Also, um das ehrlich zu sagen: Hätte ich vor der Saison die Wahl gehabt, Merlin Polzin oder einen Mann, der schon in der ersten Reihe stand, zum HSV-Coach zu machen – ich hätte letztere Variante gewählt. Die „Reaktionen innerhalb der Mannschaft, innerhalb des Vereins, innerhalb der Fanszene“ sowie die Arbeit auf dem Trainingsplatz und die neue offensive Ausrichtung des HSV hätten dazu geführt, dass Kuntz heute seinem Jungtrainer Polzin bis zur Winterpause eine Jobgarantie als Chefcoach aussprach. Kuntz heute: „Dieses Vertrauen kommt voller Überzeugung!“
Und obgleich ich weiß, dass er das in seiner Situation so sagen muss, halte ich die von Kuntz getroffene Wahl für aktuell zielführend. Polzin und den frisch gebackenen Uefa-Lizenz-Inhaber Loic Favé (Glückwunsch dazu!) zum Trainergespann zu machen, dass bis zur Winterpause den HSV führt, rührt aus einer schwachen Vorbereitung – hat aber angesichts dieser Umstände mehr Vor- als Nachteile.
Was ich meine: Nach Darmstadt hat der HSV noch zwei Spiele bis zur kurzen Winterpause. Eine insgesamt überschaubare Zahl, die die beiden Jungtrainer zu bewältigen haben. Der Auftakt hierfür war am vergangenen Wochenende erfolgreich mit einem 3:1-Auswärtssieg beim KSC. Klar ist: Erst die nächsten Spiele werden zeigen, inwieweit Polzin und Favé ausreichend Wirkung auf die Mannschaft haben. Aber Fakt ist eben auch, dass ich beide mit erfolgreichen Spielen für eine Weiterbeschäftigung qualifizieren können. Zumindest aber können Sie es dem Sportdirektor schwer machen, einen neuen Trainer zu argumentieren. Für die beiden Youngster ist das zum einen eine große Chance und ein nicht minder großes Risiko (für Kuntz) zugleich. Denn sollten die beiden Jungtrainer nicht funktionieren, dürfte es fortan schwierig werden, sie im Trainerstab zu behalten.
Und wie bereits erwähnt, würde ich einen neuen Trainer zum jetzigen Zeitpunkt wirklich nur dann begrüßen, wenn es ein Kandidat wäre, bei dem an die Fantasie haben darf, dass er auch die nächsten Jahre hier in Hamburg Cheftrainer ist und erfolgreich arbeitet. Diese Variante hat der HSV bislang nicht finden können, daher verschafft man sich mit dieser bislang erfolgreichen Interimslösung Zeit. Zeit, wie man sinnvoll nutzen muss, indem man die Abläufe rund um das junge Trainerteam ebenso detailliert beobachtet, wie den aktuellen Trainermarkt. Der frühere HSV-Profi Raphael Wicky (zuletzt Young Boys Bern) und der Schwede Henrik Rydström (Malmö FF) gelten im Hintergrund immer noch als Kandidaten. Kuntz schloss am Freitag aber auch ausdrücklich nicht aus, „dass ich mich weiter mit anderen Trainerkandidaten treffe“.
Ich hatte es in vorangegangenen Blogs schon geschrieben, eine altbekannte Lösung, wie beispielsweise der zweifellos gute Trainer Bruno Labbadia eher einfallslos rüberkämen und nur schwer zu vermitteln wäre. Das wurde auch Kuntz in wiederkehrenden Gesprächen mit Mitarbeitern deutlich gesagt, wie er zugab. Und auch ich hätte – trotz aller Wertschätzung für Labbadia! – damit meine Probleme, weil ich von diesen Retorten nicht viel halte. Sie nehmen dem ganzen Neuanfang immer auch ein Stück weit Hoffnung, dass der HSV wirklich mal guten Zeiten entgegenläuft…
Ich glaube tatsächlich, dass es beim HSV nach dem Try&Error-Prinzip der letzten Jahre an der Zeit ist, einen mutigen Weg mit einem klaren Plan zu gehen. Rydström nenne ich immer wieder – und ich meine ihn stellvertretend für einen ganz eigenen Ansatz, der woanders schon funktioniert hat. Egal, ob es der Schwede oder sonst wer wird, es wäre ein Weg, bei dem klar ist, dass man ihm Zeit geben muss. Allerdings muss dieser Weg parallel dazu auch immer die Option innehaben, sofort aufzusteigen, wenn es funktioniert.
Ich bin sehr gespannt, wie sich Polzin und Favé, denen ich allen Erfolg dieser Welt gönne, schlagen werden. Beide werden wieder alles daransetzen, mit der Mannschaft so erfolgreich zu sein, dass ein Festhalten an ihm als Nummer 1 zu vertreten ist. Dass ihm hierfür Ausstrahlung fehlt, check! Allerdings weiß ich auch, dass Polzin in den letzten Jahren intern immer als der Trainer erachtet wurde, der ein gutes Gespür für die richtige Taktik hat. Dazu kommt mit Favé ein ebenso junger Mann, der den Fußballtrainerjob von der Pike auf gelernt hat und ihn jeden Tag mit jeder Faser seines Körpers lebt. Ich weiß, dass das abgedroschen klingt, aber so wissbegierig und fußballbesessen wie Favé sind tatsächlich nicht alle.
Aber trotzdem, um das auch ganz klar zu sagen: das sind natürlich keine Qualitätsmerkmale, die allein ausreichen um ein guter Trainer zu sein. Erst der Doppelpass mit einem erfolgreichen Auftreten der Mannschaft in der Liga kann ein Argument sein. Und ja, die Geschichte, dass aus der Not eine Tugend wird, haben wir immer wieder erlebt. In diesem Fall würde sie sogar eine sehr schöne Geschichte werden. Denn Polzin stand schon in der Jugendzeit regelmäßig auf der Nordtribüne des Volksparkstadions. An diesem Sonntag wird er sein Jugendstadion gegen Darmstadt 98 (13.30 Uhr, Volksparkstadion) zum ersten Mal als verantwortlicher Trainer des HSV betreten. Sich auch in den nächsten drei Spielen als mögliche Dauerlösung empfehlen zu können, treibt Polzin an.
