Co. haben im Sommer einen Kader zusammengestellt, der nominell nicht so stark ist wie die der letzten Jahre. Aber dieser Kader ist derart homogen, dass Walter eine Stimmung und einen Zusammenhalt erzeugen konnte, die diese Mannschaft aktuell trägt. Auch deshalb gewinnt der HSV aktuell Spiele, die eng sind. So, wie das gegen den starken 1. FC Heidenheim. Das war in den letzten Jahren zumeist anders. Und genau das lässt mich weiter hoffen.
In diesem Sinne, lieber Abraeumer, vielen Dank für Deinen (wie eigentlich immer) sehr gehaltvollen Post, der nicht nur mich zum Diskutieren angeregt hat. Ich kann tatsächlich alle Deine Ansätze nachvollziehen. Und auch wenn ich hier und da anderer Meinung bin, sind genau solche Beiträge das, was ich mir im Kommentarbereich wünsche. Meinungen, Thesen und Prognosen, die andere zum Diskutieren anregen. Denn gerade aus solchen Diskussionen erwachsen oft die Einsichten, die einen schlauer machen.
Danke dafür, Abrauemer!
Scholle
P.S.:Sportlich gibt’s es heute nur den vorläufigen Ausfall von Bakery Jatta, der wegen einiger blauer Zehen, die er als Blessuren aus dem Heidenheim-Spiel mitgebracht hat, geschont wurde. Oder wie es im Fußballer-Neudeutsch heißt: Belastungssteuerung. Jattas Einsatz am Sonnabend beim SV Sandhausen soll aber nicht gefährdet sein.