Jedes Spiel beginnt für Lisa Baum mit einer ganz persönlichen Geste. Die 18-jährige Offensivspielerin des HSV, eines der größten Talente im deutschen Frauenfußball, nimmt sich vor dem Anpfiff einen Moment Zeit und beschriftet ein Tape an ihrem Handgelenk – eine kleine Tradition, die ihr Kraft gibt. Ihre Botschaften entstehen spontan. „Ich schreibe darauf, was mich gerade bewegt. Manchmal ist es nur ein Wort wie ‚Mut‘. Oder ich widme es meinem Bruder, dann weiß ich, dass er bei mir ist“, erklärt sie. Ihr Bruder, der sie einst zum Fußball brachte, verunglückte 2022 bei einem Autounfall. Vor dem wohl wichtigsten Spiel ihrer bisherigen Karriere, dem DFB-Pokal-Halbfinale gegen Werder Bremen, sind ihre Gedanken an ihn präsenter denn je. „Ich bin mir sicher, dass er stolz auf mich wäre, wenn er das sehen könnte.“ Und ich bin mir sicher, das ist er, liebe Lisa. Grundsätzlich – aber auch im Speziellen.
Wenn Baum am Sonntag (Anpfiff 15.30 Uhr, live bei Sky) mit dem HSV im Volksparkstadion auf Werder Bremen trifft, wird sie Teil eines historischen Moments sein. Zum ersten Mal wird ein deutsches Frauenfußballspiel in einem ausverkauften Volksparkstadion stattfinden – 57.000 Fans (davon offenbar rund 8.000 aus Bremen) werden die Partie verfolgen. Der bisherige Zuschauerrekord von 44.808 beim Pokalfinale 2023 in Köln wird damit deutlich übertroffen.
HSV-Frauenfußball: Erst abgemeldet, jetzt eine Erfolgsgeschichte
Für die HSV-Frauen geht es nicht nur um den Einzug ins Endspiel, sondern auch um eine sportliche Machtdemonstration gegen den Bundesliga-Konkurrenten aus Bremen. Baum selbst versucht, die Nervosität noch in Grenzen zu halten. „Ich versuche, nicht zu viel daran zu denken“, sagt sie. Dennoch spüre sie, dass die Anspannung mit jedem Tag wächst. Schließlich sei es „total verrückt“, dass ihre Mannschaft, die sonst vor rund 500 Zuschauern spielt, plötzlich vor einer Kulisse aufläuft, die hundertmal größer ist. Und dass dieser Weg vor einigen Jahren noch als gänzlich ausgeschlossen galt, weiß auch sie.
Immerhin hatte der HSV seinerzeit unter der Verantwortung des Vorstandsvorsitzenden Carl Edgar Jarchow die Frauenmannschaft als Bundesligist abgemeldet, nachdem klar war, dass das Budget um 100.000 Euro verpasst würde. Eine Erzählweise, die Jarchow so nicht stehen lassen möchte. So sei der HSV seinerzeit nur knapp an der Insolvenz vorbeigeschrammt. Nach der Amtszeit von Bernd Hoffmann habe Jarchow nicht nur im Frauenfußball kürzen müssen, um den Verein vor der Zahlungsunfähigkeit zu retten. „Insofern mussten wir wirklich streichen und überall sparen.“ Der Frauenbereich habe einen Fehlbetrag von 200.000 bis 300.000 Euro vorzuweisen gehabt. „Dann hat die Abteilungsleitung Frauenfußball im Amateurvorstand des HSV beschlossen, die Liga für den Betrag, den wir ihnen zur Verfügung gestellt haben, nicht bespielen zu können.“
Es sei also keine Entscheidung der obersten Gremien gewesen. „Sie haben dann den Entschluss getroffen, die Frauen abzumelden. Nicht der Vorstand hat die Frauen abgemeldet. Das haben sie selbst gemacht. Das ist die ganze Geschichte“, so Jarchow, wissend, dass man mit einem unausreichenden Etat dieser Abteilung auch kaum eine Wahl gelassen hat. Mit Blick auf den heutigen Boom des Frauenfußballs in der Hansestadt erscheint die Abmeldung umso unwirklicher. „Man möge mir verzeihen, dass ich seinerzeit nicht abschätzen konnte, wie stark der Frauenfußball Jahre später wachsen würde.“