„Das ist ein Antrieb, der noch mehr pusht für das Wochenende“, sagte der gebürtige Hamburger zu seiner großen Chance. „Ich habe Bock darauf, das Stadion wieder zu einer Festung zu machen gemeinsam mit der Mannschaft“, sagte Polzin. Dieses Pathos bedient er im Gegensatz zu Baumgart sehr gut. Seinen Aufstieg von der Fantribüne auf die Trainerbank blendet Polzin für dieses Ziel aus. „Der HSV ist für mich ein sehr besonderer Verein. Aber ich kann meine Rolle definitiv davon trennen“, sagte er. „Ich bin hier als Fußball-Trainer angestellt. Während der 90 Minuten habe ich keine Zeit, darüber nachzudenken, was früher einmal war.“
Hoffen wir mal, dass er am Sonntag nach dem Spiel weiter davon träumen darf, dauerhaft die Nummer eins beim HSV auf der Trainerbank zu sein. Immerhin: Ein Sieg gegen das sehr formstarke Team aus Darmstadt und der HSV würde bis auf einen Punkt an Spitzenreiter Paderborn ranrücken. Der SCP (2:4 gegen Schalke) unterlag heute ebenso wie der mit dem HSV punktgleiche FCK, der in Elversberg mit 1:2 verlor. Soll heißen: Ein Sieg würde den HSV wieder auf den zweiten Platz hieven – und Polzin weiter träumen lassen…
Merlin Polzin bleibt vorerst auf der Trainerbank. Nach der Leistungssteigerung beim 3:1-Auswärtssieg in Karlsruhe nicht unbedingt verwunderlich – aber wohltuend überlegt. Der bisherige Topkandidat Bruno Labbadia wird sich entsprechend noch ein wenig gedulden müssen, sofern er dann noch bereitsteht. „Das ist das Risiko in solchen Situationen“, hatte HSV-Sportvorstand Stefan Kuntz zuletzt auf die Frage geantwortet, was denn passieren würde, wenn dadurch ein Kandidat abspringt. Und auch heute legte der sportlich hauptverantwortliche Mitarbeiter der HSV AG einen überlegten Eindruck an den Tag, als er Interimstrainer Merlin Polzin und seinem Team das Vertrauen auch für die bevorstehende Partie gegen Darmstadt aussprach. „Ich habe bei der Mannschaft eine Befreiung gemerkt. Wir werden den Schwung nicht unterbrechen. Merlin wird mit seinem Team auch das Heimspiel machen. Er und der Staff drumherum haben es schon sehr gut gemacht. Merlin Polzin wird deshalb mit seinem Team das Heimspiel gegen Darmstadt 98 machen.“
Dabei wirkte Kuntz sehr reflektiert. „Ich habe das Team die gesamte Woche über eng begleitet, zusätzlich auch in Karlsruhe vor dem Spiel sowie in der Halbzeit und auch nach dem Spiel. Ich habe das alles sehr genau verfolgt, auch die Reaktion der Mannschaft. Deshalb war es meine Überzeugung, diese Entscheidung so zu treffen. Dies habe ich zusätzlich im Vorstand und mit der sportlichen Führung besprochen und abgestimmt und habe Merlin im Anschluss die Entscheidung noch am Sonntagabend mitgeteilt. Er und sein Team haben sich diese Entscheidung verdient.“ Stimmt.
Sportvorstand Kuntz schließt nichts mehr aus
Und der HSV gewinnt damit etwas Zeit bei der Trainersuche. Denn Polzin wäre zum jetzigen Zeitpunkt sicher noch nicht enttäuscht, wenn er wieder ins zweite Glied zurückgehen müsste. Dafür gab es auch beim Sieg beim KSC noch zu viele Kritikpunkte, wie auch Kuntz heute noch einmal betonte. Ohne eine gewisse Portion Spielglück für den HSV hätte die Partie definitiv auch anders enden können. Von daher ist das Polzin-Konstrukt zurecht weiterhin auf Probe zu verstehen. „Natürlich hat gestern in Karlsruhe noch nicht alles gestimmt und es gibt für diese Woche im Training auch weiterhin noch genug zu tun, aber alles in allem hat es das Trainerteam mit dem gesamten Staff zusammen sehr gut gemacht. Und vom Ergebnis her war das Karlsruhe-Spiel ein Ausrufezeichen.“
Ob Polzin auch im Anschluss Cheftrainer bleibt oder bis dahin ein neuer Chefcoach verpflichtet wird, ist noch offen. Kuntz hält sich diesbezüglich auch bedeckt und verweist auf interne Prozesse, die aktuell laufen. „Ich schließe gar nichts aus. Man könnte sarkastisch sagen, dass wir eine Woche Zeit gewonnen haben. Wir lassen uns nicht treiben, es muss eine gute Entscheidung werden“, so Kuntz. „Es ist eine offene Entscheidung. Die Zeit lassen wir uns und prüfen im Hintergrund die verschiedenen Möglichkeiten weiter.“ Ergo: Keine Entscheidung aus der Emotion heraus. Genau so muss es sein!
Zumal zuletzt zu hören war, dass man Labbadia einen Vertrag bis Saisonende habe anbieten wollen, um danach dann einen neuen Cheftrainer zu präsentieren. Sollte man tatsächlich diesen Gedanken haben, wäre es angesichts der Leistungssteigerung des HSV unter Polzin n8r logisch, an ihm und seinem Team erst einmal festzuhalten, sollte man diese positive Tendenz auch in die nächsten Spiele retten. Fakt ist aber auch: Sollte der HSV eine langfristige Lösung auf dem Trainermarkt finden, von der man 100-prozentig überzeugt ist, muss man handeln. Denn der HSV ist sicher interessanter als viele andere Klubs – aber Schlange steht hier auch niemand mehr, wie die bisherige Trainersuche auch noch mal gezeigt hat.
Ist Polzin mehr als nur eine Übergangslösung?
Aber bis dahin gilt auch: Volle Unterstützung für Polzin und sein Trainerteam, das sich mit einem sehr emotionalisierenden Video vor dem KSC-Kick in die Köpfe der Spieler dribbelte und alte Kräfte neu freisetzte. Und wie mein Geschichtslehrer schon sagte, gilt auch hier, dass die Bestätigung des Trendes erst einen echten Trend daraus macht. Soll heißen: Gegen Darmstadt wird sich zeigen, wie belastbar dieser zarte Aufwärtstrend des HSV ist. Und ich hoffe, dass es dem fleißigen, loyalen jungen Trainer Merlin Polzin erneut gelingt, seine Mannschaft zum Laufen zu bringen. Denn eines ist auch klar: Diese HSV-Mannschaft ist körperlich nicht bei 100 Prozent. Auch deshalb wurde der Fitnesstrainer als eine der ersten Amtshandlungen nach der Entlassung Steffen Baumgarts ebenfalls freigestellt.
