Der HSV-Sportdirektor Michael Mutzel hat immer wieder das große Vergnügen, sich an den Tagen nach dem jeweiligen Spiel unseren Frage zu stellen. Und das macht der Ex-Fußballprofi nach Siegen und nach Niederlagen. In einigen Phasen wie zuletzt bei den fünf sieglosen Spielen in Folge habe ich mich gefragt, warum er sich das antut. Da gab es durchaus Phasen, in denen er einfach mal hätte sagen können: „Leute, wir müssen jetzt nicht mehr sabbeln, sondern arbeiten. Ich komme wieder, wenn der Rest läuft…“ Hat er aber nicht. Im Gegenteil: Mutzel fand zu allem Worte. Mal mit mehr, mal mit weniger Inhalt. Aber er stellte sich immer wieder.
Auch an diesem Sonntag nach dem unspektakulären 1:1 in Nürnberg. Mutzel sprach von einem Spiel, das man schlichtweg einkalkulieren müsse. Solche Spiele werde es immer wieder geben. Soll heißen: Keine Mannschaft dieser Liga schafft es wirklich, immer 100 Prozent zu gehen. Auch der HSV nicht. Und ähnlich dieser Aussage war ja auch mein Blitzfazit nach dem Spiel, in dem ich davon sprach, dass es eine ordentliche, aber eben keine wirklich gute Parte des HSV war.
Die Abwehr ist noch deutlich zu anfällig bei langen Bällen
In diesem Blitzfazit habe ich über einzelne Spieler, vor allem aber über die Defensive an sich gesprochen, weil ich bis heute nicht nachvollziehen kann, weshalb der HSV mit einem einzigen langen Ball hinter die Abwehr wieder ausgehebelt war. Ich habe mir über ein Scoutingprogramm die Szene zum Tor noch einmal aus einer anderen Perspektive (aus der Totalen) ansehen können. Und hier erkennt man die Fehlerkette deutlich.
Angefangen mit dem zu späten Attackieren von Tim Leibold. Dadurch entsteht den Nürnbergern freier Raum zum Kombinieren. Dazu rückt Ambrosius weit auf, während sich Toni Leistner tiefer fallen lässt, wodurch der Raum für die Nürnberger noch größer wird. Heyer kann seinem Gegenspieler nicht folgen, der legt quer n die Mitte, wo wiederum Sonny Kittel seinen Gegenspieler im entscheidenden Moment ziehen lässt und dieser frei einschieben kann. So viel zum Thema „wer hatte Schuld beim Gegentor?“.
Wobei in dieser Szene einer freigesprochen werden muss, der ansonsten aber durchaus Ansatz für Kritik lieferte. Mal wieder sogar. Denn Torwart Sven Ulreich parierte zwar auf der Linie ebenso wie im Eins gegen Eins gegen Schäffler stark – aber er demonstrierte eine Schwäche, die ich bei hm schon sehr lange kritisiere. Anfänglich dachte ich hierbei noch an Gewöhnungsprobleme. Auch er muss seine neuen Kameraden ja erst einmal kennen- und einschätzen lernen. Aber bei Rückpässen gibt es nur sehr wenige Unterschiede zwischen Bayern München und einem Oberliga-Spiel – abgesehen von den Platzverhältnissen. Und genau die machte der tapfer für seine Mannschaft kämpfende Mutzel mitverantwortlich für Ulreichs Unsicherheiten mit dem Ball am Fuß. Den Platz – und Ulreichs Mitspieler. Die seien inzwischen eben nicht mehr Thiago, Lewandowski und Co., sondern Heyer, Leistner, Terodde und Co. Soll heißen: Einen Pass wie den in der zweiten Halbzeit auf Heyer hätte ein Thiago wahrscheinlich einfacher verarbeitet als es ein Heyer kann. Und bis hierhin gebe ich Mutzel auch absolut Recht. Aber wenn ich Ulreich heiße, dann weiß ich um diese Umstellung nicht erst nach drei Monaten beim HSV. Und dann spiele ich in einer solchen Phase eben nicht so einen Pass, sondern schlage den Ball lang.
Die inzwischen nicht mehr zufälligen Probleme mit dem Ball am Fuß bei Ulreich sieht Mutzel wiederum nicht so. Er sprach davon, dass Ulreich sogar sehr gute Pässe spiele – und: dass man genau das eben auch will. Kann man so sehen – muss man aber nicht. Anders beurteile ich dagegen Mutzels folgenden Aussagen. „Wir wollen mutig spielen, mutig das Spiel eröffnen. Und Sven kann das definitiv sehr gut“, so Mutzel. Denn in dieser Erklärung liegt ein Gedanke, den ich sehr gern teile. Zwar immer nur bis zu dem Punkt, an dem es erkennbar nicht weitergeht – aber aktuell teile ich ihn sehr gern: Denn Mutzel fordert Entwicklung. Dass dazu Fehler gehören wie bei Ulreich – logisch, geschenkt! Aber es gehört in solchen Momenten mindestens genauso sehr dazu, nach innen alle Fehler klar anzusprechen. Egal ob bei einem Youngster wie Vagnoman oder bei Routiniers wie Hunt, Lesitner, Ulreich und Co.