Große Partner ermöglichen den Aufschwung
Jemand, der diesen Boom maßgeblich mit unterstützt hat und auch weiterhin sehr aktiv begleitet, ist der aktuelle Hauptsponsor des HSV, die HanseMerkur. Das Hamburger Versicherungsunternehmen hatte sich zum Start seines Engagements im Jahr 2018 vor allem dem Nachwuchs-/Familienbereich verschrieben und sich als Exklusivpartner des Familienblocks darum gekümmert, Jugendlichen den Zugang zum Stadion zu erleichtern und mit Autogrammstunden zum Erlebnis zu machen. Kurz darauf folgten die Engagements bei den Profis – und eben auch direkt bei den Frauen des HSV. „Es war seinerzeit eine ganz bewusste Entscheidung, den Fußball beim HSV zu unterstützen“, erinnert sich Eric Bussert, Holdingvorstand für Vertrieb und Marketing bei der HanseMerkur, zurück. Dass daraus bei den Frauen eine derartige Erfolgsgeschichte würde, war zu Beginn der Kooperation definitiv nicht zu erwarten. Umso mehr freue er sich heute „für die Mannschaft, das Trainerteam sowie den gesamten HSV-Fußball über diesen großartigen Erfolg. Die Unterstützung der Frauenmannschaft als Trikotsponsor war und ist für uns eine Herzensangelegenheit“.
Warum ich diese Geschichte erzähle? Ganz einfach: Weil es genau diese Geschichten sind, die anderen Personen und Unternehmen als Vorbild dienen können. Und zwar denen, die sich nicht trauen, auch mal selbstlos in Sparten zu investieren, die nicht sofort das größte Aufsehen erregen, die nicht sofort auf allen Titelblättern erscheinen. Dass hier vor einiger Zeit der HanseMerkur und eben jenem Bussert von einigen Anteilseignern der HSV Fußball AG ein grundsätzlicher Mehrwert für den HSV abgesprochen wurde, als es darum ging, Anteile an der AG zu übernehmen – es verleiht dieser Erfolgsgeschichte eine besondere Note. Denn, Spoiler: Am Ende setzt sich das Gute durch.
Zumindest in diesem speziellen Fall. Die HanseMerkur ist inzwischen Anteilseigner. Neben dem ununterbrochenen Engagement im Nachwuchs- und Frauenfußball agiert das Versicherungsunternehmen auch langfristig als Hauptsponsor der Profimannschaft. Ebenso bei den Frauen, die nun im DFB-Pokal Geschichte schreiben, während sie in der Liga weiter um den Aufstieg kämpfen, den auch die Profis vor Augen haben. Weder die HanseMerkur noch Bussert haben die teilweise persönlichen Angriffe an sich herangelassen. Im Gegenteil: Inzwischen konnte Bussert beim wiederholten Versuch seitens des HSV sogar davon überzeugt werden, sich dem neuen Aufsichtsrat anzuschließen.
Entsprechend diplomatisch umschifft der frisch ernannte Funktionsträger dann auch diesen Bereich meiner Frage und lenkt das Augenmerk auf das, was kommt. „Unser Ziel war es von Anfang an, Strukturen zu fördern, die langfristige Entwicklung ermöglichen. Wir freuen uns umso mehr über diese bis hierhin schon absolut einzigartig schöne, gemeinsame Reise. Und ich bin mir sicher, dass wir mit dem HSV-Fußball noch lange nicht am Ende dieser schönen Reise sind.“
Historisches Spiel als Karrierechance?