Abwarten. So, wie es der HSV jetzt macht, gefällt es mir nach der zu späten Entlassung Baumgarts ehrlich gesagt gut. Ruhig bleiben, dem jungen Trainernachwuchs die Chance geben – und dann bis zum Vorbereitungsbeginn in der Winterpause eine Entscheidung treffen. So klingt ein gut überlegender Klub. Ob es nur daran liegt, dass die Wunschkandidaten abgesagt haben, es ist für diesen Moment nebensächlich. Manchmal schreiben die Zufälle ja die schönsten Geschichten. Und vor allem ist mir alles lieber als eine vorschnell geholte Übergangslösung bis Saisonende. Die kostet extra Geld und bietet längst keine Garantie, besser zu sein als Polzin und Co.
In diesem Sinne, hoffen wir mal, dass Polzin, Favé und Co. das Ding rocken. Mindestens bis zur Winterpause…
Der HSV hat mit einem 3:1-Auswärtserfolg auf seine sportliche Krise und die Trennung von Trainer Steffen Baumgart reagiert und ist von zwischenzeitlich Rang 10 auf Rang zwei vorgerückt. Der überragende Jean-Luc Dompé (23. Minute/56.) traf zweimal und bereitete den 3:1-Treffer von Davie Selke (83.) mustergültig vor. Fabian Schleusener hatte in der 36. Minute das 1:1 für den KSC erzielt.
Interimscoach Merlin Polzin stellte beim HSV auf ein offensives 4-3-3-System um, wovon sein Team nach fünf Pflichtspielen ohne Sieg sichtbar profitierte. Trotzdem spricht viel dafür, dass der 34-Jährige bis zum nächsten Spiel gegen den SV Darmstadt 98 für einen neuen Cheftrainer Platz machen muss: Favorit ist weiterhin Bruno Labbadia, der den Club schon zweimal trainierte und der im Laufe der kommenden Woche vorgestellt werden könnte. Allerdings dürfte dieses Spiel die Entscheidung von Kuntz noch einmal erschweren, da der HSV heute nicht nur mit einem guten Plan begann, sondern dieser auch über die 90 Minuten (mit kleinen Ausnahmen zum Ende der ersten und zu Beginn der zweiten Hälfte) durchzog. Oder anders formuliert: Polzin und Co. hatten heute die richtigen Antworten auf die vom KSC gestellten Fragen parat.
Am Ende hatte der HSV zum einen in den entscheidenden Phasen das Spielglück (Wanitzeks 2:1 wurde wegen Abseits‘ aberkannt, im Gegenzug trofft Dompé zum 2:1 für den HSV) auf seiner Seite, zum anderen sorgte eine geschlossene Mannschaftsleistung inklusive eines herausragenden Jean-Luc Dompé für einen alles andere als unverdienten HSV-Auswärtssieg.
Die Einzelbewertungen:
Daniel Heuer-Fernandes: Beim Tor machtlos – ansonsten kaum gefordert. Note: 3
William Mikelbrencis: Er kommt immer besser rein. Allein sein Tempo ist für die ansonsten eher sehr durchschnittlich schnelle Viererkette Gold wert! Dass er bei aller Luft nach oben sich auch offensiv traut – auch gut! ich bin sehr gespannt, wie weit sich der junge Franzose noch steigern kann. Note: 3
Sebastian Schonlau: Wo bitteschön springt der Kapitän denn beim 1:1 hin? Da hat er die Fläche frei vor sich, kann sich komplett am Ball orientieren – und springt vorbei? Das darf nicht passieren! Ansonsten hatte er die Defensive – bis auf eine kurze Phase zum Ende der ersten und zu Beginn der zweiten Halbzeit – vernünftig im Griff. Note: 3
Denis Hadzikadunic: Mit Ball am Fuß ist er immer wieder überfordert. Dafür spielte er in den Zweikämpfen stabil. Im Kopfballspiel konnte er ebenso wenig wie Schonlau Sicherheit reinbringen, das MUSS besser werden. Note: 3,5
Miro Muheim: Schwach verteidigt beim 1:1 – im (fehlenden) Zusammenspiel mit Schonlau, ansonsten sehr präsent. Note: 3
Daniel Elfadli: Durch Mefferts Ausfall rückte er wieder ins zentral-defensive Mittelfeld, und das tat dem HSV immer wieder sehr gut. Schön aggressiv, körperlich und läuferisch präsent. Note: 2
Adam Karabec (bis 88.): Ordentlicher Auftritt. Versuchte viel. Und obwohl nicht alles gelang, war er für das eigene Aufbau- und Offensivspiel wichtig, bis die Kraft nachließ. Aber das war sein bislang stärkster Startelfauftritt für den HSV. Note: 3
Emir Sahiti (ab 88.): Durfte sich noch über etas Spielzeit freuen.
Marco Richter (bis 78.): Er macht wirklich gute Dinge am Ball – aber es fehlt im entscheidenden Moment immer Tempo. Beim Pass, im Abschluss – was schade ist. So aber fehlt mir weiter die Fantasie, wie er dem HSV auf lange Sicht helfen kann, abgesehen von Jokerrollen. Dass nach Baumgart auch Polzin das anders sieht, spricht gegen mich – aber mir fehlt sein klarer Mehrwert fürs HSV-Spiel. Note: 3
Lukasz Poreba (ab 78.): Dabei.
Bakery Jatta (bis 66.): Das grenzte schon an Verweigerung! Er war eindeutig der Schwachpunkt im HSV-Spiel. Weil er nicht so wirkt, als würde er alles aus sich herausholen. Dabei ist das eh überschaubar: Er soll Tempo machen – immer! Viel mehr ist bei ihm nicht zu holen. Aber beides – Einsatzwillen und Tempo – zeigte er nicht. Dass fast alle gefährlichen Angriffe des KSC über seine Seite kamen, lag auch an ihm. Note: 5
Fabio Baldé (ab 66.): War sofort bemüht, sein Tempo einzubringen, was ihn schon wertvoller machte als seinen Vorgänger heute. Note: 3
Jean-Luc Dompé (bis 88.): Der Unterschiedsspieler in der HSV-Offensive. Den Abschluss nach dem Fehler von KSC-Keeper Weiß zum 1:0 war schon extraklasse! Das 2:0 noch geiler – und dann der Pass zum 3:1, mehr geht einfach nicht. Note: 1+
Immanuel Pherai (ab 88.): Dabei. Endlich wieder.