Für Entwicklung werden Fehler in Kauf genommen, aber…
Und das wiederum muss dann ja nicht Mutzel übernehmen – dafür ist Trainer Daniel Thioune mit seinem Trainerteam da. Und bei Thioune wiederum meine ich nach dem Spiel in Nürnberg durchaus rausgehört zu haben, dass er alles andere als zufrieden mit dem Spiel seiner Mannschaft war. Er hatte gleich mehrere Spieler ausgemacht, die nicht das abgeliefert hätten, was man von ihnen hätte erwarten dürfen. Vor allem aber sprach er ein in Hamburg seit vielen Jahren vorherrschendes Manko an: Fehlendes Tempo.
Immer wieder fällt auf, dass der HSV wie im Spiel gegen Nürnberg offensiv, vor allem aber nach hinten zu wenig über das Tempo verfügt, das den HSV dem Gegner überlegen sein lässt. Beispiel: Toni Leistner hinten ist zwar ein bärenstarker Kopfballspieler – aber eben nicht der schnellste. Genau deshalb lässt er sich wie beim 0:1 in Nürnberg eben immer mal tief fallen, während der schnelle Ambrosius immer wieder hoch pressen will. Das hieraus entstehende Ungleichgewicht hat in Nürnberg unter anderem zum 0:1 geführt
Gleiches gilt für das Mittelfeldzentrum. Hier fehlte mit Amadou Onana der einzige Spieler (Jung, Hunt, Heyer, Gjasula haben das eher nicht), der mit überdurchschnittlichem Tempo glänzen kann. Und offensiv ist Terodde ein absoluter Knipser – aber eben kein Sprinter. Deshalb braucht er die Bälle nicht in den Lauf gespielt zu bekommen, sondern muss mit Flanken und Pässen in den Sechzehner gefüttert werden. Das wiederum funktioniert bislang sehr ordentlich, solange der Gegner mitspielt. Aber wenn sich der Gegner sehr tief hinten reinstellt, hat der HSV eben nicht das Spieltempo, um sich mit Kombinationen Räume freizuspielen. Womit ich wieder bei meinem „Lieblingsthema“ Sonny Kittel angekommen wäre – denn der könnte so viel, wenn er nur wollte – aber das lasse ich heute mal….
Dennoch, um das hier klarzustellen: Ich kritisiere hier Dinge, die der HSV noch besser machen kann, was längst nicht bedeutet, dass er seine Sache schlecht macht. Aber ich bin als Journalist eben nicht der Sportdirektor des HSV, der aus der Natur der Sache heraus seine Mannschaft verteidigt. Ebenso wenig setze ich heute den Maßstab Erste Liga an. „So bestehst du nie in der Ersten Liga“, höre ich immer wieder. Und wisst Ihr was? Das stimmt! Total! Das wissen übrigens auch alle beim HSV. Aber das ist eben jetzt auch noch kein Maßstab, sondern erst bei der Kadergestaltung vor der neuen Saison, wenn man den Aufstieg wirklich schaffen sollte.
Der HSV sollte dem Thema Tempo mehr Beachtung schenken
Und dennoch hätte ich eine Bitte an den HSV – und hier insbesondere an den Sportdirektor Mutzel sowie an den Sportvorstand Jonas Boldt: Achten Sie bitte darauf, dass die Mannschaft in allen Mannschaftsteilen ausreichend Laufstärke in Form von Tempo hat. Denn dass Tempo einen ganz wesentlichen Unterschied ausmacht, beweist das Beispiel Bakery Jatta ebenso wie RB Leipzig. Der Hassklub vieler Fußball-Traditionalisten hat sich nämlich eine Anforderungsliste gemacht, die jeder neue Spieler erfüllen muss. Ansonsten wird er völlig unabhängig vom Namen abgelehnt. Entscheidend hierbei: Auf dieser Liste steht auch ein außergewöhnlich guter Sprintwert. Diesen muss jeder Spieler erfüllen – ansonsten wird er (völlig unabhängig vom Namen!) nicht verpflichtet.
In diesem Sinne, bis morgen. Dort wird wieder trainiert und ich melde mich am Abend dann wieder bei Euch. Dann auch mit Neuigkeiten in eigener Sache. Bis dahin!
Scholle