Auch Baumgart muss beim HSV erst noch die Balance finden

Auch Baumgart muss beim HSV erst noch die Balance finden

Wenig Spektakel, dafür ein gutes Ergebnis: Trainer Steffen Baumgart hat mit seinem Stil viel Freude geweckt. Dank einer stabileren Defensive siegte der HSV letztlich verdient mit 1:0 gegen die SV Elversberg, gegen die man im Hinspiel noch unterlag. „Das ist ein Spiel, auf das man aufbauen kann“, sagte Baumgart nach der Partie am Sonntag. Präzise benannte der 52-Jährige dabei, was ihm schon gut gefallen hat: Ballgewinne und Intensität. Er will aber, dass sein HSV geradliniger und genauer auftritt. Der Coach kritisierte, dass „bei jedem Einzelnen heute doch noch das ein oder andere gefehlt hat“. Und das gilt auch für den Matchwinner Ransford Königsdörffer, der wie vorher erwartet (und im Talk auch benannt!) die erste Erfolgsgeschichte unter Baumgart werden könnte.

Den Konjunktiv wähle ich hier allerdings ganz bewusst, weil Königsdörffer selbst dazu noch sehr viel mehr beitragen muss, als er in den letzten Wochen und Monaten anzubieten wusste. Dass er ein schwieriges Verhältnis zum Trainer hatte, beruhte dem Vernehmen nach auf der unterschiedlichen sportlichen Wahrnehmung. Wie so oft fand sich der Spieler besser als der Trainer, der ihn auf die Bank setzte. Und obwohl ich Königsdörffer für einen der Spieler halte, die dem HS sehr viel helfen können, muss ich eingestehen, dass er sportlich über weite Teile seiner HSV-Zeit enttäuschte.

Königsdörffer kann eine Erfolgsgeschichte werden, wenn…

Selbst jetzt am Sonntag gegen Elversberg hatte Königsdörffer mehr Schatten als Licht – trotz des Siegtreffers. Positiv war, dass er an den meisten gefährlichen Torszenen beteiligt war. Negativ hierbei war, dass er die meisten davon durch seine Zögerlichkeit vergab. „Er hat eine gute Aktion gehabt und das war die Aktion, dass er tief gegangen ist und den Ball optimal getroffen hat“, analysierte Baumgart und meinte damit den Treffer.  Und er schob kritisch hinterher: „Wenn wir uns in der ersten Halbzeit zwei, drei Aktionen angucken, dann gehe ich davon aus, dass er erst mal wieder dahinkommen muss, was seine Stärken sind.“

Derart klare Worte über seine Spieler hatte Tim Walter zuvor vermieden. Walter hatte sich stets darum bemüht, schützend vor der Mannschaft zu stehen – was auch gut funktionierte. Bis zum Schluss stand die Mannschaft zum Trainer. Und dennoch: Baumgart hat Recht. Und das stimmt, behaupte ich. Umso besser, dass Baumgart nicht einfach das Momentum der ersten Euphorie nutzte, sondern sachlich blieb. Zumal seine Spieler schon deutlich positiver gestimmt waren. Als „enorm motivierend“ beschrieb ihn Torwart Matheo Raab, der den Vorzug vor Daniel Heuer Fernandes erhalten hatte. „Wir spielen hier jetzt Vollpressing, es ist einfach mehr Intensität da“, sagte Stürmer Ransford Königsdörffer, der den HSV mit seinem Tor wieder in Schlagweite der direkten Aufstiegsplätze brachte.

Dass es auch sonst ausschließlich positive Kommentare in Richtung des neuen Chefs gab – logisch. Immerhin will es sich niemand mit dem neuen Coach vermiesen. „Er ist halt einfach ein Typ. Der lebt den Fußball ja mit jeder einzelnen Faser, in jeder einzelnen Sekunde. Das hat er uns von Anfang an eingebläut“, sagte Schonlau über die ersten gemeinsamen Tage mit dem Trainer, der ihn schon beim SC Paderborn zum Kapitän gemacht hatte. Vom neuen Stil habe die Mannschaft einiges auch schon gegen die Saarländer gezeigt. „Ich glaube von der Energie her, von der Intensität, da hat man sicherlich Steffens Handschrift gesehen.“ 

Baumgarts bescheidene, gerade Art gefällt

Ohne Frage, bei der Vorgeschichte und der Attitüde hat Baumgart das Zeig zum Publikumsliebling. Und das ist gut. Aber es ist eben nicht der Faktor, der entscheidet, ob er der richtige Trainer ist oder nicht. Denn am Ende geht es von – bei Walter, Baumgart ebenso wie bei Nagelsmann, Klopp und allen anderen Profifußballtrainern um den Erfolg. Punkt. Deshalb verwechselt bitte nette Kommentare meinerseits über den Typen Baumgart nicht mit Komplimenten seine Arbeit betreffend. Auch bei Walter war meine persönliche Meinung vom Menschen Tim Walter nie ausschlaggebend dafür, wie ich seine Arbeit bewertet habe.

Fakt ist, dass Baumgart taktisch bislang ähnlich einspurig unterwegs ist wie Walter. Fakt ist aber auch, dass sich die Herangehensweise verändert. Mit Baumgart hat auch ein neuer Kommunikationsstil in und um das Volksparkstadion Einzug gehalten. Für seine klaren und ungeschönten Aussagen wird Baumgart von HSV-Fans schon jetzt gefeiert. Und ich muss gestehen, dass ich Baumgarts Art, sportlich zu analysieren, bislang sehr gut, weil zutreffend finde. Vor wie nach dem Spiel gegen Elversberg ging er mit der richtigen Portion Respekt und Demut an die Aufgabe. Vor allem aber danach gefiel mir die PK mit ihm. Baumgart sprach von vielen Dingen, die bei allen noch besser werden müssen. Vor allem aber feierte er das Spiel nicht, nur weil gewonnen wurde. Stattdessen lobte er Elversberg auf Augenhöhe und erkannte an, dass man das Spiel ebenso hätte verlieren können. Ich bin mir sicher, dass diese „Nur wir entscheiden, wer aufsteigt“-Sätze bei Baumgart nicht zum Repertoire gehören werden. Und das ist auch gut so.

Wie Ihr im Blitzfazit vielleicht schon gehört habt, war ich mit der Leistung des HSV am Sonntag nichtzufrieden. Spielerisch zu zögerlich, ohne Tempo nach vorn war allein das Defensivverhalten in Ordnung. Mit Schonlau und Hadzikadunic (der mir besser als zuvor gefiel) stand der HSV in der Innenverteidigung gut. Jonas Meffert hat davor gut abgeräumt und über die Außen ließen van der Brempt und Muheim (sowie später Katterbach) nicht viel zu. Im Tor wirkt Raab für mich zwar noch immer so, als würde er sich selbst zu viel Druck machen, aber grundsätzlich war es defensiv mit Luft nach oben zumindest schon mal in Ordnung.

War man unter Walter offensiv fast durchgehend gut und hatte gleichzeitig hinten Probleme, hat Baumgart gegen Elversberg die Defensive gestärkt und muss jetzt offensiv wieder mehr Schwung reinbekommen. Auch der neue Coach steht also vor der Problematik, die richtige Balance erst noch finden zu müssen. Deswegen freue ich mich wie die allermeisten hier über die Art, die der Trainer mitbringt. Und ich traue Baumgart auch absolut zu, diesen HSV zum Aufstieg zu coachen. Aber ich feiere ihn nach einem Spiel und einigen guten öffentlichen Auftritten noch nicht als den Messias, den einige andere schon in ihm sehen. 

In diesem Sinne, Euch allen einen schönen Abend! Und bleibt gesund!