Gleiches gilt selbstverständlich auch für Baum. Auch sie hat sicherlich noch sehr viel mehr tolle Erfolge und Erlebnisse vor als hinter sich. Zumindest wünsche n ich ihr das. Dass dafür auf den Tribünen auch Scouts sitzen, die jede Aktion der U19-Nationalspielerin genau beobachten, ist kein Geheimnis. Sie gilt als technisch herausragende Offensivkraft, die mit ihrem starken linken Fuß stets den direkten Abschluss sucht. HSV-Frauenfußball-Koordinatorin Saskia Breuer beschreibt sie als „Instinkt-Fußballerin“, deren Dribblings und fließende Bewegungen außergewöhnlich sind. „Das ist ein Talent, das man nicht lernen kann. Sie bringt alles mit, um eine Führungsspielerin auf höchstem Niveau zu werden.“
Und genau das will sie auch werden. Dafür musste sie früh Verzicht üben. Während Gleichaltrige noch über ihre Zukunft nachdenken, lebt Baum längst den Alltag einer Spitzensportlerin. Bereits mit 17 stand sie bei der U20-Weltmeisterschaft in Kolumbien auf dem Platz. Zudem hat sie einen Sponsorenvertrag mit Nike – ein weiterer Hinweis auf ihr großes Potenzial. Trotz der wachsenden Aufmerksamkeit bleibt sie entspannt. „Wenn man in der U-Nationalmannschaft spielt, weiß man, dass man zu den Besten seines Jahrgangs gehört“, sagt sie selbstbewusst. Ihr außergewöhnlicher Karriereweg hatte sie dabei schon früh auf Entbehrungen vorbereitet. „Man verzichtet natürlich auf vieles, wenn man so viel Sport treibt. Aber ehrlich gesagt, interessieren mich die meisten Dinge, die andere in meinem Alter machen, gar nicht.“
Lisa Baum – das Toptalent des HSV steht vor dem großen Sprung
Geboren in Tansania als Tochter eines deutschen Vaters, wuchs Baum zunächst mit der Landessprache Suaheli auf, bevor sie mit vier Jahren nach Deutschland zog. In der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Ahrensbök begann sie gemeinsam mit ihrem Bruder mit dem Fußball – der HSV entdeckte sie und holte sie 2022 in die U17. Heute lebt sie mit drei Mitspielerinnen in einer WG, nur wenige Schritte vom Trainingsplatz entfernt. Die Frage ist allerdings, wie lange das noch so sein wird. Baum wird von der ehemaligen Nationalspielerin Lena Goeßling beraten, die für die Agentur Sports360 arbeitet – jene Agentur, bei der auch Toni Kroos einst unter Vertrag stand und in der er heute als Gesellschafter mitwirkt.
„Lisa weiß genau, dass ihr viele Türen offenstehen“, sagte Goeßling kürzlich meinen Kollegen vom Hamburger Abendblatt. Baums Traumklub ist der FC Barcelona, aber auch die Premier League mit Teams wie Liverpool oder Manchester City fasziniert sie. Zunächst aber will sie mit dem HSV ins Pokalfinale einziehen. Und auch am Sonntag wird sie ihr Ritual beibehalten: eine Botschaft auf ihrem Handgelenk, die sie daran erinnert, wofür sie spielt. Doch wie lange wird sie das noch im HSV-Trikot tun? Für Lisa Baum ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie den nächsten Schritt macht. „Das ist mein großes Ziel“, sagt sie entschlossen.
Und ich wünsche Ihr ebenso wie allen Teamkameradinnen sowie dem Trainerteam und dem HSV maximalen Spaß und Erfolg am Sonntag gegen Werder. Ich werde mir das Spiel live vor Ort anschauen und die HSV-Frauen mit meinem bescheidenen Mitteln unterstützen. Seid Ihr auch dabei?
Lg
Scholle
P.S.: Anbei noch ein Livestream für alle, die kein Sky-Abo haben: https://www.zdf.de/kurzfassungen/frauen-fussball-livestream-highlights-zusammenfassung-ergebnisse-100
Apropos Mindset: schickt Hrubesch in die wohlverdiente Pension und holt Almut Schult, ihr Holzköppe!
