Trainer Tim Walter glaubt trotz der Niederlage beim 1. FC Kaiserslautern weiter fest an den Aufstieg des HSV und an ein erfolgreiches Derby gegen den FC St. Pauli. „Es ist noch ein langer Weg. Aber wir bleiben groß. Wir halten den Kopf oben, wir strecken die Brust raus, wir bleiben bei uns“, sagte der 47-Jährige am Samstagabend nach dem enttäuschenden 0:2 in Kaiserslautern in seinen inzwischen bekannten Worten. „Es liegt letztlich nur an uns. Wir haben alle Trümpfe in der Hand. Die wollen wir bei uns behalten.“ Dass der FC St. Pauli und Darmstadt ebenso patzten machte den FC Heidenheim zum großen Gewinner des Spieltages – und es schränkte den in Lautern angerichteten Schaden ein wenig ein. Zumindest kann der FC St. Pauli den HSV in egal welchem Fall am Freitag im Stadtderby nicht punktetechnisch einholen.
Dass Walter versuchte, die Brisanz dieses Stadtduells herunterzuspielen, wird ein netter versuch bleiben. In der öffentlichen Wahrnehmung ist dieses Spiel so wichtig, dass eine Niederlage auch für Walter zum Debakel würde. Walter selbst versuchte auch deshalb, dem Derby ein wenig Druck zu nehmen: „Für die Fans ist es etwas ganz Besonderes. Aber es sind auch nicht mehr als drei Punkte. Die wollen wir holen, die wollen wir bei uns behalten.“ Logisch. „Derby-Sieg oder Voll-Alarm“ titelt die Bild heute schon und läutete damit die Woche vor dem Stadtderby in der Tonalität ein, die in den nächsten Tagen lauter wird, da bin ich mir ziemlich sicher.
Es wird ungemütlich
Und das ist nach 19 Punkten aus elf Spielen (Rückrundentabelle Platz 7) auch normal. Denn der HSV hängt immer weiter seinem eigenen Anspruch hinterher. Man kann jetzt viele Zitate bringen wie beispielsweise Schonlau („Das ist ein Stadtderby. Dass die einen Lauf haben, dass die gut sind – gar keine Frage. Aber wir werden da mit maximaler Kapelle spielen“) es nach Spielende sagte. Und es wird ganz sicher auch noch viel geredet, weil viel gefragt wird. Aber der HSV sollte aus den letzten Jahren gelernt haben und sich weniger verbal in die Tabellenspitze sabbeln, als auf dem Platz zu ackern.
Dass man tatsächlich erst am Dienstagnachmittag wieder auf den Trainingsplatz geht und somit nur zwei ernst zu nehmende Einheiten (Donnerstag ist nur noch lockeres Abschlusstraining) hat, halte ich für zu wenig. Zwar hat der FC St. Pauli nicht mehr Trainingsgelegenheiten angesetzt, da man erst am gestrigen Sonntag gespielt hat. Aber das sollte nicht maßgeblich sein für den HSV. Im Gegenteil: Man muss endlich wieder dahinkommen, mehr zu investieren als alle anderen. In allen Bereichen. Das Wichtigste hieran: Diese Haltung muss sich intern festsetzen. Die Spieler müssen diese Philosophie annehmen und daran glauben, dass sie damit zum Erfolg kommen – womit ich mal wieder bei Sonny Kittel angekommen bin.
Denn der lebt diese Philosophie nicht. Er ist das Gegenteil davon und lebt fast ausschließlich von seinem zweifellos vorhandenen Talent. Kittel macht weniger – dafür entscheidende Dinge, argumentiert der Trainer immer wieder. Eine Zeitlang stimmte das. Aber eben auch immer wieder nicht. Deshalb hatte mich Walter sogar stärker irritiert, als er davon sprach, man müsse Kittel „Spaß vermitteln“, weil er dann funktionieren würde. Sollte das nicht vom Spieler ausgehen? Sollte nicht der Spieler die Pflicht haben, alles zu geben, während der Verein die Verpflichtung hat, Gehalt und Trainingsbedingungen in ausreichendem Maße zu stellen?
Nein. So rum funktioniert es gerade mal mit Ausnahmespielern der Kategorie Messi, Mbappé, Neymar und Co. Wobei die eben deswegen ganz oben sind, weil sie häufiger und besser funktionieren als andere. Aber: Nicht einmal runtergebrochen auf Zweitliganiveau kann Kittel diesem Vergleich standhalten. Daher halte ich Walters Aussage für ein fatales Zeichen an die Mannschaft. Ein fatales Zeichen an diejenigen, die sich in jeder Trainingseinheit und in jedem Spiel den Allerwertesten aufreißen. Vor allem für die, die in der zweiten Reihe stehen und für Kittel auf der Bank zu sitzen, während der mal wieder nicht funktioniert.