Ransford Yeboah Königsdörffer (bis 78.) : Er hatte gleich zwei große Torchancen in den ersten 12 Minuten, mit denen er das Spiel klar in die Richtung des HSV hätte drehen können/sollen/müssen. Er vergab leider unglücklich. Die Bälle, die er bekam, dürften bei Selke auf der Bank Sehnsüchte geweckt haben – denn die gab es so in der Art und Menge schon recht lange nicht mehr… Aber Königsdörffer verdiente sich auch wieder über den Fleiß Extrapunkte, daher gibt es die Note: 2,5
Davie Selke (ab 78.): Sollte die letzten Minuten offensiv für Entlastung sorgen, was er perfekt umsetzte. Deshalb (und weil er hier zuletzt viel kritisiert wurde) bekommt er für seine Umsetzung der Vorgaben ausnahmsweise die Note: 1
Trainer Merlin Polzin: Dass seine Mannschaft körperlich nicht bei 100 Prozent ist, ist ein Manko, das er mitzuverantworten hat. Aber er hat der Mannschaft Spielidee eingeimpft und vor allem mit seinen Wechseln endlich dem Spiel geholfen. Dass heute die entscheidenden Szenen für den HSV ausgingen, muss man ehrlich so sehen. Aber diese Leistung war engagiert, mutig – und somit der Sieg erarbeitet und zurecht. Den Ruf, jetzt automatisch an ihm festzuhalten, mussten die Verantwortlichen einkalkulieren und jetzt auch durchziehen. Sollte der HSV kommendes Wochenende wieder in sich zusammenbrechen – okay! Aber so darf das Du Polzin/Favé zurecht darauf hoffen, eine weitere Chance zu bekommen. Note: 2
Der HSV steckt in den letzten Vorbereitungen auf das schwere Auswärtsspiel beim Karlsruher SC am Sonntag. Merlin Polzin und Loic Favé sollen interimistisch die Mannschaft wieder in die Spur bringen – in dem Wissen, wohl schon nach dem einen Spiel vom neuen Cheftrainer abgelöst zu werden. Die Frage, wer der Nachfolger des am Sonntag entlassenen Steffen Baumgart wird, scheint tatsächlich noch offen – mit einem Favoriten, wenn man den Kollegen glauben darf. Bruno Labbadia soll der Topfavorit sein und nach Möglichkeit schon direkt nach dem Spiel in Karlsruhe vorgestellt werden. Deshalb hat sich Mats Beckmann von Createfootball.com die Mühe gemacht, die Kandidaten auf ihre Kompatibilität zu prüfen. Mit sehr spannenden Ergebnissen und einem klaren Favoriten. Wer das ist und ob der HSV das genauso sieht, könnt Ihr im neuen Analyse-Talk hören. Spoiler: Bruno Labbadia ist es hier nicht…
Wobei es wie zuletzt so oft beim HSV auch gar keine Auswahl des HSV ist, sondern vielmehr nach dem Ausschlussverfahren gehandelt wird. Denn die allermeisten Kandidaten wollen oder können gerade nicht zum HSV. Kandidaten wie Urs Fischer, Lukas Kwasniok („Ich habe in Paderborn einen Vertrag und konzentriere mich allein darauf“) haben abgesagt und andere, wie Ruud van Nistelrooy beispielsweise, haben andere, besser dotierte Angebote höher rangierender Klubs (Leicester).
Die Frage nach dem Profil für den neuen Trainer beantworten Mats und ich in dem Video (Analyse) ausführlich. Und auch der HSV wird diese Parameter ansetzen, da der Kader genau danach verlangt und auch so zusammengestellt wurde. Weshalb Baumgart von seinem eigenen Weg (hohes, laufintensives Pressing) komplett abgewichen war und warum die Verantwortlichen nicht schon früher auf diese Führungslosigkeit reagiert haben, ist mir weiterhin unverständlich. Fakt für mich aber ist, dass der HSV beim nächsten Trainer eigentlich keine Kompromisse eingehen darf. Dafür sollte man mutig sein und eine klare Idee entwickeln, nach der der Trainer ausgesucht wird. Deswegen wäre auch jemand wie Henrik Rydström für mich eine sehr spannende Entscheidung gewesen. Leider scheint auch er kein Interesse am HSV zu haben.
Der HSV-Verantwortlichen fehlt der Mut zur Veränderung
Ich bezweifle allerdings auch, dass die Verantwortlichen hier den Mut dazu haben, eine derart überraschende Lösung zu präsentieren. Ich glaube nicht einmal, dass die vereinseigene Scoutingabteilung überhaupt nach solchen Trainern gesucht hat. Trainer, die eine eigene Idee mitbringen, die auf Entwicklung der Mannschaft und des Trainers basiert. Denn eines ist klar: Bruno Labbadia kommt nicht hierher und entwickelt etwas Neues. Labbadia wird seine Idee von Fußball, die er schon zweimal in Hamburg präsentieren durfte, erneut umsetzen wollen. Da dürfte uns nichts überraschen. Oder anders formuliert: Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich jetzt eine gewisse Portion Verlässlichkeit holt, ist groß. Rydström, den ich nur stellvertretend für sicher einige solch innovativer Trainer nenne, wäre jemand, mit dem man die Uhren in Hamburg auf Null stellt. Er würde von vornherein Entwicklungszeit bekommen müssen, um seine Idee auch in der Kaderkonstellation umzusetzen. Vielleicht ja auch mit Hilfe eines Insiders – immerhin hospitierte der aktuelle Interims- und bald wieder Cotrainer Merlin Polzin bereits bei dem Schweden, wie mir Mats gerade verriet.
Ich bleibe auch dabei, dass dieser HSV auf so vielen Ebenen Baustellen hat, dass eine zu beheben nicht ausreichen wird. Im Gegenteil: Der neue Trainer ist nur ein kleines Teil im Gesamtkonstrukt, in dem neben den Gremien und deren Einfluss auch der aktuelle Kader an vielen Stellen auf den Prüfstand gehört. Vor allem auf der Ebene der so genannten Führungsspieler muss man genau analysieren, inwieweit die fußballerisch zweifellos für dieses Team wichtigen Spieler denn auch wirklich führen. Meffert? Eher nicht. Schonlau? Zu ruhig. Daniel Heuer Fernandes? Zu weit hinten, um wirklich dauerhaft Einfluss zu nehmen im Spiel. Allein Davie Selke gibt es vom Typ her. Hört man in die Mannschaft hinein, wird er als jemand genannt, der klare Ansagen macht. Allein fußballerisch kann er selbst seine Führungsrolle noch nicht rechtfertigen. Zumindest nicht mehr, seitdem Robert Glatzel verletzt und er somit konkurrenzlos gesetzt ist.
