Klaus Michael Kühne hält die Diskussionen beim HSV aufrecht. Und das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Da können wir sicher sein. Auch ich werde mich morgen (statt heute) zu diesem Thema noch einmal äußern. Aber bevor der Blog hier zu monothematisch wird, habe ich die große Freude, einen sehr spannenden Artikel von unserem Blogfreund Dr. Olaf Ringelband zu haben (großer Dank dafür, Olaf!!), der sich einmal mit der Statistik der WM aus deutscher Sicht – vor allem aber mit der Statistik der Zweiten Liga auseinandergesetzt hat. Mit erstaunlichen Ergebnissen, wie ich finde. Insbesondere auch, was den HSV betrifft. Aber lest selbst:
Von Dr. Olaf Ringelband
Im Fußball wissen alle alles. Und das auch noch besser. Auch besser als all die neuartigen Algorithmen es berechnen. Seit einiger Zeit gibt es hierfür immer wieder Einblendungen bei den TV-Übertragungen, die die xGoals anzeigen – also die erwartbaren Tore für die jeweilige Mannschaft. Was das genau ist, und wie sich der HSV in dieser Statistik wiederfindet? Unser Blogfreund und Experte Dr. Olaf Ringelband hat sich hier schlau gelesen und sich (exklusive letzten Spieltag der Hinrund) die Mühe gemacht, das Ganze mal auf den HSV zu projizieren. Aber lest selbst!
Expected Goals (xG)
In letzter Zeit wird die xG-Statistik häufig verwendet, bei Fußballspielen wird dieser Wert sowohl während des Spiels wie nach Toren oder am Ende gezeigt. Aber was bedeutet dieser Wert?
Hier geht es um Statistik, xG ist ein sogenannter „Wahrscheinlichkeitskoeffizient“. Wie man den berechnet, haben die meisten in der Schule gelernt (aber vermutlich auch wieder vergessen): man teilt die Anzahl der positiven Ergebnisse durch die Anzahl der Ereignisse insgesamt. Am Beispiel eines Würfels: die Wahrscheinlichkeit, eine „6“ zu würfeln ist 1/6, denn ein Ereignis heißt „6“ während es insgesamt 6 mögliche Ergebnisse gibt.
Im Fußball kann man xG am besten an Hand des Elfmeters erklären. Man zählt die Anzahl der Elfmeter, die gegeben werden und die Zahl der verwandelten. Das ist (ziemlich ähnlich in den meisten Ligen und Ländern) im Schnitt 0,77, das heißt von 100 Elfmetern werden im Schnitt 77 verwandelt.
Beim Elfmeter ist die Rechnung noch einfach, denn Situation ist immer dieselbe. Schwieriger ist es bei xG aus dem Spiel heraus, denn hier gibt es ja viele unterschiedliche Situationen, nicht nur die Entfernung zum Tor und der Winkel sind unterschiedlich, sondern auch, wo die Gegenspieler stehen. Hier ist es ähnlich wie die „Regenwahrscheinlichkeit“ im Wetterbericht, die übrigens viele Menschen auch falsch interpretieren: eine Regenwahrscheinlichkeit von 50% (oder 0,5) heißt nicht, dass es den halben Tag regnet, sondern dass es in der
Big Data
Zusammenfassung alle Wetterdaten (Luftdruck, Temperatur, Lage der Tiefdruckgebiete) in der Vergangenheit an der Hälfte der Tage mit einer ähnlichen Wetterlage geregnet hat.
Beim Fußball wird zur Berechnung des xG-Wertes in einer großen Datenbank bei jedem Torschuss nach ähnlichen Situationen (Entfernung und Winkel zum Tor, Anzahl und Position der Gegenspieler) gesucht und geschaut, wie häufig in diesen ähnlichen Situationen ein Tor gefallen ist.
Die xG-Werte jedes Torschusses werden dann über das ganze Spiel hinweg aufsummiert und am Ende kommt der Wert heraus, der häufig im TV gezeigt wird.
Wer mehr über die xGoal-Statistik wissen will, dem kann ich das Buch „The Expected Goals Philosophy” von James Tippett empfehlen. Hier sind einige interessante Erkenntnisse aus diesem Buch.
Abschlussqualitäten
Die Berechnung des xGoal-Wertes ignoriert einen wichtigen Faktor im Fußball: die Abschlussqualitäten von Spielern. Selbst Weltklasse-Stürmer, die hohe xGoal-Werte haben, schießen in vielen Fällen nicht viel mehr Tore als zu erwarten wären – das gilt interessanterweise für Ronaldo, Benzema und Lewandowski, alle drei sind zwar häufig in gefährlichen Situationen und schießen auch viele Tore – aber eben nicht mehr als statistisch zu erwarten wäre. Auf der anderen Seit gibt es Spieler, deren Torquote viel höher ist, als nach der xGoal-Statistik zu erwarten wäre. Ganz oben ist Lionel Messi, der seit vielen Jahren seinen xGoal-Wert übertrifft. Er macht halt viele „unmögliche“ Tore, die sonst niemand machen würde (und die sicheren dazu).
