Terodde haben, heißt: von Terodde lernen

by | 10.01.21

In den letzten Jahren war man in Hamburg immer sehr schnell dabei, Spieler und Verantwortliche zu glorifizieren. Auch wir haben uns da nicht immer positiv hervorgetan. Aber aus Fehlern lernt man – und dementsprechend war ich auch bei den Verpflichtungen vor dieser Saison eher vorsichtig. Bei Toni Leistner habe ich mit guten Freunden und Bekannten aus Berlin gesprochen, die den Abwehrmann aus Unioner Zeiten noch kannten. Das negativste Urteil war zwar „ist ein geiler Typ“ – aber trotzdem sollte der 30-Jährige erst einmal in Hamburg ankommen und sich zeigen können, bevor man ein Urteil fällt. Auch dann, wenn die Vorschusslorbeeren grundsätzlich so positiv sind wie bei Leistner. Warum ich das schreibe: ganz einfach: Weil ich heute einfach mal ein Kompliment loswerden muss an alle, die mit dem Transfer von Simon Terodde zu tun hatten.

Okay, bei den Verantwortlichen halte ich es kurz: Denn zu erkennen, dass Terodde ein Guter ist, das dürfte selbst einem Fußballfremden leicht gefallen sein. Wobei darin auch wieder das Lob liegt, denn Terodde wird nicht nur vom HSV umgarnt worden sein. Im Gegenteil. Auch finanziell, so wurde es mir gegenüber bestätigt, hat man sich hier nicht übernommen. Vielmehr hat man Terodde vom HSV überzeigen können, was ich eine ganze Weile lang in Frage gestellt habe. Allerdings passen so viele  Beschreibungen so gut zusammen, dass sich ein für mich stimmiges Bild ergeben hat. Welches? Ein extrem gutes.

Terodde verdient die Note 1+ – nicht nur auf dem Platz

Sportlich steht eh alles außer Frage. 16 Saisontreffer in 15 Ligaspielen sind ein Wert, den beim HSV seit Ewigkeiten kein Stürmer mehr hatte. Gut, Zweite Liga ist auch was anderes. Aber dieser Wert, zu dem sich auch noch eine Torvorlage gesellt, ist für die aktuellen Bedürfnisse des HSV sensationell. Und wenn man sieht, wie Terodde seine Tore macht, dann darf man getrost davon ausgehen, dass der Rekordstürmer der Zweiten Liga auch in den verbleibenden Ligaspielen weiter treffen wird. Denn eines steht fest: Tore wie das gestrige gegen Nürnberg macht nicht jeder. Diese Qualität, aus nahezu jeder Lage den Ball im Kasten unterzubringen ist außergewöhnlich. Die hat außer Terodde in dieser Saison in dieser Liga noch kein anderer bewiesen. Ergo: Note 1+ sportlich.

Und diese Note hält der Unterschiedsspieler auch drumherum. Terodde gibt beispielhaft einen Weg vor, an dem sich so manches „Megatalent“ orientieren müsste. Er hat seit vielen Jahren in aller Regelmäßigkeit abgeliefert, Aufsteige und Titel gesammelt. Der 32-Jährige hat eine Karriere vorzuweisen, die bei den allermeisten zu Allüren führt. Aber anstatt sich wichtiger zu nehmen oder sich selbst gegenüber nachlässiger zu sein als anderen (jungen) Spielern gegenüber, geht Terodde in allen Bereichen voran. Er hat die Ruhe, sich und anderen nichts mehr beweisen zu müssen – und tut es trotzdem jeden Tag. Im Spiel, im Training, nach dem Spiel und nach dem Training – Terodde geht sportlich voran und ist im Umgang mit seinen Kollegen integrativ. Er nimmt sich nicht wichtig – er ist es einfach. Und genau deshalb will der HSV seinen Vertrag auch nicht voreilig verlängern.

Klingt unlogisch? Stimmt! Das ist es aber nicht. Denn Terodde weiß wie der HSV die letzten Jahre einzuordnen. Immer wieder Spitze in der Zweiten Liga hat es bislang für Terodde auf Erstliganiveau nie zu mehr gereicht als zum Backup. „Wir wissen und gegenseitig, was wir aneinander haben“, antwortete Michael Mutzel heute, angesprochen auf die ausstehende Vertragsverhandlungen mit seinem Toptorjäger. Der wiederum hatte gestern nach dem Spiel den Kollegen in Nürnberg gesagt, dass er es nicht kennt, dass der Vertrag ausläuft und er noch nicht weiß, wie es weitergeht. „Es ist dreieinhalb Monate her, dass wir den Vertrag mit ihm abgeschlossen haben und wissen alle, was darin steht. Wir sind alle mega zufrieden mit ihm. Auch als Typ“, lobt Mutzel, „wir haben das Thema auf dem Schirm und keinen Stress. Er weiß auch dass er das volle Vertrauen von uns hat und trifft auch deshalb. Das Thema ist für Euch (uns Journalisten, Anm. d. Red.) eines, aber wir sind alle im Austausch und relativ entspannt.“ Eine genaue Absprache gäbe es noch nicht. Ob die Liga eine Rolle spiele wollte Mutzel dann nicht mehr beantworten. Und ja, ich weiß, dass jetzt bei vielen die Alarmglocken klingen. Wie kann man bei Terodde zögern? Meine Antwort: Ich hoffe, weil man vernünftig ist.