Labbadia soll nur bis Saisonende unterschreiben
Ich werde immer wieder nach Friedhelm Funkel gefragt. „Erstmal nur bis Ende der Saison, dann kann man beim HSV den Neuanfang in Ruhe planen“ heißt es begleitend dazu immer wieder. Auch bei Labbadia ist jetzt zu hören, dass er wohl nur einen Vertrag bis Saisonende unterschreiben soll und danach unabhängig vom Ausgang ein neuer Trainer präsentiert werden soll. Das gibt den verantwortlichen ebenso wie den potenziellen Kandidaten Zeit, alles zu sortieren und die bestmögliche Lösung zu finden. Trotzdem frage ich mich, warum man nicht auf eine Entlassung Baumgarts vorbereitet war und schon jetzt den Trainer versucht zu holen, den man auch im Sommer 2025 hier sehen will. Dann kann der sich etablieren und die gesamte Phase nutzen, um den Neuaufbau schon ab Wintertransferphase einzuleiten. Fände ich praktischer. Und es würde Zeit sparen.
Ich vertraue den Abläufen beim HSV nicht – ich sehne den Umbruch herbei
Ich glaube vor allem, dass ich einfach den alten Abläufen nicht mehr vertraue und mir deshalb so sehr Veränderung herbeiwünsche. Deshalb will ich auch keine altbekannten Namen als Trainer, sondern frischen Wind und einen Chefcoach, der unbedarft an die Aufgabe geht. Einer, der sich an Hamburg gewöhnen muss. Und einer, den die Hamburger erst kennenlernen müssen. In dem Fall wäre ich sogar absolut gewillt, diesem Aufbau länger Zeit zu geben. In diesem Fall – und nur in diesem – würde ich für mich auch damit klarkommen, wenn der Aufstieg weiterhin das Ziel bleibt, der Aufbau einer nachhaltigeren Kader-Trainer-Klub-Struktur aber den absoluten Vorrang erhält. Denn das wurde im Sommer wie auch in den Jahren zuvor leider verpasst – womit wir zum Thema Kaderzusammenstellung kommen. Aber dazu später mehr.
Euch wünsche ich jetzt einen ebenso entspannten wie sportlich unterhaltsamen Sonnabend. Bis morgen nach dem Auswärtsspiel! Dann wieder mit einem Blitzfazit, für das ich mir aber vor allem Merlin Polzin und Loic Favé wünsche, dass es einen positiven Inhalt hat. Denn eines ist auch klar: Polzin macht sicher noch keinen son stabilen Eindruck, dass man ihn dauerhaft zur Nummer eins macht – aber er wird wichtige Erfahrungen sammeln, die ihn als Nummer zwei im Trainerstab noch mal reifen lassen. Dass er jetzt schon drei Cheftrainer „überlebt“ hat und von unterschiedlichen Vorständen jeweils zur bestmöglichen Interimslösung ernannt wurde, spricht definitiv für ihn. Inhaltlich scheinen die Verantwortlichen auf seine Expertise zu vertrauen. Von daher hoffe ich sehr, dass Polzin jetzt auch von der Mannschaft in Karlsruhe zumindest in Form eines extrem couragierten Auftrittes belohnt wird. Am liebsten mit drei Punkten als Ergebnis…
Zugegeben, einen neuen Trainer für den HSV zu finden, der sofort funktioniert, ist nicht einfach. Allein in den Jahren der Zweitligazugehörigkeit hat der HSV schon alle verschiedenen Trainertypen ausprobiert. Vom jungen Proficoach aus dem eigenen Nachwuchs über Konzepttrainer, alte Hasen, Überzeugungstäter und Malocher war alles dabei. Teilweise mehrfach. Aufgestiegen ist der HSV dennoch nicht. Noch nicht. Wobei die aktuelle Phase den sportlich Verantwortlichen Vorstand, Stefan Kuntz, zurecht zweifeln und reagieren ließ. Wen er jetzt holen soll, werde ich immer wieder gefragt. Und ich gehe darauf am Ende dieses Blogs auch gern ein. Aber vorwegschicken möchte ich, dass der HSV weniger ein Trainerproblem hat, denn ein Problem mit der eigenen Wahrnehmung, der eigenen Positionierung.
Denn inzwischen gibt es schon zwei dem Erfolg extrem abträgliche Gruppierungen, die den HSV lähmen werden, solange sie existieren. Zum einen sind da diejenigen, die sich mit dem HSV als Zweitligist anfreunden. Angefeuert wurde diese Diskussion in der Ära von Tim Walter (vor allem auch vom Trainer selbst), in der der Zuschauerzuspruch und die Stimmung im Stadion gleichgesetzt wurde mit einem allgemein gültigen Einverständnis dafür, was auf dem Platz geboten wird. Ein Unternehmen wie der HSV darf sich eine solche dem Leistungsprinzip komplett abträgliche Haltung nicht erlauben. Nie! Schon gar nicht von den Spitzenfunktionären vorgelebt. Den betonten Zusammenhalt und Schulterschluss mit den Fans kann man genauso leben, wenn man den eigenen Anspruch maximal hochhält.