Glück und Pech
Häufig wird die Differenz zwischen xG und tatsächlichen Toren als „Glück“ oder „Pech“ bezeichnet und vermutet, dass sich beides über die Zeit ausgleicht. Man kann aus den erwarteten geschossenen (xGF) und erhaltenen (xGA) Toren die zu erwartende Punkteausbeute (xG Points) berechnen, häufig wird daraus geschlossen, dass eine Mannschaft über oder unter ihrer Leistungsfähigkeit spielt und sich im Laufe der Saison noch verschlechtern, bzw. verbessern wird.
Also: wenn eine Mannschaft eine große Differenz zwischen den zu erwartenden geschossenen und erhaltenen Toren aufweise, so kann das einerseits an Glück und Pech liegen oder an besonders abschlussstarken/-schwachen Spielern, bzw. einer Abwehr, die viele sichere Chancen vereitelt/durchlässt.
So hat Bayern München in dieser Saison zwar den höchsten xG-Wert aller Teams in der Bundesliga, aber hat weniger Tore geschossen als nach xG zu erwarten wäre. Das kann man zum Teil sicherlich als „Pech“ bezeichnen, aber es spiegelt eher die nach Lewandowskis Abgang fehlenden Abschlussqualitäten der Mannschaft wider – die dann ja mit durch den Ex-HSVer Choupo-Moting behoben wurde.
Expected Goals in der Zweiten Liga
Wie sieht es nun in der zweiten Liga (Stand: 8.11.) aus? Der HSV hat über die Saison bisher einen xG-Wert von 25 (24,7), also 3 Tore weniger aus den Chancen gemacht als durchschnittlich zu erwarten gewesen wäre (Glatzl?!). Auf der Seite der Gegentore stehen xGA von 18, während es in der Tat nur 15 Gegentore gab – diese Differenz kann man sicher Hoyer-Fernandes zugute schreiben. Wenn es nur nach den Punkten gemäß xG ginge, wäre der HSV im Moment Vierter, punktet also im Großen und Ganzen im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Schauen wir uns einmal die direkten Konkurrenten an. Da fällt vor allem Darmstadt auf, die als Tabellenführer bei weitem weniger Tore kassieren und mehr Tore schießen, als zu erwarten wären. Ich kenne Darmstadt zu wenig, um sagen zu können, ob das Team bisher einfach viel Glück hatte oder sie einen super Torwart sowie abschlussstarke Stürmer haben. Paderborn hat den absolut höchten xG-Wert alle Zweitligavereine (29,6), das ist auch die Mannschaft, die die meisten Tore geschossen hat (34).
Interessant ist die Situation bei unserem anderen Hamburger Verein. St. Pauli liegt bei den geschossenen Toren (19) auf Linie mit den xG (19,7). Bei den zu erwartenden Gegentoren (xGA) hat St.Pauli jedoch den besten Wert aller Teams der zweiten Liga: 14,3. Die Verteidigung lässt also nur wenig „100%ige“ zu – hat aber dennoch bisher schon 20 Gegentore kassiert. Hier kann man vermuten, dass St.Pauli einfach bisher Pech hatte und sich unglückliche Gegentore gefangen hat, insofern werden sie den Rest der Saison bei gleicher Leistung nicht in Abstiegsnot kommen.
Ebenso interessant sind Düsseldorf und Kaiserslautern, die zwar im Moment nur Tabellenfünfter, bzw. -siebenter sind, wenn es nach den xGoals ginge, Zweiter und Dritter wären.
xG | Tore geschossen | xGA | Gegentore | Über-/Unterper-formance | |
HSV | 24,7 | 22 | 18 | 15 | 0,3 |
Darmstadt | 20,7 | 24 | 18,7 | 14 | 8,0 |
Paderborn | 29,6 | 34 | 14,5 | 15 | 3,9 |
Heidenheim | 18,0 | 21 | 15,5 | 13 | 4,2 |
St. Pauli | 19,7 | 19 | 14,3 | 20 | -6,4 |
Düsseldorf | 19,2 | 24 | 14,4 | 16 | 3,2 |
Kaiserslautern | 22,0 | 22 | 18,2 | 20 | -1,8 |
Platz | Mannschaft | xPoints |
1 | Paderborn | 32 |
2 | Düsseldorf | 28 |
3 | Kaiserslautern | 28 |
4 | HSV | 23 |
5 | St.Pauli | 23 |
6 | Heidenheim | 22 |
7 | Karlsruhe | 22 |
Fußball ist keine Mathematik
Was kann man aus den xG-Statistiken für Schlüsse ziehen? Für den HSV vermutlich nichts, was man als Zuschauer und Fan nicht schon wüsste: dass der HSV relativ viele gute Torgelegenheiten schafft (aber nicht so viele wie Paderborn), diese noch etwas besser verwerten müsste. Die Abwehr lässt im Vergleich zu anderen Spitzenmannschaften der 2. Liga ziemlich viele „todsichere“ Torchancen zu, aber dank DHF geht es häufig noch gut aus.