Scholle

Hinten zu Null, vorne ein Treffer – wichtiger Auftaktsieg für Baumgart mit viel Luft nach oben

Hinten zu Null, vorne ein Treffer – wichtiger Auftaktsieg für Baumgart mit viel Luft nach oben

Warmer Sonntagnachmittag – zumindest äußerlich für Steffen Baumgart. Denn der neue HSV-Trainer kam kurzärmelig, wie bei ihm gewohnt. Wobei der neue HSV-Trainer in seinem ersten Spiel innerlich auch mehr als heiß gewesen sein dürfte, beim Debüt mit seiner neuen Mannschaft gegen den starken SV Elversberg zu überzeugen. Sein sehr laufintensives, aufwendiges Offensivspiel mit hohem Pressing sollte Einkehr halten – war aber nur partiell zu erkennen. Nach dem Spiel war Baumgart dann auch mit dem grundsätzlichen Spiel nicht ganz zufrieden, dafür aber mit dem Ergebnis. Denn dieses 1:0 gegen den SV Elversberg lässt ihn einmal kurz durchatmen und bietet ihm eine Menge Anschauung, was hier alles in den nächsten Wochen und Monaten nachjustiert werden muss.

„Die Jungs sind absolut an Grenzen gegangen gegen einen starken Gegner“, sagte Baumgart im Anschluss an das Spiel bei Sky. Es sei ein Spiel auf Augenhöhe gewesen. „Viel gesehen, in beide Richtungen, darauf lässt sich aufbauen“, fügte er hinzu und wirkte auf der Pressekonferenz glücklich über den Sieg – aber unzufrieden mit der Art und Weise. Bestes Beispiel, was ich meine: Ransford Königsdörffer. Der zuletzt unter Tim Walter regelmäßig auf der Bank sitzende, enttäuschende Außenstürmer schoss in der 53. Minute vor 54.190 Zuschauern den Siegtreffer im Volksparkstadion und beendete eine Serie von drei Pleiten daheim in Folge. Ihn zu feiern wäre also das Leichteste. Aber Baumgart macht eben nicht, was alle von ihm erwarten, oder was am einfachsten wäre. Stattdessen kritisierte er Königsdörffer für sein ansonsten eher uninspiriertes Offensivspiel vorsichtig. So, wie die gesamte Mannschaft. Dass nach so wenigen Tagen nicht alles funktionieren kann, sei klar. „Aber die Jungs haben viel angenommen“, sagte er. 

Und das passt sehr gut, wie ich finde. Denn gegen Elversberg tat sich Baumgarts neue Mannschaft  lange schwer. Es wird weiterhin der mühsame Weg für Baumgart werden, den er selbst erwartet hatte bei seiner Vorstellung. Der gebürtige Rostocker sprach vor der Partie von einem „Kindheitstraum“. Der Mut habe zuletzt beim HSV etwas gefehlt, urteilte der 52-Jährige. Aber er lobte auch: „Das ist ein sehr guter Kader, sehr gute Einzelspieler.“ Und nach dem mutigen Beginn der Gastgeber wurden die Gäste aus dem Saarland auch tatsächlich widerstandsfähiger, spielerisch wirkten sie absolut auf Augenhöhe. Zumal der HSV vereinzelt auch die Verunsicherung offenbarte, die ihn in den vergangenen Wochen immer wieder gehemmt hatte. Torwart Raab spielte einen Ball direkt in die Füße der Elversberger. Doch der Fehler blieb folgenlos. Kurz vor der Halbzeit verpassten die Gäste nach einer Direktabnahme von Bayern-Leihgabe Paul Wanner (41.) und Semih Sahin (44.) sogar die Führung.

Aber im Ganzen muss ich festhalten, dass der HSV defensiv weitgehend stabil agierte. Hinten ließ man in der zweiten Halbzeit fast nichts zu. Und vorne traf Königsdörffer – und das reichte zu drei Punkten. Es war ein 1:0, das so in den letzten Jahren extrem selten war – das aber genauso drei wichtige Punkte einbringt wie ein spektakulärer 8:7-Sieg in der Nachspielzeit. Und ein erfolgreicher Start für Baumgart, auf den er aufbauen kann. Dass da noch ordentlich Luft nach oben ist, ist auch gar nicht so schlimm. Vielmehr ist es für Baumgart sogar sehr positiv, dass die Schwächen und Fehler so offensichtlich wurden wie heute. Denn so weiß er genau, wo er ansetzen kann. Und ich bin mir sicher, das wird er auch…

In diesem Sinne, anbei noch die Spielerbewertung, die Statistik und ein paar Stimmen. Bis bald,

Scholle

SPIELERBEWERTUNGEN:


MATHEO RAAB: 
Er darf weiter als Nummer eins ran. Und das, weil er im Strafraum und auf der Linie Vorteile gegenüber Heuer Fernandes haben soll. Allerdings muss sich die gesamte Defensive auch darauf einstellen, dass er eben nicht so hoch steht und fußballerisch nicht so stark ist, wie Heuer Fernandes. Noch gibt es hier sichtbaren Abstimmungsbedarf – aber auch hier gilt (wie bei Reis): er braucht die Spielzeit, um sich zu akklimatisieren. Und da er zweifellos ein guter Keeper für die Zweite Liga ist, wird es mit der Zeit sicher besser werden. Luft nach oben hat er noch. Und auch heute bleibe ich dabei: Ich hätte diesen Wechsel nicht vorgenommen.  Note: 3,5

IGNACE VAN DER BREMPT: Wieder ordentlich. Sowohl nach hinten als auch nach vorn. Ließ defensiv wenig zu und schaltete sich immer wieder mal mit ein, ohne den Elversbergern zu viel anzubieten. Note: 3

DENNIS HADZIKADUNIC: Bei seinem wichtigen Block in der 31. Minute ballte er die Faust – ein ungewöhnlich emotionales Zeichen des Innenverteidigers, der ansonsten oft zu sehr in sich gekehrt und an sich zweifelnd auf mich wirkte. Heute indes war er auch sonst von der Körpersprach her mutiger, lebendiger. Neben Schonlau heute souverän und zweikampfstark in der Innenverteidigung, die wenig zuließ.  Note: 3
SEBASTIAN SCHONLAU: 
Endlich wieder zurück – wenn auch in der ersten Hälfte oft noch zu unsauber im Zweikampf sowie im Passspiel. Aber auch ihm muss man die Eingewöhnung zugestehen, zumal er dieses Vertrauen in der zweiten Halbzeit absolut rechtfertigte. Note: 3

MIRO MUHEIM (bis 80.): Spielte solide zusammen mit seinem neuen Seitenpartner Königsdörffer sowie danach mit Suhonen. Seine Auswechslung war eher nicht sportlicher Natur.  Note: 3

NOAH KATTERBACH (ab 81.): Diese Einwechslung war sportlich fürs Spiel eher nicht förderlich, eher riskant. Aber so demonstrierte Baumgart, dass er nicht nur redet, sondern auch danach handelt und den in Köln von ihm aussortierten Linksverteidiger eine faire Chance einräumt. Und ganz ehrlich: Für jemanden, der so lange nicht gespielt hat, war das auch völlig okay! 

JONAS MEFFERT: Besser als zuletzt, sehr wichtig im Zentrum und als Absicherung, wenn Schonlau wieder offensiv mitmischen wollte, aber auch als Anspielpunkt im Aufbauspiel. Er ist in dieser Verfassung ein nicht wegzudenkender Faktor fürs HSV-Spiel. Note: 3

LUDOVIT REIS (bis 64.): Er will Verantwortung übernehmen, was gut ist! Aber: Er ist einfach noch lange nicht in alter Verfassung. In allen Abläufen langsamer, manchmal zögerlich, mit einer ungewohnt hohen Fehlpassquote – aber er braucht diese Spielzeiten, um wieder der wichtige Faktor zu werden, der er war. Deshalb freue ich mich über jede Minute, die er auf dem Platz steht. Note: 4

LUKASZ POREBA (ab 64.): Eingewechselt, aber nicht im Spiel.