Beim HSV ist es nie allein der Trainer, sondern ein bestehender Fehler im Gesamtsystem
Die Kunst hierbei ist nur, dass man den schmalen Grat zwischen maximalem Anspruch und der falschen Arroganz, diesen Erfolg als selbstverständlich zu erachten, wandeln muss. Und das ist in Hamburg noch keinem gelungen, seitdem man in der Zweiten Liga angekommen ist. Wenn ich dann derart Kommentare wie den des Weser Kuriers lese, ärgert es mich schon. Dort heißt es: „Dem Hamburger SV fehlt es nicht an Geld, sondern an Zusammenhalt und Besonnenheit. Nach dem Abstieg 2021 drohte Werder wie ein zweiter HSV zu werden. Nur Platz zehn nach einem Drittel der Saison, ein Impfpassfälscher auf der Trainerbank, eine chaotische Außendarstellung – doch dann gelang die Wende. Dank der Besonnenheit von Ole Werner und dank eines großen Zusammenhalts gelang der Aufstieg. Gefühlt drückte die ganze Stadt Werder im Mai 2022 durchs Tor zur 1. Liga. Hamburg sollte sich Bremen zum Vorbild nehmen.“
Blödsinn! Zumindest in den genannten Punkten. Denn in Hamburg kommen gegen die schwächsten Zweitligateams regelmäßig über 50.000 Menschen ins Stadion, die damit ihren Zusammenhalt ausdrücken wollen. Beim HSV ist der Support keinen Millimeter weniger gut als bei den größten Teams der Welt. Daran hapert es hier schon lange nicht mehr! Aber: Dieser Support allein schießt keine Tore und sichert keinen Aufstieg. Dafür sind immer noch die führenden Mitarbeiter und letztlich die Spieler des HSV verantwortlich. Vielleicht hat das Werder-Personal besser funktioniert, das kann ich nicht beurteilen. Aber ansonsten hat der HSV alles, was man braucht – abgesehen von einem funktionierenden Funktionärs-Konstrukt.
Viele fragen mich immer wieder, warum ich Jonas Boldt nicht zerrissen habe, nachdem er wiederholt den Aufstieg als Vorstandsboss nicht erreichen konnte. Meine einfache Antwort: Weil er intern Prozesse angeschoben hat, die wichtig waren, um eben diese grundverkehrte, anti-leistungsorientierte Haltung in und um den HSV herum abzuschaffen. Und bei allen Fehlern, die Boldt zweifellos gemacht hat, war er der Erste, der sich nachhaltig gegen die zerstörerische Selbstgefälligkeit der Aufsichtsräte, eines Beirates und anderer Gremien sowie Kühnes auflehnte. Boldt schaffte es, die Geschäftsstelle zu einen und den HSV in Themen wie Jatta und Vuskovic zu einem verschworenen Haufen werden zu lassen, was unabhängig von der einzelnen Korrektheit etwas notwendig-gutes ist. So arrogant er dabei manchmal auch rüberkam, er sorgte für CI beim HSV, das sehr wertvoll ist: Unbedingter Zusammenhalt.
Was er nicht schaffte, war, zu erkennen, als Walter gescheitert war. Ob er es aus Überzeugung oder Eigenschutz machte, ist hier zweitrangig. Mit dieser fatalen Fehleinschätzung konterkarierte er seine eigene Leistungshaltung und war fortan nicht mehr tragbar. Oder? Ich behaupte, der HSV hätte sich dennoch nicht trennen dürfen, da man zu diesem Zeitpunkt völlig unvorbereitet war und keinen besseren gefunden hatte. Dass Kuntz die absolute Wunschlösung des AR war, ist nichts als Verschleierung eigener Unzulänglichkeiten der Dame und der Herren im Aufsichtsrat. Oder anders formuliert: Selbstschutz. Oder nein, noch mal anders formuliert: einfach Blödsinn. Kuntz war frei, er ist sympathisch, hat einen großen Namen sowie eine mehr als vorzeigbare, sportliche Vita. Aber es war klar, dass auch er Zeit braucht, um sich beim HSV einzufinden. Er muss erst die vielen Strickfallen erkennen, die dieser deutlich zu politisierte HSV mitbringt. Zudem bedarf es noch viel mehr Zeit, um seinen Gedanken vom Leistungsprinzip zu etablieren.
Dass sich Kuntz zu Amtsantritt davon überzeugen (wie ich hörte: dazu überreden) ließ, an Baumgart festzuhalten, war sein erster Fehler und demonstrierte, dass beim HSV nicht die jeweils Verantwortlichen verantwortlich sind, sondern noch immer zu viel (oft ahnungsloses) Umfeld bei den wichtigsten Entscheidungen Einfluss nimmt. Womit ich zu der anderen Gruppierung komme, die Schuld daran ist, dass dieser HSV weiter in der Zweiten Liga rumdümpelt. Denn diese Gruppierung sieht den Abstieg und die aktuelle Zugehörigkeit des HSV in der Zweiten Liga noch immer als Unfall betrachten und glauben, der HSV sei zu groß für die Zweite Liga. Dem ist mitnichten so, im Gegenteil: So groß das Potenzial des gesamten Umfeldes auch sein mag, in der Wirkung ist dieser HSV momentan ein ganz normaler Zweitligaverein.
Die Selbstwahrnehmung beim HSV ist kontraproduktiv
Das immer wieder zusammengestellte sportliche Potenzial wird von der völlig übersteigerten Selbstwahrnehmung gefressen. Oder will hier jemand ernsthaft behaupten, dass alle Trainer beim HSV zu schlecht waren, um aufzusteigen? Nein, das kann nicht sein! Zumal diese Trainer woanders ja auch funktioniert haben oder funktionieren. Was ich damit sagen will: Der HSV muss sich zuerst in seiner Konstellation maßgeblich verändern, sein Mindset komplett umdenken, damit das Endprodukt – der sportliche Erfolg – umgesetzt werden kann. Das klingt einfach, ist aber angesichts der unzähligen Stakeholder und teilweise noch finanziellen Abhängigkeiten schwierig bis unmöglich. Deshalb scheitern in Hamburg auf Sicht auch noch alle. Und es steht zu befürchten, dass das auch mit dem nächsten Trainer passiert…
Trotzdem wolltet Ihr wissen, welchen Trainer ich beim HSV am liebsten sehen würde: Angesichts des bis hierhin Geschriebenen gibt es keinen, dem ich den HSV empfehlen kann. Hier ist ein Scheitern vorgezeichnet. Also würde ich den Gang zum HSV auch denen nicht empfehlen, die ich am spannendsten finde – wie beispielsweise Roger Schmidt. Dass der zudem eh finanziell und vom Anspruch her in einer ganz anderen Liga als der HSV spielt, macht es noch mal unsinniger, darüber zu spekulieren. Trotzdem werde ich Eure Frage nicht unbeantwortet lassen und schließe mich einem Namen an, den ich bis gestern ehrlich gesagt gar nicht kannte, aber dessen Vita ich mir reingezogen habe: Henrik Rydström.