Wenn es nach der xG-Statistik geht, dann ist Paderborn unser schärfster Konkurrent um den Aufstieg, aber auch Düsseldorf und Kaiserslautern muss man im Auge behalten.
Nachtrag
Ich habe den Beitrag schon vor einiger Zeit geschrieben, nach dem vorletzten Spieltag. Mit Hinblick auf die WM (die ich nur sporadisch verfolge) gibt es ein paar ganz interessante xGoal-Statistiken: im Spiel Deutschland gegen Japan hatte Deutschland 3,24 xGoals, Japan 1,62. Eigentlich hat Deutschland also genug Torchancen kreiert, um das Spiel zu gewinnen, es fehlte aber an Vollstreckerqualitäten. Die 3,24 xGoals sind übrigens sogar mehr als Spanien beim 7:0 gegen Costa Rica (3,16 xGals versus 0,16 bei Costa Rica) hatte. Beim Spanien-Spiel war also fast jeder Torschuss ein Treffer. Beim zweiten deutschen Spiel gegen Spanien gab es zwar weniger xGoals (1,25) gegen die starken Spanier (0,81), aber dank Füllkrug war die Chancenverwertung in Ordnung. Im letzten Spiel der deutschen Mannschaft (4:2 gegen Costa Rica) hatte Deutschland xGoals von 5,28 (zu 1,61) – die höchste xGoals-Quote überhaupt bisher im Turnier! Entweder hat die deutsche Mannschaft im Turnier einfach viel Pech gehabt oder aber es fehlte ihr tatsächlich an Abschlussqualitäten. Vermutlich war es doch keine gute Idee, ohne Mittelstürmer zu spielen…
xGA in Verbindung mit den Quoten der Wettanbieter sowie den tatsächlich getätigten Einsätzen bietet höchstwahrscheinlich auch einen Wahrscheinlichkeitswert für Teams oder Spieler die möglicherweise betrügen.
Eine Mannschaft wie der FC St.Pauli könnte bei dauerhaftem Underperforming bei Gegentoren durchaus ins Visier der Kickerfahndung der Wettanbieter kommen.
xGoals sind lediglich die öffentlich bekannte Oberfläche der bereits verwendeten Algorithmen, welche hocheffizient sein müssen, das sich die Wettanbieter dumm und dämlich verdienen mit Leuten die glauben den Fußball final verstanden zu haben.
Im Schachsport gibt es etwas ähnliches, so dass die Software nach jedem Zug die Siegchancen von Weiß oder schwarz einschätzen kann. In der Regel irrt sich die Software nie, obwohl es natürlich immer zu menschlichem Versagen kommen kann und ein Spiel entgegen der Stellungsberechnung noch einmal kippen kann.
Für Menschen ist es mittlerweile sinnbefreit gegen eine gute Schachsoftware anzutreten es sei denn man möchte etwas lernen.
Topclubs mit Geld bis zum Horizont können es sich leisten ihre Kader entsprechend bestimmter Statistiken und Algorithmen zusammen zu stellen. Der FC Bayern arbeitet schon lange Zeit damit und die englischen Topclubs ebenfalls.
Damit wird eine ideale Grundlage geschaffen für einen Toptrainer der das ganze dann zu veredeln hat.
Für kleine Clubs wie den FC St.Pauli oder für schlecht geführte Traditionsclubs wie den HSV bleiben dann nur die Brotkrummen auf dem Transfermarkt übrig. Im Klartext: Ein HSV-Stürmer wird immer langsamer sein als ein Bayern-Stürmer, Ein Mittelfeldspieler der Bayern wird immer eine höhere Passquote in engen Situationen haben als ein Mittelfeldspieler des HSV, Ein Abwehrspieler der Bayern wird immer eine bessere Zweikampfquote haben als einer des HSV.
Die Bayern fahren Mercedes und der HSV fährt Lastenfahrrad.
Grundsätzlich geht es somit für den HSV darum sich anhand des besten Algorithmus damit auseinander zu setzen die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die zukünftigen Verträge von Spielern unterschrieben werden die sich auf einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeitsebene befinden.