IMMANUEL PHERAI: Bei seinem Laufpensum muss er einfach mehr rumkommen. Aber: Er wurde im Verlaufe der zweiten Halbzeit besser, insbesondere nach dem 1:0, hatte er endlich auch offensiv bessere Aktionen. 3,5

BAKERY JATTA (bis 80.): Ähnlich wie Pherai ist auch er eigentlich immer fleißig – aber bei seinem Tempo muss er offensiv einfach gefährlicher sein als heute. Ich werde eh nie verstehen, weshalb er so oft – wenn er den Raum vor sich komplett frei hat – plötzlich das Tempo drosselt, anstatt Vollgas zu gehen. Note: 3,5

LEVIN ÖZTUNALI (ab 81.): Weit weg von allem, was mit Profifußball zu tun hat – war er vorher. Und auch heute wirkte das, als würde er sich auf dem Platz nicht wohlfühlen. Eine Note ersparen wir ihm für diese paar Minuten.

RANSFORD KÖNGSDÖRFFER (bis 64.): Hätte zum ersten Mal schon nach viereinhalb Minuten die Geschichte schreiben können, die hier alle erwarten: Seinen Aufschwung unter dem neuen Trainer. Zuerst vergab er freistehend vor dem SVE-Keeper und scheiterte auch danach mehrfach aussichtsreich, eher er mit einem Traumtor zum 1:0 (53.) den Siegtreffer erzielte. Aber bei aller Freude über diesen Treffer und die Tatsache, dass er diesen schnurgeraden Weg zum Tor hat, war er heute oft noch zu zögerlich. Ansonsten hätte er heute mehr als nur die eine Geschichte schreiben können. Fakt ist: Er ist und bleibt ein sehr physischer Außenstürmer mit technischen Mängeln, die im engen Eins gegen Eins immer wieder deutlich werden. Aber am wichtigsten neben seinem Siegtreffer: Er dürfte heute einen Schritt nach vorn gemacht haben. Note: 3,5

ANSSI SUHONEN (ab 64.): Wichtiges Comeback. Der Finne ist einfach ein belebender Faktor. Manchmal noch etwas zu hektisch und übermotiviert, aber er bringt immer Schwung rein. So, wie man es von einem Wechsel erhofft.

ROBERT GLATZEL (bis 74.): Pressing ist nicht seine Kernqualität und Flanken in den Sechzehner waren zu selten. So holte er sich oft tief die Bälle und bereitete mehr vor (auch den Siegtreffer), als dass er selbst zum Abschluss kam. Das war so sicher nicht sein Spiel heute, zumindest dürfte er sich selbst andere Spielverläufe wünschen. Note: 4

ANDRAS MEMETH (ab 75.): Er machte als „Wandspieler“ ein paar Bälle fest, kam einmal zum Abschluss – und war damit schon auffälliger als zuletzt. Das allerdings ist noch kein ausreichendes Kompliment. Denn auch er muss sich noch mächtig steigern, wenn er hier irgendwann mal Ansprüche auf einen Startelfplatz anmelden will. 

TRAINER STEFFEN BAUMGART: Er dürfte erst einmal froh sein, dass seine Mannschaft defensiv gut stand und problemlos die Null gehalten hat. Über das Wie wird er aber sicher auch noch mal mit seiner Mannschaft sprechen wollen, intern. Denn gegen zweite Halbzeit nachlassende, einfallslosere Elversberger hatte sein Team offensiv heute ausreichend Räume – aber deutlich zu wenig Durchschlag. Note: 3,5

STIMMEN ZUM SPIEL:

Ransford Königsdörffer: „Wir haben als Mannschaft super verteidigt und gepresst. Wir haben ein echte Einheit gebildet. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich der Mannschaft mit meinem ersten Saisontor helfen konnte. Für mich persönlich war das ein sehr wichtiges Tor. Ich hätte noch mehr Treffer erzielen können, dann ist der gefühlt schwerste Abschluss reingangen. Es war ein intensives, anstrengendes Spiel. Wir werden uns mehr und mehr an das neue Spielsystem gewöhnen. Wir wollen mehr pressen und weniger Chancen zulassen.“

Sebastian Schonlau: „Zu Beginn der Saison haben wir viele Heimspiele gewonnen, zuletzt waren es drei Niederlage in Serie. Da tut ein Heimsieg natürlich wieder sehr gut. Wir hatten viel hohe Ballgewinne und  dadurch prompt Torchancen. Wir haben Elversberg dadurch beeindruckt und sie zugleich weitestgehend vom Tor ferngehalten. Wir brauchen natürlich noch etwas Zeit, um die Spielidee von Steffen Baumgart mehr und mehr zu verinnerlichen. Wir hatten erst eine Woche gemeinsam und trotzdem hat man von der Energie und Intensität Steffens Handschrift gesehen. Bei mir persönlich hat heute alles gehalten, ich habe mich gut gefühlt und bin zuversichtlich, dass das so bleibt.“

Matheo Raab: „Über allem steht der Sieg. Dass wir zu null gespielt haben, ist natürlich überragend. Wir haben heute als Team enorm gut verteidigt – das fängt ganz vorne an. Im Hinblick auf die Chancenverwertung können wir noch besser sein, aber es war insgesamt ein guter Anfang. „Ransi“ hat sich heute endlich belohnt, wir freuen uns sehr für ihn. Das zeichnet uns als Mannschaft aus, dass wir uns füreinander freuen können.“ 

Robert Glatzel: „Wir sind vorn etwas mehr draufgegangen, haben versucht, direkter zu spielen. Es war klar, dass sich unter dem neuen Coach etwas am Spielsystem verändert, für den Anfang war das ein ordentlicher Schritt. Wir haben die Fans gleich mitgenommen, etwas Euphorie entfacht. Ein neuer Trainer bedeutet immer eine Umstellung, vor allem, weil wir zweieinhalb Jahren das gleiche Spielsystem gewohnt waren. Wir sind noch am Anfang, es liegt ein hartes Stück Arbeit vor uns. Der Abschluss von ‚Ransi‘ war super. Wir freuen uns sehr für ihn, er hatte bisher keine leichte Saison. Das goldene Tor zum Sieg wird ihm guttun.“

Noah Katterbach: „Ich bin überglücklich, dass ich nach zehn Monaten wieder hier im Volksparkstadion spielen durfte. Wir haben jetzt eine Woche mit Steffen zusammengearbeitet, es dauert sicherlich noch, bis die Abläufe perfekt laufen. Dafür brauchen wir noch etwas Zeit und müssen daran hart arbeiten. Heute war es wichtig, die Null zu halten. Der Fokus in der Trainingswoche lag auf der Defensive.“   

Ludovit Reis: „Es ist ein guter und verdienter Heimsieg. Wir hatten viel Energie und Intensität im Spiel, besonders beim Anpressen. Wir haben viel Druck ausgebüt, sind viel gelaufen. Es gibt uns ein gutes Gefühl, dass wir unter dem neuen Trainer direkt mit einem Sieg starten. Jetzt geht´s darum, an diesen Erfolg anzuknüpfen.“

Steffen Baumgart: „Wir freuen uns über den Heimsieg, den wir uns mit einer kompakten und mannschaftlichen Leistung erarbeitet haben. Ich bin aber insgesamt mit unserer Leistung nicht so ganz zufrieden, weil mir bei jedem einzelnen Spieler doch noch das eine oder andere gefehlt hat. Wir haben ein Spiel erlebt, in dem jeder sehen konnten, warum man immer vor der SV Elversberg warnt. Sie haben eine sehr gute Struktur und immer wieder gute Umschaltmomente, da sind wir in der ersten Halbzeit einige Male in Gefahr geraten und hätten auch durchaus hinten liegen können. Für mich war es wichtig, dass die Jungs bis zum Ende in höchster Intensität gespielt haben und immer wieder raufgegangen sind. Dadurch haben wir den Gegner unsererseits zu Fehlern im Aufbau gezwungen und so auch unsere Chancen herausgearbeitet. Diese hohe Intensität haben wir 90 Minuten durchgehalten, auch wenn man dadurch am Ende gemerkt hat, dass die Luft etwas ausgegangen ist. Umso glücklicher sind wir, dass wir dieses 1:0 über die Zeit bringen konnten, auch wenn wir kurz vor dem Ende noch einmal das nötige Quäntchen Glück hatten.“