Der Schwede ist derzeit verantwortlich für Malmö FF und bekannt für seine innovative Spielphilosophie, die auf dem Konzept des „Relationismus“ basiert. Und nein, ich bin kein Freund von einer „Verwissenschaftlichung“ von Taktiken, Spielsystemen etc., aber ich finde den Ansatz von Rydström extrem spannend – und vor allem umsetzbar. Denn diese Spielweise betont dynamische Spielerbewegungen, intuitive Entscheidungsfindung und fluides Passspiel anstelle fester Positionsstrukturen. Ursprünglich inspiriert von brasilianischem Fußball, fördert Rydström eine kreative, improvisatorische Herangehensweise, die auf kurze, präzise Pässe und vertikale Spielverlagerungen setzt. Die Spieler haben in der Offensivbewegung maximale Freiheiten – aber müssen damit ein hergehend immer auch Entscheidungen treffen, also Verantwortungen übernehmen! Defensiv müssen die Spieler zudem in eine geordnete Struktur zurückkehren.
Rydström wäre ein sehr spannender Kandidat, wenn…
Rydströms Ansatz spiegelt demnach die Balance zwischen maximaler (skandinavischer) Disziplin und südamerikanischer Spielfreude wider. Seine Taktik beruht auf der Anpassung an den Ballträger und die Spielentwicklung, anstatt auf starren Formationen zu beharren. Dies erzeugt ein flexibles, schwer vorhersehbares Angriffsspiel, das gegnerische Verteidigungen auseinanderziehen kann. In Malmö hat er diese Philosophie erfolgreich implementiert und damit nicht nur die Spielkultur verändert, sondern auch sportlichen Erfolg erzielt. Und wahrscheinlich gefällt mir dieser Gedanke so, weil der HSV eben diese Mischung aus dem Hervorkitzeln des großen offensiven Potenzials und einer disziplinierten, klaren Defensive noch immer nicht gefunden hat – aber zwingend braucht. Sollte man also zu der Überzeugung gelangen – und das geht nur über den persönlichen Austausch (den ich nicht habe) -, dass Rydström auch vom Typus her zum HSV und dessen Philosophie passt, wäre er für mich ein starker Kandidat.
Ich werde mich am morgigen Mittwoch wieder mit unserem Chefanalysten Mats Beckmann zusammensetzen und über Trainerprofile und Trainernamen diskutieren. Immer unterstützt von der umfassenden Datenbank von Createfootball.com werden wir versuchen, den geeignetsten Kandidaten für den HSV herauszufiltern. Euch habe ich hier schon einmal eine Liste mit Trainernamen zusammengestellt, unter denen Ihr Euren Favoriten wählen – oder am Ende einen eigenen Namen nennen könnt. Ich bin sehr gespannt, zu lesen, wie Ihr es seht!
Und dann noch ein Wort zu den aktuellen Ereignissen im Team: Dass Merlin Polzin an seinem ersten Trainingstag Levin Öztunali in die U21 schickt, ist nachvollziehbar. Der Enkel von Uwe Seeler konnte sich beim HSV nie durchsetzen und scheint sich auch nicht durchsetzen zu können. Dass man aber zugleich auch Moritz Heyer abgibt, der hier über Jahre sehr gut funktioniert hat, bis er in ein Tief geriet und sich seither schwertut, finde ich bedenklich. Aber für mich gehört zu einer gesunden Leistungskultur auch der Anspruch an den Trainer, aus dem Spieler immer das Maximum herauszukitzeln. Mindestens aber das herauszuholen, was dieser schon nachgewiesen hat. Denn dann ist auch Heyer eine Verstärkung. Vielleicht nicht für die Startelf – aber als Backup allemal!
In diesem Sinne, im Nachgang leider noch eine sehr traurige Meldung.
Scholle
Ex-HSV-Angreifer Jan Furtok nach langer Krankheit verstorben
Der frühere polnische HSV-Profi Jan Furtok ist tot. Wie sein Heimatclub GKS Kattowitz mitteilte, ist der ehemalige Angreifer des HSV und von Eintracht Frankfurt nach langer Krankheit im Alter von 62 Jahren gestorben.
2021 wurde bekannt, dass Furtok an Alzheimer erkrankt war. Seine Frau Anna hatte damals geschildert, wie sich der Zustand Furtoks immer weiter verschlechterte. Er habe sein eigenes Spiegelbild nicht mehr erkennen können, hatte sie gesagt.
Furtok war 1988 von Kattowitz zum HSV gewechselt. Fünf Jahre später ging der Stürmer zur Eintracht, ehe er zu seinem Herzensverein nach Kattowitz zurückkehrte. Dort ist er als erfolgreichster Torschütze der Vereinsgeschichte eine Legende.
Auch in Deutschland war der Angreifer populär. Furtok lief 188 Mal in der Bundesliga auf und erzielte dabei 59 Treffer. 1986 nahm er mit der polnischen Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft in Mexiko teil. Im Achtelfinale war das Team an Brasilien gescheitert.
Am morgigen Dienstag beginnt die Zeit nach Steffen Baumgart auch auf dem Trainingsplatz des HSV. Dann leitet Merlin Polzin seine erste Einheit als Interimscoach. Mal wieder. Denn Polzin war schon unter Daniel Thioune und Tim Walter Cotrainer und leitete nach dem Aus von Tim Walter interimistisch die Mannschaft. „Wir haben hier ein großes Trainertalent“, sagte der damalige Sportchef Jonas Boldt im Februar über Polzin, als der 34-Jährige nach der Trennung von Tim Walter. Was folgte war ein 2:2 bei Hansa Rostock und die Verpflichtung von Steffen Baumgart. Eine Verpflichtung, die lange gefordert worden war vom verschiedenen Verantwortungsträgern im Klub. Bildt selbst zählte nicht zu Baumgarts Befürwortern, sondern sah diesen eher kritisch. So kritisch, dass er Baumgart auch nach dem Ende der Vorsaison wieder gehen lassen wollte. Im Ergebnis war es dann aber Boldt, der gehen musste.
Und dessen Nachfolger Stefan Kuntz hielt an Baumgart fest. Nicht gänzlich ohne Diskussionen, auch Kuntz hatte andere Kandidaten für den Trainerposten im Gepäck, ließ sich aber von Baumgart und dessen Befürworter im Aufsichtsrat überzeigen. „Mache nie etwas, wo du bei der Entscheidungsfindung schon Bauchschmerzen hast“, hat mir eine mir extrem wichtige Person einmal mit auf den Weg gegeben. Und dieser Rat wäre auch hier Gold wert gewesen. Denn Baumgart war mehr eine Besetzung auf Wunsch des Umfeldes, denn derer, die ihn sportlich einschätzen konnten.