Dafür benötigt der HSV Geld von außen und exzellente Fachleute die mit diesem Geld umgehen können.
Läuft es so wie bisher wird jeder Spieler der mathematisch positiv aus dem Durchschnitt des HSV-Kaders herausragt zu Clubs transferiert die auf einer höheren wirtschaftlichen Ebene operieren. Und das bedeutet, dass es so gut wie ausgeschlossen ist, dass sich langfristiger sportlicher Erfolg einstellen kann.
Teams wie Union Berlin oder der SC Freiburg werden in gewisser Weise geduldet, da sie mit ihrer Clubinfrastruktur und ihrer Fanbasis noch keine Bedrohung für die Topclubs darstellen und die Liga attraktiv erscheinen lassen.
Wäre der HSV in seiner jetzigen wirtschaftlichen Verfassung sportlich so erfolgreich wie Union Berlin wäre der halbe Kader bereits aufgeteilt worden zwischen den Bayern, Dortmundern, Leverkusenern und den Wolfsburgern. Der HSV wäre eine echte Bedrohung für die sportlichen und wirtschaftlichen Ambitionen dieser Clubs und würde nach allen Regeln der Kunst kaputt-transferiert werden.
Sowohl die Hardware als auch die Software entwickeln sich ständig weiter, so dass die Chancenungleichheit zwischen den Topclubs und den Armenclubs mit jeder Saison größer wird.
Größer werden auch mit jeder Saison die Kassen der Wettanbieter da sich das Delta zwischen menschlichen Fußballexperten mit ihren drei Exceltabellen und den Fähigkeiten von Algorithmen und ihren brutalen Hochleistungsrechnern immer weiter vergrößert.
Wirklich schade, dass das Thema Kühne aufgeschoben wird. Ich denke, auf die Meinung des Blogautoren warten viele gespannt. Sehr bedauerlich.
Man man, was hätte ein Happel oder Herberger wohl zu diesen Statistiken wohl gesagt?
Meiner Meinung nach ist es immer noch ein Fußballspiel und kein Statistikspiel. Das ganze kann ich gebrauchen wenn ich ein Fußballspiel am PC entwickeln will (siehe Fifa … etc.). Es soll doch einfach die schönste Nebensache der Welt bleiben und da interessiert mich der Moment und nicht die Statistik mit was wäre wenn.
Weltblog – gäääähn…XGoal Werte der zweiten Liga…zum Glück ist bald Winterpause….das Thema Kühne wäre spannend gewesen aber alles Gute ist ja nie beisammen!
Expected Goals (xG) ist wie Gendern , braucht kein Schwanz(in)
Irgendwie lustig, diese xG-Werte und -Interpretationen. Vielleicht verstehe ich es aber auch nur nicht richtig.
Nur hilft es nicht wirklich weiter. Und das ist auch gut so. Was wäre ein Fußballspiel ohne das unberechenbare Glück oder Pech??
Das Fazit ist sensationell 🤩
Mit einer echten 9 wäre es besser gewesen.
Hatten hier schon viele ohne Statistik geschrieben.
Wer regelmäßig Fußball schaut, erkennt einen Goalgetter!!!!
Mit Glatzel haben wir zumindest einen.
Königsdörfer ist keine richtige 9.
Backup wäre schön.
xGoals
Wieder was gelernt, sehr interessant das mal in dieser Detaillierung dargestellt zu bekommen, Chapeau.
Blolos in Hamburg
So sieht’s aus!
xK (erwartbare Kommentare): 34
Toller Blog, freue mich schon auf die Meinung von Scholle zum Kühnethema morgen.
Ich bin da sehr , sehr nah bei Ockens.
Ich stehe Statistiken etwas skeptisch gegenüber. Denn laut Statistik haben ein Millionär und ein armer Kerl jeder eine halbe Million…. nach F. Roosevelt
Die Vorfreude steigt auf den neuen Blog. 🤗🤗🤗
Wunderbar, es ist allenthalben tote Hose, so auch hier. Warum? Es gibt keine Neuigkeiten. Dann darf man auch mal schweigen. Alle anderen Nebengeräusche sind doch auch xmal durchgerubbelt, mal ehrlich.
Es lebe die deutsche Leistungskultur
Spanien ist nur ins Achtelfinale gekommen und trennt sich dennoch vom Trainer
Wohl alles eine Frage der Erwartungen und des Wohlbefinden…
Die Wahrheit liegt auf dem Platz, Statistiken und Berechnungen hin und her.
Wenn ein Mensch mit den Füßen im Kaminfeuer und mit dem Kopf im Kühlschrank ist, sollte er, lt. Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistiken, eigentlich eine optimale Durchnittstemperatur haben.
Nur, bringt ihm das wirklich was?