Horst Steffen (Trainer SV Elversberg): „Ich habe gemischte Gefühle. Ich hatte das Gefühl, wir können hier mithalten und wir können unsere Situationen noch besser spielen, als wir es getan haben. Mit ungenauem Passspiel haben wir den Gegner relativ häufig zu Chancen eingeladen. Das lag zum einen am Anlaufen des Gegners, aber zum anderen auch an unserer Ungenauigkeit. Demensprechend bin ich mit unserer Leistung nicht einverstanden. Das können wir besser. Wir konnten das Spiel zwar bis zum Schluss offenhalten und mit etwas Glück kriegen wir in der 88. Minute den Ausgleich hin, aber das wäre nicht unbedingt verdient gewesen.“

DIE STATISTIK ZUM SPIEL:

HSV: Raab – Van der Brempt, Schonlau, Hadzikadunic, Muheim (80. Katterbach) – Meffert, Reis (64. Poreba), Pherai – Jatta (80. Öztunali), Glatzel (75. Nemeth), Königsdörffer (64. Suhonen)

SV Elversberg: Kristof – Vandermersch, Pinckert, Le Joncour, Sicker (80. Boyamba) – Fellhauer, Sahin (80. Stock), Feil (67. Martinovic), Wanner (80. Jacobsen), Rochelt (88. Koffi) – Schnellbacher

Tore: 1:0 Königsdörffer (53.)

Zuschauer: 54.190

Schiedsrichter: Harm Osmers (Hannover)

Gelbe Karten: Reis, Katterbach / Vandermersch

Baumgart ist aufgeregt – Walter wählt stilvollen Abgang

Baumgart ist aufgeregt – Walter wählt stilvollen Abgang

Zugegeben: Mit dieser Art kann man sich nicht nicht freuen über Steffen Baumgart. Natürlich, gerade, einfach und ohne rumzudröhnen machte er auch heute keinen Hehl daraus, dass er aufgeregt sei. Vor seinem Debüt als HSV-Trainer sei es eine Mischung aus Vorfreude und etwas Aufregung, so der gebürtige Rostocker. „Es ist jetzt kein ruhiger Schlaf“, sagte der 52-Jährige vor seinem ersten Heimauftritt mit dem Spiel gegen die SV Elversberg am Sonntag. „Ein Schauspieler würde sagen, er hat Lampenfieber.“

Bislang sind knapp 51.000 Tickets abgesetzt. Und ich könnte mir vorstellen, dass es noch ein paar mehr werden, die Zeugen werden wollen, inwieweit es Baumgart gelingt, das HSV-Problem zu lösen, das da heißt: Defensivschwäche. Denn Baumgart soll den zuletzt unsicheren HSV stabilisieren. Nach 22 Spieltagen hat man gerade einmal 38 Punkte auf dem Konto und steht auf dem dritten Platz. Weniger Punkte hatte der HSV zu diesem Zeitpunkt in der Zweiten Liga noch nie. Und das liegt nicht daran, dass man zu wenig Tore schießt – man fängt einfach zu viele ein.

Dass Baumgart bei seiner Vorstellung über sich selbst sagte, dass er nicht der Typ Trainer sei, bei dem die Null hinten Priorität habe, ließ mich kurz zusammenzucken. Denn Baumgart gilt mit seinem hohen Pressing und laufintensivem, sehr offensiv ausgerichteten Spielstil nicht als Defensivspezialist. Dennoch muss er genau das hinbekommen, um seinem mehr als überzeugenden persönlichen Auftritt sportlich ähnlich Gutes folgen zu lassen. 

Klar ist für Baumgart, dass nichts weniger als Saufstieg für ihn zählen dürfe. Das hatte der neue Coach schon bei seiner Vorstellung am Dienstag klar formuliert: Nach sechs Jahren Zweitliga-Zugehörigkeit soll der HSV am Ende dieser Saison aufsteigen. Wie schon Boldt und Walter zuvor, bescheinigt Baumgart seinem Team eine Qualität, die nichts anderes hergeben würde.

Aber auch dem nächsten Gegner, dem Tabellenneunten SV Elversberg bescheinigte Baumgart eine sehr hohe Qualität. Seine Aufregung hänge auch ein wenig mit dem Gegner zusammen. Der ist zwar Aufsteiger, aber hat dem HSV vor nicht allzu langer Zeit schon weh getan. In der Hinrunde siegte die Mannschaft um das ausgeliehene Bayern-Talent Paul Wanner 2:1 gegen den HSV. Die Pleite in Elversberg war der Auftakt einer peinlichen Negativserie für den HSV gegen die Aufsteiger der Liga. Danach folgten ein 1:2 in Osnabrück und ein 1:1 bei Wehen Wiesbaden. „Hier kommt keine Mannschaft hin, die sich vor Angst in die Hose macht, sondern die kommt hier her und die hat ein klares Ziel. Die wollen uns ein Bein stellen.“

Nunja, so kommen wahrscheinlich alle Gegner. Aber was Baumgart sagen will: Man dürfe die Aufsteiger aus dem Saarland nicht unterschätzen. Dass der HSV das Hinspiel unter Tim Walter 1:2 in Elversberg verloren hatte, dürfte für seine Spieler Warnung genug sein, während Baumgart nur vier Tage hatte, um sich vom Gesamtzustand seiner neuen Mannschaft zu überzeigen. Spannend wird dabei, welche taktische Herangehensweise der Coach wählt. Hält er in Jonas Meffert an einem defensiven Mittelfeldspieler fest oder bekommt der 29-Jährige einen Positionspartner für die hier im Blog so oft schon gewünschte Doppelsechs? 

Und während Jean Luc Dompé auszufallen droht, scheint klar, dass Baumgart weiter an der Viererkette in der Abwehr festhalten wolle. Kapitän und Innenverteidiger Sebastian Schonlau gilt hierbei als Schlüsselspieler für Baumgart, der gemeinsam mit ihm mit dem SC Paderborn von der 3. Bis in die 1. Liga aufstieg. Fraglich ist, ob gegen Elversberg Stephan Ambrosius oder Dennis Hadzikadunic neben den wieder gesunden Abwehrchef Schonlau aufgeboten wird. Beide könnten es laut Baumgart ausfüllen und eine gute Leistung bringen. Eine Entscheidung scheint es bisher nicht zu geben. Erst wolle der neue Fußball-Lehrer mit beiden sprechen. Ähnlich halte er es bei der Frage, ob Matheo Raab oder Daniel Heuer Fernandes im Tor steht. In den vergangenen beiden Spielen hatte Raab den vorherigen Stammtorwart verdrängt.

Wen ich aufstellen würde? Ich hätte Heuer Fernandes gar nicht erst ausgetauscht, ehrlich gesagt. Intern aber halten die meisten sportlich Verantwortlichen Raab für den besseren Keeper. Und aus dieser sportlichen Sicht muss auch Baumgart entscheiden. Er muss für sich entscheiden, wer seine Nummer eins ist. Eine Situation, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer aus HSV-Sicht unangenehmen Torwartdiskussion führen wird. Denn sollte Heuer Fernandes weiter nicht spielen, dürfte die Freude über seine jüngste Vertragsverlängerung schnell zum Boomerang werden. Sollte Baumgart aber Raab wieder rausnehmen, wüsste dieser, dass er auch weiterhin ein Bankdasein vor sich hat. Dann würde er mit Sicherheit versuchen, das Gespräch mit den sportlich Verantwortlichen zu suchen bezüglich seiner HSV-Zukunft…

Und so unnötig diese Diskussion von Tim Walter auch angezettelt worden ist, so stilvoll hat er sich im Stadionmagazin „HSVlive“ noch mal zu Wort gemeldet. „Es bricht mir das Herz, dass ich mich auf diesem Weg von Euch allen verabschieden muss“, schrieb der 48-Jährige in einer Botschaft im offiziellen Club-Magazin. Zweieinhalb Jahre sei es sein ganzes Bestreben gewesen, „mit Euch gemeinsam in die 1. Liga aufzu­steigen. Dafür habe ich jeden Tag alles gegeben“, schrieb Walter. Dass sie es zusammen nicht geschafft haben, mache ihn sehr traurig – „und in Anbetracht mancher Geschehnisse auch wütend“, womit Walter mit Sicherheit die Causa Mario Vuskovic anspricht.