Mefferts Bedeutung wird klarer – das HSV-Spiel nicht
Apropos: Das Spiel in Kaiserslautern noch einmal bewiesen, wie wichtig Jonas Meffert im Mittelfeld für den HSV als Organisator ist. Ludovit Reis konnte diese Position nur sehr bedingt ausfüllen – weil seine Stärken zweifellos auf der Acht sind. Dass er kämpfen kann, ist klar. Das tat er auch. Allerdings war er mit der Organisation der Defensive nicht nur überfordert, sondern wirkte auf mich zum Ende des Spiels hin erschöpft. Denn auch die Organisation auf dem Feld kostet Körner. Das unterschätzen viele noch. Und während ein Ballverlust von Reis im Zentrum in den letzten Monaten immer noch einen Meffert als Absicherung hatte, war Meffert diesmal – siehe das 2:0 für den FCK – nicht da.
Auch deshalb bleibe ich dabei, dass der HSV die Option „Karo einfach“ wieder in sein Repertoire aufnehmen MUSS! Das, was Heidenheim trotz deutlich geringerer individueller Qualität vor den HSV bis auf Platz zwei gespült hat. Warum bitte haut Daniel Heuer Fernandes den Ball vor dem 0:1 nicht einfach lang nach vorn? Gerade dann, wenn man immer wieder die höhere Qualität seiner Offensivkräfte betont und weiß, dass man defensiv wackelt, MUSS das gespielt werden. Oder wie heißt es: Wenn du hinten die Null stehen hast, verlierst du nicht. Und wie gesagt: Dann reicht vorn auch mal ein einziger Treffer.
Es muss in der Zweiten Liga nicht immer Spektakel sein – ganz im Gegenteil: Es muss nur erfolgreich sein. Erfolgreicher als aktuell.
In diesem Sinne, Euch allen einen schönen Start in die Derbywoche.
Die Feierstimmung angesichts des fulminanten 6:1-Sieges gegen Hannover 96 vom vergangenen Sonnabend dürfte (und sollte) sich nun im Volkspark endgültig wieder gelegt haben. Denn: Die Auswärtsfahrt in die Westpfalz, die am morgigen Sonnabend (Anstoß 20.30 Uhr) für Tim Walter und seine Jungs ansteht, hat es in sich. Im ausverkauften Fritz-Walter-Stadion (49.350) erwartet den HSV am 28. Spieltag nicht nur stimmungstechnisch, sondern auch fußballerisch ein starker Aufsteiger. Dass der HSV in dieser Partie auf den weiterhin kranken Moritz Heyer (konnte heute noch nicht mittrainieren) verzichten muss, macht die Aufgabe nicht leichter. Im Gegenteil.
Für den zuletzt starken Rechtsverteidiger rückt Miro Muheim wieder in die Startelf und übernimmt die linke Abwehrseite, während Noah Katterbach wohl rechts Heyer gegen den 1. FC Kaiserlautern vertreten wird, der sich durch einen Last-Second-Ausgleich beim 2:2 gegen Aufstiegs-Aspirant Heidenheim bereits am 26. Spieltag frühzeitig den Klassenerhalt sichern konnte. Die nun mit 40 Punkten auf Rang sieben der Tabelle stehenden Pfälzer hatten zwischenzeitlich zwar durchaus höhere Ambitionen, sind aktuell rechnerisch aber schwerlich in der Lage zu mehr.
Dennoch, das Team von Dirk Schuster ist mächtig ernst zu nehmen, wie schon das Hinspiel zeigte. Zudem bewies der FCK zuletzt seine Comeback-Qualitäten: Ganze elf Mal punktete der FCK in dieser Saison nach einem Rückstand. Eine Kostprobe dessen bekam der HSV bereits im Hinspiel: Nach langer Führung (24. / Glatzel) und einem verschossenen Elfmeter durch Sonny Kittel glichen die Lauterer im direkten Gegenzug acht Minuten vor Schluss aus (82. / Lobinger). Für den HSV markierte dies den Start einer drei Partien umfassenden Niederlagen-Serie (0:3 gegen St.Pauli, 0:4 gegen RB Leipzig und 2:3 gegen Magdeburg). Tim Walters Elf muss also vor dem Rückspiel in Kaiserslautern gewarnt sein.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der 1. FC Kaiserslautern derzeit in einer Ergebnis-Krise steckt. Während die Pfälzer zwischenzeitlich als Geheimfavorit auf den Bundesliga-Aufstieg gehandelt wurden und sogar den vierten Tabellenplatz einnahmen, warten diese nunmehr seit fünf Spielen auf einen Sieg. Auffällig schwach agierten die Lauterer dabei vor allem in der Fremde. Die ernüchternde Bilanz von fünf Auswärtsniederlagen in Serie ohne eigenen Treffer verdeutlicht die Formdelle des FCK in der letzten Zeit. „Wenn man die Spiele Ende der Hinrunde mit denen der Rückrunde vergleicht, kann man schon sagen, dass wir das Momentum nicht mehr auf unserer Seite haben“, stellte FCK-Trainer Dirk Schuster vor der Partie fest.