Das Beispiel Terodde zeigt, wie es laufen sollte

Zuletzt hatte ich bei Stephan Ambrosius geschrieben, dass seine Vertragsverlängerung ein sehr guter Schritt ist. Gleichzeitig hatte ich die bekanntgewordenen Zahlen kritisiert. Und das sehe ich noch immer so. Denn so sehr die Berater und der Spieler sich über das exponentiell gesteigerte Gehalt freuen – es wird zu schnell zum Boomerang. Zum einen, wenn andere Spieler erfahren, dass ein 22-Jähriger nach 15 Ligaspielen das erste Mal einen Millionenvertrag unterschrieben konnte, zum anderen, weil es die Erwartungen an Ambrosius selbst steigert. Ehrlich gesagt freue ich mich, dass Ambrosius – der gestern wie zuletzt auch für mich der beste Innenverteidiger beim HSV war – bleibt. Aber hier wie Terodde gilt: Allein vom Moment darf man sich nie leiten lassen. Denn während Terodde bislang den Beweis schuldig ist, in der Ersten Liga zu funktionieren – konnte Ambrosius das noch gar nicht.

Und doch unterscheidet beide etwas ganz entscheidend: Bei Terodde kann man offen darüber sprechen – bei Ambrosius muss man sich von Vereinsseite allein klar werden und dann danach handeln. Mit dem Spieler über Zweifel daran zu diskutieren, wäre kontraproduktiv. Denn jede Vertragsverlängerung beinhaltet auch eine Wertschätzung, die dem Spieler schmeicheln soll. Der Spieler soll spüren, dass man an ihn glaubt, dass man ihm vertraut. Bei jungen Spielern ist das meistens sogar noch wichtiger, als bei den älteren. Ändert nichts an der Sache mit der Kohle – aber es dürfte bei Terodde die Aufgeregtheit vieler nehmen. Denn ich glaube tatsächlich, dass Terodde selbst alles andere als aufgeregt ist.

Von daher: Einfach mal ruhig bleiben, einfach mal den Moment wirklich richtig einordnen, ihn genießen und auch kritisieren, wenn es denn nötig ist. Aber bitte: Keinen Aktionismus mehr! Weder von innen – noch von außen. Oder anders formuliert: Einfach mal die Gelassenheit aufbringen, die einen Terodde auszeichnet…

Elvis bringt es wieder mal auf den Punkt

Und bevor ich Euch für heute verabschiede, noch ein Tipp in eigener Sache. Um 18 Uhr hat Elvis seinen neuen musikalischen Spielbericht online gestellt. Und er bringt es mal wieder auf den Punkt. Aber hört selbst:

In diesem Sinne, bis morgen! Da werde ich mich mit dem Thema Sven Ulreich beschäftigen. Bis dahin wünsche ich Euch noch einen schönen Abend und morgen einen besonders guten Start in die neue Woche!

Scholle

Marcus Scholz

Marcus Scholz

Sportjournalist Marcus „Scholle“ Scholz hat sich in mehr als 20 Jahren als HSV-Reporter bundesweit als Gast in renommierten TV-Sendungen einen anerkannten Namen gemacht. Nach „Matzab“ und der „Rautenperle“, die Scholle beide zu digitalen Erfolgen pushte und sogar auf Rang 6 und 7 im nationalen Fußballblog-Ranking platzieren konnte, ist „MoinVolkspark“ sein erster komplett eigener Blog über den HSV. Zusammen mit einem Team aus jungen, hungrigen HSV-Freunden wird dabei auf unterschiedlichen Kanälen über den HSV mit den täglich neuesten News und Entwicklungen in Wort, Bild und Ton berichtet. Scholles Motto allein macht schon deutlich, worum es ihm hier geht: „Ein Tag ohne den HSV ist ein verlorener Tag.“

Über Moin Volkspark

Moin Volkspark – das ist ein Team aus jungen Menschen, die sich seit vielen Jahren mit dem HSV beschäftigen und ihre facettenreichen Fähigkeiten so einbringen, dass hier heute eine Plattform entsteht, die den Anspruch hat, HSV-Freunde und -Interessierte vollumfänglich zu informieren und zu unterhalten.

Das Ganze gepaart mit der Expertise des bekannten Sportjournalisten Marcus „Scholle“ Scholz bietet ein Maximalmaß an objektiver Informationen und  zeitgemäßer Unterhaltung. Ziel ist es, hier frischen, dynamischen Content zu bieten, der sich wohltuend von der allgemeinen Journaille abhebt.

Moin Volkspark ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren im Forum, zum Mitfiebern bei Live-Events. Und natürlich zum Mitmachen in unseren vielfältig angelegten Video-Formaten. Eure Freude, Eure Trauer, Euer Jubel und Eure Wut haben hier Ihren Platz, solange alles respektvoll formuliert und artikuliert wird.

Moin Volkspark steht für ein leidenschaftliches Miteinander und ist der Zusammenschluss dessen, was eigentlich schon seit langer Zeit zusammengehört.

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