Dennoch überwiege vor allem Dankbarkeit. Dafür, „ein Teil und Mitgestalter eines so großartigen Vereins gewesen sein zu dürfen“, sagte Walter. „Auch in den schlimmsten Niederlagen haben wir immer alle zusammengehalten, uns gegenseitig unterstützt, aufgebaut und weitergemacht. Dafür möchte ich DANKE sagen, allen voran meinen Spielern und meinem gesamten Trainer-, Ärzte- und Therapeutenteam. Es war mir jeden Tag eine große Freude und Ehre mit Euch!“ Darin mit einbezogen sind auch Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Claus Costa mit ein: „Ihr wart mir immer ein großer Rückhalt.“

Walters Botschaft endet mit den Worten: „DANKE Euch allen und jedem Einzelnen dieser fantastischen FANS, die mit uns GEMEINSAM durch Höhen und Tiefen gegangen sind und uns oft ein Stück getragen haben.  IHR SEID 1. LIGA!“

Ein Abgang mit Stil. Chapeau, Tim Walter!

In diesem Sinne, auch Euch ein schönes Wochenende! Genießt den Abend und wir sehen und hören uns nach dem Heimspiel gegen Elversberg am Sonntag wieder!

Scholle

Mit Potenzial zum Publikumsliebling: Steffen Baumgart ist da

Mit Potenzial zum Publikumsliebling: Steffen Baumgart ist da

Steffen Baumgart hat seinen ersten Tag beim HSV hinter sich – und er hat ihn gut genutzt. Denn der neue Coach des HSV bestätigte binnen weniger Stunden mehrfach, was man ihm nachsagt: Dass er ein sympathischer, geradliniger, sympathischer Typ ist, der ein Herz für den HSV hat. Und zwar schon seit Kindheitstagen. Baumgart galt unter den HSV-Fans eh als Wunschkandidat nach dem Aus von Trainer Tim Walter in der vergangenen Woche. „Ich bin Fan geworden, da war der HSV noch eine Größe. Seitdem bin ich drangeblieben“, sagte Baumgart vor einigen Jahren und ergänzte darauf bezogen heute: „Du wechselst öfter die Frau als den Verein.“

Heute erschien Baumgart mit einer HSV-Kappe statt der markanten Schiebermütze bei seinem Amtsantritt im Hamburger Volksparkstadion und präsentierte sich optisch leicht verändert. Das erste Foto von ihm inmitten der beiden körperlich deutlich größeren sportlich Hauptverantwortlichen, Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Claus Costa, hatte schon für lustige Kommentare gesorgt, da Baumgart hier aussah, als sei er von den beiden festgenommen worden. „Steffen, blinzle zweimal, wenn du das nicht freiwillig machst!“, schrieb das Social-Media-Magazin „Fums“. Dazu noch: „Endlich! LKA Hamburg gelingt Festnahme von Steffen B. aus R.“

Dieses Bild veröffentlichte der HSV heute via Social Media

Auch andere Nutzer hatten beim Anblick des Bildes Assoziationen an eine Verhaftung. „Das sieht aus, als hätten sie ihn verhaftet und haben Angst, dass er flieht“ und „Spätestens am Wochenende im Stadion mit den Fans, will er eh nie wieder weg.“ Und das dürfte stimmen. Für Baumgart selbst ist der Job beim HSV ein weiterer Höhepunkt in seiner Laufbahn. Mit einem klaren Ziel: „Das Ziel ist klar, da müssen wir nicht drum herumreden: der Aufstieg“, sagte der 52-Jährige bei seiner heutigen Vorstellung deutlich.

Das wiederum liegt weniger an der fast sechsjährigen Zweitliga-Zugehörigkeit des Clubs und seinem persönlichen Abstieg von der 1. in die 2. Liga, sondern vielmehr daran, dass er nun bei seinem Herzensverein unter Vertrag steht und diesen wieder in alte Gefilde führen will. Vor zwei Jahren hatte der HSV schon einmal bei ihm angeklopft. Seinerzeit stand er allerdings schon beim 1. FC Köln im Wort. Allerdings machte Baumgart mit einfachen, klaren Worten schnell deutlich, dass die Vorfreude nicht die angespannte Situation des zuletzt wankenden Traditionsvereins überlagern sollte: „Nur mit Sympathie funktioniert es nicht, sondern es gehört eine ganze Menge Arbeit dazu. Ich bin hier nicht, weil ich Fan bin“, so der gebürtige Rostocker. „Hier wurde vorher gut gearbeitet, jetzt hoffen wir, dass wir das weiterführen können.“

Und hier liegt der Punkt, den ich auch mit Mats Beckmann von Createfootball.com lange besprochen habe: Baumgart ist von der Walter-Taktik nicht (weit) entfernt. Im Gegenteil, in vielen Dingen ist er sogar sehr ähnlich. So kündigte er heute auch gleich mal an, dass Spiele ohne Gegentor bei seiner offensiven Herangehensweise eher selten sein würden. Dabei stand die defensive Stabilisierung zuletzt unter Walter schon ganz oben auf der To-do-Liste. Und das dürfte auch für Baumgart gelten.Und obgleich Boldt auch heute betonte, man habe bewusst Baumgart gewählt, weil man eben „keine 180-Grad-Wende“ vornehmen und auf dem Aufgebauten aufsetzen wolle, muss eine Kurskorrektur vorgenommen werden, wenn man das Ziel Aufstieg weiter verfolgen will.

Etwa eine Woche nach dem Aus von Trainer Tim Walter unterschrieb der neue Baumgart am Dienstag in der Geschäftsstelle seinen Vertrag bis 2025. Viel Zeit zum Reinschnuppern blieb aber nicht, im Gegenteil: Nach der öffentlichen Vorstellung leitete er am Nachmittag seine erste Trainingseinheit im Volkspark. Baumgart lobte jedoch den Kader: „Das ist eine der besten Mannschaften der 2. Liga.“ Besonders warme Worte erhielt dabei sein früherer Weggefährte Sebastian Schonlau. Dem Kapitän des HSV wird eine große Rolle zuteil. Der Defensivmann arbeitete gemeinsam mit Baumgart vier Jahre in Ostwestfalen und kletterte von der 3. bis in die erste Liga. Schonlaus persönliche Entwicklung sei enorm. „Deswegen wird er sehr wichtig für mich. Nicht nur als Spieler, sondern als Persönlichkeit.“

Nach Hamburg wird Baumgart nur seinen Assistenten René Wagner, seinen früheren Weggefährten aus Köln, in die Co-Trainer-Gruppe mitnehmen. Der zuletzt als Interimscoach fungierende Merlin Polzin wird neben Loic Favé das Trio komplettieren. Sven Höh bleibt Torwarttrainer.

Ich wurde und werde immer wieder gefragt, was ich von dieser Verpflichtung Baumgarts halte. Und die Antwort ist relativ leicht: Ich glaube, dass der kurzweilige Trainereffekt dem HSV den nötigen Anschub verleihen kann, aufzusteigen. Sollte der HSV allerdings im kommenden Sommer nicht personell nachrüsten (hierzu sage ich mehr im Video) und den Kader der Baumgart-Taktik entsprechend verstärken (insbesondere qualitativ hochwertigere und schnelle Innenverteidiger), wird es auch für Baumgart schwer. Wobei, das kann es auch jetzt ganz schnell werden.

Aber bei allem, was man aktuell fordert, darf man nicht übersehen, dass Baumgarts Fußball-Idee ähnlich kompromisslos offensiv ist wie die von Walter zuvor. Das wissen auch die Verantwortlichen Boldt und Costa, die es im Winter verpassten, den dringend benötigten, schnellen und spielstarken Innenverteidiger zu holen.  Da man sich trotzdem für Baumgart entschied, scheint es einen Plan zu geben, der für Außenstehende noch nicht erkennbar ist. Hoffe ich. Denn das persönliche Potenzial zum absoluten Publikumsliebling bringt der bodenständige HSV-Fan Baumgart allemal mit…

Von daher auch von dieser Stelle noch einmal: Herzlich Willkommen, Steffen Baumgart!