Moin zusammen,
wir werden morgen mit fünf Leuten aus meiner Dauerkartengruppe vor Ort sein. Auch meine Frau ist dabei. Dieses Spiel und dieses Duell lasse ich mir doch nicht entgehen. Und ich freue mich natürlich auf Lisa Baum. Aber auch Kardesler, Meyer oder Lotta Wrede (16 Jahre alt und schon 11x für den HSV gespielt) sind wirklich spannende HSV-Spielerinnen. Auf jeden Fall wird morgen Geschichte geschrieben und wer weiß: vielleicht ziehen wir in das Finale ein? Und zudem: endlich mal wieder ein Spiel um 15.30 Uhr. Und nicht um 13.00 Uhr oder 13.30. In diesem Sinne: nur der HSV.
Gruß,
Michael
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So so, der von vielen hier hochgelobte Bernd Hoffmann hat den HSV also fast zahlungsunfähig hinterlassen..? Komisch, dass das die Hoffman-Jünger von einst und heute immer bei den ganzen Lobhudeleien vergessen!
Moin,
mit diesem Spiel gibt es noch mal einen Schub für die Damen und das Image des gesamten HSV – und da gibt es noch einiges aufzuholen. Und ein Sieg gegen Werder tut immer gut 😀.
nur der HSV
Matchday, dieser Hinweis sollte zur Normalität werden, wenn die HSV Damen antreten.
NUR DER HSV
Heute bin sogar ich Damenzotte!
Genau wie Polkatessy, Calimera und Flotthilde McFlott.
Können wir uns nach dem Frauenspiel wieder dem richtigen Fußball widmen?
Gott sei Dank ist der Torwartfehler nicht entscheidend gewesen.Das wünscht man niemandem.
Ich finde, unser Freund Paulinho verpasst was…
Auf geht‘s Mädels !!!
Die Abmeldung war auch damals ein Skandal von Herrn Jarchow!
Ich habe es schon damals im Blog geschrieben. Es hat aber nicht nur mit Visionen zu tun, sondern auch schon damals mit einem alten dekadenten Mindset!
3 Fragen
1. Wie hoch werden die Zuschauereinnahmen sein?
2. Werden diese, wie bei den Herren üblich, 50/50 geteilt?
3. Wie groß ist der Etat der Ladies?
Darf man anderer Meinung sein? Für mich bleibt der Damenfußball eine unglückliche Variante der Sportart Fußball.
Jetzt geht’s los.
Bisher haben die HSV Mädels zumindest bewiesen, dass sie mit einer Bundesligamannschaft mithalten können. Zumindest einer Mannschaft aus dem Bundesliga Mittelfeld.
Die letzten Minuten machen richtig Spaß!
Schade, schade, schade, aber die HSV Mädels haben alles rausgehauen und den Klassenunterschied fast ausgeglichen!
Leider verlieren die HSV Mädels – HSV typisch – die großen Partien gegen Delmenhorst-Ost!
War ein gutes Spiel unsrer Mädels. Das ist keine Schande gegen einen höherklassigen Verein auszuscheiden.
Also jetzt hätte ich noch viel mehr Bock darauf, dass die Herrentruppe endlich wieder aufsteigt und irgendwie 6 Punkte gegen Werder holt, scheißegal wie, aber das hat die leidgeprüfte Fanseele endlich mal verdient.
Großes Lob an die Damen, hätte auch andersrum ausgehen können.
Übrigens freue ich mich auf Fußball Marke Deutschland vs Italien….. geradezu unbändig!
Schade, aber mit Anstand und Klasse ausgeschieden. Weiter so, dann werden zukünftige Jarchow Entscheider keine Chance haben.
Übrigens, man sollte keine Äpfel mit Birnen vergleichen.
Der Männer Fussball hat 100 Jahre Entwicklung voraus und Jennifer Lopez ist nicht Arnold Schwarzenegger und man möchte sagen “ und das ist gut so „