Kommt Kuntz-Buddy und Ex-HSV-Coach Bruno Labbadia?
Auch bei Baumgarts Vorstellung vor neun Monaten galt wie heute: Der HSV hat schon so häufig sein großes Ziel Bundesliga-Rückkehr verpasst, dass er die Erfüllung dieser Sehnsucht eher einem erfahrenen Trainer zutraut. „Wir sind jetzt in der Bringschuld, diesen Schritt auch zu schaffen“, sagte Sportvorstand Stefan Kuntz nach der Baumgart-Demission bei Welt TV. Und er weiß, dass diese Entscheidung sitzen muss, wenn der HSV nicht schon frühzeitig erneut den Aufstieg abhaken will. Dementsprechend sprießen einen Tag nach der Freistellung des 52-Jährigen Spekulationen aus dem Boden, aber noch keine belastbaren Hinweise auf die Baumgart-Nachfolge.
Gehandelt werden fast ausschließlich Namen, die naheliegen: Bruno Labbadia (58), weil er schon zweimal erfolgreich HSV-Trainer war und mit dem Sportvorstand Stefan Kuntz einst ein Sturmduo beim 1. FC Kaiserslautern bildete. Beide verbindet ein vertrauensvolles, freundschaftlich-gutes Verhältnis. Ruud van Nistelrooy (48) und Niko Kovac (53) werden indes gehandelt, weil sie früher für den HSV spielten und eine in Hamburg weit verbreitete Sehnsucht nach dem „großen Namen“ bedienen. Beide wären aus meiner Sicht keine gute Lösung. Ebenso wenig wie Torsten Lieberknecht (51), Thomas Letsch (Ex-VfL-Bochum), Andre Breitenreiter und Friedhelm Funkel.
Erschwert wird die Suche nach dem richtigen Trainerprofil für den HSV auch dadurch, dass es der Club in fast sechseinhalb Zweitliga-Jahren beinahe schon mit jedem Trainerprofil versucht hat. Es war so ein wenig „Try and error“ beim HSV mit dem frischen, populären Christian Titz, dem Ausbilder und Konzepttrainer Hannes Wolf, dem erfahrenen, alten Hasen Dieter Hecking, dem aufstrebenden Daniel Thioune, der Club-Ikone Horst Hrubesch und dem Dogmatiker Tim Walter. Einen wirklichen Plan, der auch aufging, hatte der HSV vor Kuntz schon nicht.
„Der HSV kriegt jeden klein“ – warum scheitern alle Trainer in Hamburg?
Zuletzt scheiterte auch der Mann aus dem Volk, der Malocher Steffen Baumgart. „Der HSV kriegt jeden klein“, titelte die „Süddeutsche Zeitung“ heute. Und das zeigt sich auch daran, dass das noch in Paderborn und Köln so erfolgreiche Trainerprofil von Steffen Baumgart in Hamburg nahezu null stattfand. Der einstige Starkstrom-Trainer ließ beim HSV am Ende nur biederen, offensiv zu uninspirierten Sicherheitsfußball spielen, der das Potenzial des so oft als bestbesetzten Zweitliga-Kaders nicht ausschöpfte.
Kuntz weiß um die Bedeutung seiner nächsten großen Entscheidung. Er hat die Zügel in der Hand, um in Hamburg für ein Umdenken und eine andere Arbeitsauffassung von Mannschaft und Umfeld zu sorgen. Der Sportvorstand machte auch schon klar, dass nach Baumgart in den nächsten Wochen auch noch einige Spieler den Verein verlassen sollen. „Der eine oder andere Spieler weiß auch schon Bescheid, dass er im Winter gehen könnte“, bestätigte Kuntz und meinte damit Spieler wie William Mikelbrencis, Levin Öztunali und für mich immer noch nicht ganz nachvollziehbar auch Anssi Suhonen. Aber völlig unabhängig vom Verständnis für einzelne Namen und Schicksale: Kuntz macht vieles richtig, wenn er versucht, alte Seilschaften, festgefahrene Abläufe und vor allem leistungshinderliche Stimmungen durch personelle Veränderungen zu verändern.
Dieser HSV braucht einen neuen Anstrich, mehr Leistungskultur – und dazu gehören in aller Regel auch prominente Opfer. Beim HSV ist es bislang Baumgart – aber ich bin mir sicher, dass ein guter neuer Trainer auch die mannschaftliche Hierarchie durchleuchtet und ggf. nachbessert. Denn eines ist auch klar: Die Entlassung von Baumgart ist nicht nur für den Trainer eine Niederlage – sondern für den gesamten HSV. Von der Mannschaft bis hin zu den Entscheidungsträgern…
Wer neuer Trainer beim HSV wird, ist also weiterhin offen. Es wird dementsprechend viel spekuliert werden, darauf können wir uns schon mal einstellen. Fakt ist: Polzin leitet die Geschicke bis auf Weiteres, weil Kuntz sich selbst als Traineroption ausschließt. Polzin wird dabei verstärkt von U21- und Nachwuchschef Loic Favé. Ein Duo, dem man eine Zukunft wünscht, wie sie einst Fabian Hürzeler über den FC St. Pauli genommen hat. Zu schön ist der Gedanke, dass der HSV aus dem eigenen Trainernachwuchs seinen neuen Erfolgscoach formt. „Es geht nicht um Geschwindigkeit, sondern darum, das Richtige zu machen“, sagte Kuntz, der bei aller Hoffnung auf sein interimistisches Nachwuchsduo nach der erfahreneren Lösung suchen muss.
HSV muss sich von Wunschkandidat Eichner verabschieden – und ihn schlagen
Ein Name, den Kuntz schon bei seinem Amtsantritt im Kopf gehabt haben soll, hat gerade in der vergangenen Woche seinen Vertrag verlängert: Christian Eichner. Und dieser Eichner wird das neue HSV-Konstrukt mit seinem starken Karlsruher SC schon am nächsten Sonntag auf die Probe stellen. Denn da gastieren Polzin, Favé und Co. beim derzeit bärenstarken Tabellenzweiten, dem Karlsruher SC, der gerade auf der Trainerposition voller Überzeugung langfrostig Klarheit geschaffen hat…
In diesem Sinne, hoffen wir alle mal darauf, dass Kuntz ein besseres Händchen bei der Trainerwahl hat als seine Vorgänger.