Und: viel Erfolg!!

Scholle

Leider gab es heute auch eine sehr traurige Nachricht: Ex-Weltmeister Andreas Brehme ist tot. Brehme starb in der Nacht zu Dienstag an einem Herzstillstand. Das bestätigte seine Lebensgefährtin Susanne Schaefer im Namen der Familie. Brehme, der 86 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft bestritt, wurde nur 63 Jahre alt. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie. Und auch Rest der Fußballwelt trauert. Anbei einige gesammelte Reaktionen:

Rudi Völler, früherer Mitspieler und DFB-Sportdirektor: „Andy war unser WM-Held, aber für mich noch viel mehr – er war mein enger Freund und Begleiter bis zum heutigen Tag. Seine wunderbare Lebensfreude wird mir fehlen. Meine Gedanken sind nun bei seinen Hinterbliebenen, seinen Freunden, vor allem bei seinen beiden Söhnen. Ich wünsche ihnen allen viel Kraft.“

DFB-Präsident Bernd Neuendorf: „Der deutsche Fußball hat ihm unendlich viel zu verdanken. Neben Mario Götze, Gerd Müller und Helmut Rahn gehört er zu den vier deutschen Spielern, die unsere Nationalelf zum WM-Titel geschossen haben. Seine Nerven- und Zweikampfstärke, seine Beidfüßigkeit, seine Flanken, seine Pässe, sein Einsatz – all das hat ihn ausgemacht, all das hat uns so viel Freude und so viele große Momente beschert.“

Karl-Heinz Rummenigge, ehemaliger Mitspieler und Aufsichtsrat des FC Bayern: „Ich bin tief betroffen und geschockt von der Nachricht vom Tod von Andi Brehme. Wir haben zusammen die WM 1986 in Mexiko gespielt, und Andi war ein großartiger Teamplayer, extrem loyal und zuverlässig. Seine Lebensfreude war immer ansteckend, und dass er mit 63 schon von uns gehen musste, stimmt mich sehr traurig.“

Uli Hoeneß, Ehrenpräsident des FC Bayern: „Ich bin unfassbar traurig über diese schockierende Nachricht. Niemand von uns wird Andreas Brehme jemals vergessen – weil er mehr ist als ein 1:0 im WM-Finale von Rom. Wir haben einen großartigen Menschen und einen treuen Freund verloren.“

Lothar Matthäus, Kapitän der Weltmeistermannschaft 1990: „Ich war schockiert, als ich das erfahren habe. Andi war ein Teil unserer Familie. Wir haben uns vor 45 Jahren kennengelernt, viele gemeinsame Geschichten erlebt. Wir waren Zimmerkollegen, bei der Nationalmannschaft und bei Inter Mailand. Wir haben oft 100 Nächte pro Jahr miteinander verbracht. Diese Freundschaft war auch nach der Karriere nicht vorbei. Es ist wirklich, als ob ein Familienmitglied gestorben ist.“

Jürgen Klinsmann, Mitspieler in der Weltmeistermannschaft 1990: „Lieber Andy, wir sind fassungslos, dass Du von uns gegangen bist. Du warst immer für uns da und hast uns zum Weltmeister 1990 gemacht! Wir werden Dich immer in unseren Herzen tragen und Dir für immer dankbar sein!“

Klaus Augenthaler, Mitspieler in der Weltmeistermannschaft 1990: „Ich stehe jetzt hier gerade auf dem Trainingsplatz und habe auf dem Weg hierher davon erfahren. Ich habe es daher noch nicht verdaut. Wir waren befreundet. Wir haben uns erst vor kurzem gesehen und waren gemeinsam Mittagessen. Wenn man dann so etwas hört, ist das natürlich hart.“ 

Jürgen Kohler, Mitspieler in der Weltmeistermannschaft 1990: „Er wird immer einen Platz in meinem Herzen haben. Weil er nicht nur ein außergewöhnlicher Fußballer, sondern vor allen Dingen ein besonderer Mensch war. Bodenständig, geradeaus. Man wusste bei ihm immer, woran man ist. Da ist ein toller Mensch von uns gegangen – viel zu früh.“

Stefan Reuter, Mitspieler in der Weltmeistermannschaft 1990: „Die Nachricht vom plötzlichen Tod von Andy Brehme hat mich sehr getroffen und ist mir nahe gegangen, weil er einfach ein toller Mensch war. Ich verbinde mit ihm nicht nur unseren gemeinsamen Erfolg mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1990 in Italien, sondern eben auch viele wunderbare gemeinsame Momente außerhalb des Fußballplatzes.“

Walter Zenga, einstiger Mitspieler und Kapitän bei Inter Mailand: „Du bist zu früh von uns gegangen, mein Freund, aber ich weiß, dass du uns von dort oben beschützen wirst und wie immer wirst du dort stehen und die Elfmeter schießen, einen mit dem Rechten und einen mit dem Linken. Gute Reise, mein Freund, Ruhe in Frieden, ich werde dir nicht sagen, dass ich weine, weil ich weiß, dass du mich umarmen und sagen würdest: ‚Komm Walter, ich bin hier, Ciao Andy‘.“

Ex-Bundestrainer Berti Vogts: „Andi Brehme war ein toller Fußballer und ein toller Mensch. Mit seinem Elfmeter hat er in Rom nicht nur Fußball-Geschichte geschrieben, sondern den deutschen Fußball auch geprägt.“

Philipp Lahm, Weltmeister-Kapitän 2014: „Brehme wurde bei der WM in Italien eins meiner Idole. Ich habe noch seinen konzentrierten, entschlossenen Blick vor Augen, als er im Finale gegen Argentinien zum entscheidenden Elfmeter antrat. Dann hat er getroffen, wie es genauer nicht gehen konnte. Andy Brehme war ein früher, moderner Außenverteidiger, der auf der rechten wie auf der linken Seite spielte. Dadurch war er prägend auch für meine Karriere.“

Ex-Nationaltorwart Oliver Kahn: „Wir verabschieden uns von Andreas, der sich seine Liebe zu unserem Lieblingssport immer bewahrt hat. Ich werde nie unsere großartigen gemeinsamen Zeiten mit der Nationalmannschaft vergessen, seine bodenständige und humorvolle Persönlichkeit hat allen Freude bereitet.“

Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger: „Andy Brehme war ein Idol meiner Jugend und später mein Co-Trainer beim VfB. Ein Fußballer durch und durch und ein Pfundskerl. Der Erste, der genauso gut rechts wie links schießen konnte – was für ein tragischer Verlust.“

Tennis-Legende Boris Becker: „Gerade haben wir uns noch bei der Trauerfeier vom Kaiser Franz getroffen! Unglaublich, wie schnell es vorbei sein kann! Meine Gedanken sind bei seinen beiden Söhnen!“

DOSB-Vorstandschef Torsten Burmester: „Die deutsche Sportfamilie trauert um den Finaltorschützen beim WM-Erfolg von 1990. Wir werden die Verdienste von Andreas Brehme für den deutschen Fußball in ehrendem Gedenken halten. Ich bin in Gedanken bei seiner Familie und allen Angehörigen. Ruhe in Frieden, Andy!“

Horst Hrubesch (Fußball-Bundestrainer der Frauen): „Ich habe mich auch ein bisschen erschrocken, als ich es heute Morgen beim Frühstück mitgekriegt habe. Er ist ja Hamburger.  Ich bin jetzt zehn Jahre älter und bin immer noch da. Ich denke mal, mit 63 ist das verdammt früh. Es hat mich schon getroffen. Ich kenne ihn ja ganz gut und werde ihn absolut in super Erinnerung behalten.“

FIFA-Präsident Gianni Infantino: „Die Nachricht vom Tod von Andreas Brehme im Alter von nur 63 Jahren macht mich sehr betroffen. Erst letzten Monat waren wir beide noch gemeinsam in München, um das Leben des großen Franz Beckenbauer zu würdigen. Es ist tragisch, dass wir nun den Tod von Andy betrauern. Andy wird für immer in den Herzen aller deutschen Fans bleiben. (…) Er ist eine Ikone des Weltfußballs und eines meiner Idole. Sein Vermächtnis zeugt von seiner fußballerischen Klasse, seiner Entschlossenheit und seinem Sportsgeist. (…) Seine Karriere wird auch zukünftige Generationen von Fußballern inspirieren. (…) Ciao Legende“.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): „Lauwarme Dosenravioli, das Dosenbier ungefähr genauso, ein Fernseher auf dem Campingplatz in Norwegen und ein klasse Siegtreffer kurz vor Schluss des WM-Endspiels Deutschland-Argentinien! Ewig her und heute voll nah. Danke Andreas Brehme für diese Erinnerung und viele weitere sportliche Momente, die Du uns als Nationalspieler geschenkt hast. Du bleibst unvergessen!“

Bundesinnenministerin und Sportministerin Nancy Faeser (SPD): „Andi Brehme war mit seiner Leidenschaft und seiner Klasse eine Ikone des deutschen Fußballs. Sein entscheidender Elfmeter im WM-Finale 1990 in Rom war ein Tor für die Ewigkeit.“

Ex-FIFA-Präsident Sepp Blatter: „Die Nachricht vom Tod von Andy Brehme bestürzt mich. Ein ganz Großer musste viel zu früh gehen. Du warst nicht nur fußballerisch ein Vorbild. Deine Bescheidenheit, Volksnähe und Herzlichkeit waren im Fußball Muster von seltenem Wert. Ruhe in Frieden.“

Simon Rolfes (Geschäftsführer Sport Bayer Leverkusen): „Der frühe Tod von Andreas Brehme macht mich persönlich betroffen. Ich war acht Jahre alt, als er Deutschland in Italien zum WM-Titel schoss, das war eine meiner ersten bleibenden sportlichen Erinnerungen überhaupt. Nicht nur der deutsche Fußball hat einen großen Verlust erlitten.  Den Hinterbliebenen von Andreas Brehme bekunden wir als Bayer 04 Leverkusen unser tiefes Mitgefühl.“

Keine 180-Grad-Wende, aber: Polzin fordert „Lust auf Defensive“

Keine 180-Grad-Wende, aber: Polzin fordert „Lust auf Defensive“

Merlin Polzin hat seine erste Pressekonferenz als Cheftrainer des HSV hinter sich. Und es ist nicht ehrrührig, wenn man sagt, dass er nervös wirkte. Im Gegenteil: Diese Nervosität darf man gern als Indiz dafür werten, mit welcher Demut und mit welchem Verantwortungsbewusstsein der 33-Jährige dabei seiner neuen Position gegenübertritt. Denn er betrat mit einer Mischung aus großer Vorfreude und eben jener Nervosität das Podium als „Interims-Cheftrainer“ mit der Chance, daraus eine Dauerlösung zu machen. Zumindest stellte ihm dies Sportvorstand Jonas Boldt in Aussicht. „Für mich als Hamburger Jung und als HSVer ist es eine ganz besondere Situation“, sagte Polzin am Freitag – und stellte aber auch klar: „Ich bin hier nicht als Fan oder als früherer Besucher der Spiele.“

Für Polzin, der bislang nur als Cotrainer fungierte, ist es ein märchenhafter Aufstieg, vom HSV-Fan zum Co-Trainer und – vorerst einmal – zum Cheftrainer. Der gebürtige Hamburger sprach am Freitag von einer „sehr intensiven Woche“ beim Aufstiegskandidaten. Und der ganz besondere Höhepunkt dieser ersten Woche als Cheftrainer folgt am Sonnabend mit dem Spiel bei Hansa Rostock (13.00 Uhr/Sky). Dabei soll er die Mannschaft bei Abstiegskandidat Hansa Rostock defensiv stabilisieren und dabei helfen, nicht den Anschluss an den aktuell fünf Punkte entfernten Stadtrivalen FC St. Pauli zu verlieren. Polzins Plan klingt gut. Er wird Tim Walters offensiven Ansatz nicht komplett über Bord werfen, dafür aber an Stellschrauben drehen.

„Wir werden keine 180-Grad-Wende vornehmen“, versprach er und wiederholte die Boldt-Worte vom Montag. Er wolle weiter mit seiner Mannschaft „dominant und mutig“ auftreten, und den „Ball haben“. Polzin sprach von einzelnen Stellschrauben, an denen er diese Woche gearbeitet habe. Auf dem Platz wolle er „dieses Gefühl von Zugriff, von Selbstvertrauen, von einer defensiven Lust“ sehen.

Gerade diesbezüglich hatte der HSV in den letzten Monaten und Jahren immer wieder Probleme. Walters Offensivfußball war spektakulär – aber defensiv nicht ausgewogen. Das hatte man in der Analyse in der Winterpause auch noch mal angesprochen und als Priorität ausgemacht. Walter sollte – mit großer Verspätung – die defensive endlich stabilisieren – was nicht nur statistisch misslang. Auch deshalb hatte auch Walter-Intimus und Sportvorstand Jonas Boldt zuletzt den Glauben verloren, dass Walter die Hanseaten im sechsten Anlauf zurück in die Bundesliga bringt. Den Glauben an das „außerordentliche Trainertalent“ Polzin hat Boldt nicht verloren. Zusammen mit dem „Winterzugang“ Loic Favé soll Polzin den HSV wieder in die Spur Wiederaufstieg leiten.

Im Gegensatz zu Walter kann Polzin wohl wieder auf Kapitän Sebastian Schonlau zählen. Der Innenverteidiger war nach seiner erneut langwierigen Wadenverletzung ins Training zurückgekehrt. Der 29-Jährige könnte eine Option sein. Die Entscheidung werde aber im Sinne des Spielers getroffen und es würde mich schon wundern, wenn Polzin nach gerade eine Woche im Mannschaftstraining das Risiko mit dem Captain eingeht. Ebenso überraschend wäre es für mich, wenn Polzin den aktionistischen Torhüterwechsel von Walter nicht wieder rückgängig machte. Ich gehe fest davon aus, dass Daniel Heuer Fernandes wieder als Nummer eins im Tor steht. Polzin selbst hielt sich zu diesem Thema heute bedeckt und verwies darauf, dass man sich hierzu erst intern gegenüber allen Beteiligten äußern wolle, bevor die Entscheidung öffentlich wird.

Polzins Enthusiasmus ist das, was für ihn spricht. Seine Lust auf Fußball ist spürbar. Polzin, der im Hamburger Stadtteil Bramfeld aufwuchs, war in Osnabrück als Scout und Analyst vom späteren HSV-Trainer Daniel Thioune zum Cotrainer befördert worden. Mit dem späteren HSV-Coach durchlief er die U17 und U19 und kam dann zur Profimannschaft. Thioune nahm Polzin dann auch in die Hansestadt mit. Während der Trainer 2021 gehen musste, blieb Polzin und arbeitete fortan unter Walter.

Polzin gilt als taktischer Tüftler. „Er hat eine hohe Fußballintelligenz“, sagte Lothar Gans dem „Abendblatt“. Der 70-Jährige war zwischen 1998 und 2017 Manager und Sportdirektor in Osnabrück. Und die Hoffnungen von Boldt, den Fans und auch mir beruhen darauf, dass sich hier ein Werdegang ähnlich jenem von Fabian Hürzeler beim FC St. Pauli ergibt. Auch dort überließ der Club dem damals unbekannten Co-Trainer zunächst interimsweise und dann komplett das Amt. Der junge und taktisch versierte Coach führte den Kiez-Club im vergangenen Jahr aus der Abstiegszone und inzwischen an die Tabellenspitze.

Apropos Hürzeler, der kennt Polzin und auch seinen früheren Assistenztrainer Loic Favé, sehr gut. „Mich freut es für Merlin und Loic, dass sie die Chance erhalten. Und ich überzeugt, dass sie das gut machen werden“, lobte der St. Pauli-Chefcoach. Polzins Erfolgsgeschichte soll jetzt anfangen. Und dann könnten sich er und Hürzeler beim nächsten Stadtderby am 5. Mai vielleicht gegenüberstehen.

Fazit: Es gilt, das junge Trainerteam maximal zu unterstützen. Aber um das hier auch in aller Deutlichkeit zu sagen: Berechtigte Kritik wird benannt und nicht verschwiegen. Ich mal Polzin, ich mag Favé – und es würde mich tierisch freuen, wenn aus dieser Konstellation eine Erfolgsgeschichte würde. Potenzial dafür ist vorhanden. Dennoch wäre ich unehrlich, wenn ich nicht auch Bedenken äußern würde. Polzins Auftritt vor der Öffentlichkeit heute war sympathisch und authentisch – aber er war logischerweise auch nervös. Und so normal ich das finde, so lässt es mich als Fußballer auch ein wenig zweifeln. Und zwar daran, wie sich die Mannschaft auf Dauer unter ihm verhalten wird. Vor allem dann, wenn es mal Zweifel an seiner Taktik, seinen Aufstellungen und seinen Entscheidungen im Generellen gibt.

Diese Autorität kann er noch gar nicht haben. Wie auch…? Bislang war er der Cotrainer, der nah an der Mannschaft und mit allen per Du gearbeitet hat. Jetzt muss er die Entscheidungen selbst treffen und ist selbst der „Schuldige“ bei allen Spielern, denen das nicht gefällt. Hoffen wir mal, dass die nächsten Wochen so erfolgreich werden, dass diese Zweifel schon aus sportlichen Aspekten nicht zugelassen werden. Denn diese Chance besteht. Und ich persönlich wünsche es Polzin, Favé und dem HSV, dass sie diese Chance nutzen!

In diesem Sinne, bis morgen. Dann gibt es nach dem Spiel wieder ein Blitzfazit – hoffentlich mit einem Auswärtssieg im Rücken!

Scholle

Letzte Patrone? Jonas Boldt geht in Trainerentscheidung all in

Letzte Patrone? Jonas Boldt geht in Trainerentscheidung all in

Mit betonter Ruhe hat Jonas Boldt seinen Job auf der Empore des HSV-Presseraums hinter sich gebracht. Und er erinnerte mich dabei ein wenig an meinen Vater. Der hatte früher, wenn wir auf dem Weg zu einem meiner Fußballspiele oder auf dem Weg in den Urlaub waren, auch immer extrem überzeugend gesagt, wo er als nächstes langfahren musste. Dass wir dabei schon zum wiederholten Male dieselbe Stelle passierten, merkten einige im Auto gar nicht. „Jetzt müssen wir hier und danach dorthin“ hieß es vom Fahrersitz – und alle folgten. Ähnlich wie Boldt, der die lang überfällige Trainerentlassung mit einer Souveränität über die Bühne brachte, als habe er alles im Griff.

Allerdings muss man nicht lang dabei sein, um zu wissen, dem mitnichten so ist. Denn bei allen lobenden Worten über den bisherigen Cotrainer Merlin Polzin ist auch klar, dass der HSV in Sachen Trainerposition seinen Job nur unzureichend erfüllt hat. Und Boldt versuchte, diesem Umstand mit Gelassenheit zu begegnen. Die Tatsache, dass der am Sonntagabend geschasste Tim Walter schon sehr lang zur Disposition stand und man es verpasste, dem neuen Trainer die Winterpause Vorbereitungszeit mit seinem neuen Team zu geben, begegnete Boldt betont entspannt. Nach außen. „Es ist ja jetzt nicht so, dass wir abgeschlagen sind und in der tiefsten Krise aller Krisen sind“, sagte der Sportvorstand des HSV. Aber: Auch für Boldt ist die Entlassung Walters eine herbe Niederlage. Er muss eingestehen, dass auch seine dritte Trainerwahl nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat.

Und jetzt Polzin. Zusammen mit dem jungen und gerade zum HSV gewechselten Nachwuchstrainer Loic Favé soll das 33 Jahre junge „außergewöhnliche Trainertalent“ am Wochenende in Rostock den Umschwung einleiten. Der gebürtige Hamburger, der zuletzt unter Walter als Co-Trainer gearbeitet hatte, bekommt das Vertrauen als Interimstrainer ausgesprochen. Boldt: „Und das aus voller Überzeugung.“ Logisch! Wie auch sonst…? Dass der HSV in Person Boldts samt seinem Sportdirektor Claus Costa die Chance verpasst hatte, einen neuen Trainer zu präsentieren, wird als gewollt dargestellt. Die einen nennen die Entscheidung für Polzin/Favé mutig. Andere (wie ich) sehen darin ein erneutes Versäumnis. Denn wäre Boldt tatsächlich so überzeugt von Polzin, wie er es sagt, würde er ihm entweder komplett die Chefposition andienen – oder das Risiko vermeiden, das außergewöhnliche Trainertalent in dieser Übergangssituation zu überfordern und darin vielleicht sogar zu verbrennen. Meine Meinung: Diese Lösung ist eine unentschlossene Notlösung.

Mit Polzin/Favé als Trainerteam. Mit zwei jungen Trainern, von denen ich sehr viel halte, wie Ihr wisst. Favé, den ich schon seit seinen frühen Anfängen beim ETV in Hamburg kenne und schätze, traue ich in den nächsten Jahren eine erfolgreiche Cheftrainerkarriere zu. Polzin ebenso, wobei ich den HSV-Cotrainer fachlich nicht so gut kenne wie Favé. Aber die Frage, warum ausgerechnet ein Cotrainer von Walter schaffen soll, der seit zweieinhalb Jahren dabei ist und es nicht schaffte, die Defensivprobleme so anzusprechen, dass sie gelöst werden – bleibt zumindest offen. Und damit trete ich weder Polzin noch Favé zu nahe.

Ganz im Gegenteil: Ich sehe sie hier nur unnötig vor Probleme gestellt. Sollte es am Ende gut gehen und der HSV vielleicht sogar mit dem jungen Trainerduo, das aktuell den Lehrgang zum Fußballehrer absolviert, tatsächlich aufsteigen, wäre es in etwas so, als wäre man mit Walter aufgestiegen. Beides war/ist möglich. Aber das Risiko ist bei beiden Lösungen unvernünftig groß gehalten. Und warum Boldt schon die Warnsignale bei Walter über Monate ignorierte und keinen Plan B aufstellte, das ist eine Frage, mit der sich normalerweise der Aufsichtsrat beschäftigen müsste. Problem hierbei: Dieser Rat ist tatsächlich sogar noch weniger auf Krisensituationen vorbereitet…

Auch deshalb macht der HSV, was er in den letzten Monaten schon bei allen Trainerdiskussionen gemacht hat: Er betont die im Umfeld entstandene Euphorie, die wirtschaftlichen Ergebnisse und nennt alles zusammen „Aufbruchstimmung“. Und dabei geht der HSV weniger den rational vernünftigen Weg mit einem neuen Cheftrainer, den man in den letzten Wochen schon gesprochen und mit dem man Lösungen für das bestehende Defensivproblem besprochen hat. Stattdessen soll es Polzin auf seiner ersten Cheftrainerstation richten. Und ja, es könnte eine schöne Geschichte werden, eine echte Erfolgsgeschichte. Denn sollte Polzin seinen Job gut erledigen – was ich wirklich sehr hoffe und wofür ich dem jungen Interimscoach beide Daumen drücke! – könnte er dauerhaft das Vertrauen bekommen. Aber bei solchen Entscheidungen sollte man weniger die Aussicht auf eine schöne Story als Entscheidungsgrundlage nehmen, sondern vor allem Fakten und Wahrscheinlichkeiten und dem Aufstieg alles unterordnen.

Aber ich glaube, das macht der HSV schon länger nicht mehr. Auch jetzt nicht.

So viel zur Einschätzung der aktuellen Situation. Ab morgen werden wir uns wieder dem zuwenden, was aktuell ansteht: Und das ist das Spiel bei Hansa Rostock.

Euch allen einen schönen Abend!

Scholle