Das Momentum scheint jedoch in den Heimspielen auf dem Betzenberg weiterhin zu bestehen. Auf eigenem Platz ist der Aufsteiger seit Mitte Oktober ungeschlagen. Ein entscheidender Faktor stellt hierbei das Publikum dar. „Es wird brennen und ich glaube, wir werden auch brennen“, verkündete FCK-Innenverteidiger Robin Bormuth vor der Partie. Das Spiel in der Festung der ‚roten Teufel‘ wird also für den HSV auch zu einem Mentalitäts-Test. Hier müssen die Hamburger beweisen, dass sie der Wucht des Fritz-Walter-Stadions standhalten können. Gerade in den Schlussminuten gelangen dem FCK in dieser Saison – wie zuletzt auch gegen Heidenheim – auf dem Betzenberg noch späte Treffer.
Taktisch setzt Dirk Schuster in dieser Spielzeit bisher vor allem auf ein 4-2-3-1-System. Dabei stehen ihm einige Spieler mit Bundesliga-Erfahrung zur Verfügung, allen voran Weltmeister Erik Durm, Keeper Andreas Luthe und Kapitän Jean Zimmer. Offensiver Zielspieler beim FCK ist Top-Torjäger Terence Boyd (11 Treffer), der jedoch seit fünf Partien nicht mehr getroffen hat. Neben Boyd könnte aber vor allem der schnelle Kenny Prince Redondo die rechte HSV-Abwehrseite vor Probleme stellen, zumal dort Moritz Heyer krankheitsbedingt auszufallen droht. Redondo ist mit fünf Toren und fünf Assists zweitbester FCK-Scorer, hatte jedoch zuletzt aufgrund eines Muskelfaserrisses wochenlang pausieren müssen. Gegen den HSV kehrt dieser nun wieder in Schusters Team zurück. Nicht dabei sein wird aller Voraussicht nach Ex-Hamburger Aaron Opuku, der diese Woche nur eingeschränkt trainieren konnte. Nach seinem unrühmlichen HSV-Abgang, bei welchem er bei der 1:2-Heimniederlage gegen Darmstadt in der Hinrunde nach einer Tätlichkeit mit Rot vom Platz flog, hat sich dieser bei seinem neuen Klub im engen Kreis der Startelf-Kandidaten etabliert. Ebenfalls ausfallen wird der ehemalige Bremer und Mittelfeld-Motor Nicolai Rapp (Muskelfaserriss).
Fazit: Der HSV trifft morgen zwar auf einen formschwachen, aber leidenschaftlichen Gegner vor einer beeindruckenden Kulisse. Kaiserslautern wird es Tim Walters Jungs über 90 Minuten schwer machen. In der Vergangenheit hat der HSV gerade in solchen Spielen nahezu verlässlich versagt. Walters Aufgabe ist es, wirklich jedem HSV-Profi die Schwere der Aufgabe vor Augen zu führen. Nachlässigkeiten wie z.B. Dompés mangelhafte Trainingseinstellung unter der Woche darf es in dieser entscheidenden Saisonphase nicht mehr geben. Mit einer engagierten, professionellen Leistung sehe ich den HSV aber immer in der Lage, Kaiserslauterns Heimserie zu beenden.
Bis morgen,
Euer Cornelius
KURZ NOTIERT:
Gute Aktion I: Wir werden morgen wieder live via Streamingdienst Twitch von der Auswärtscouch aus dabei sein. Wer also Lust hat, sich mit uns zusammen über blöde Aktionen zu ärgern und über gute zu freuen, ist herzlich eingeladen.
Gute Aktion II: Das Stadtderby kann live im Internet verfolgt werden. Die Partie des HSV gegen den FC St. Pauli am Freitag (18.30 Uhr) kommender Woche wird kostenfrei auf dem YouTube Channel von Sky Sport in einer gesonderten Live-Übertragung zu sehen sein. Das teilte der Pay-TV-Sender am Freitag mit. Neben den Kommentatoren Florian Schmidt-Sommerfeld und Pascal Martin wird Sky-Zweitliga-Experte Torsten Mattuschka die Übertragung begleiten. Die Sendung bei YouTube läuft von 18.15 Uhr und 20.45 Uhr. Mit der einmaligen Aktion will Sky nach eigener Aussage die streamingaffinen Fans ansprechen. Das Spiel der beiden hanseatischen Rivalen wird wie üblich auch über das kostenpflichtige Angebot von Sky gezeigt. Dabei wird der Ex-HSV-Stürmer Pierre-Michel Lasogga die Begegnung mit Reporter Martin Groß kommentieren
Tim Walters Pressekonferenzen sind zweifellos nicht die kurzweiligsten. Zwischen Durchhalteparolen, Vertrauensbekundungen für alle, die zum Team gehören und dem „wir bleiben immer bei uns“ schaffte es zuletzt eine Treppen-Metapher, erwähnt zu werden. Immerhin war es was Neues. Und so verwunderte es mich auch heute nicht, dass Walter nach dem 6:1 gegen Hannover positiv gestimmt parlierte. „Ich freue mich einfach drauf. Alles andere macht ja eh keinen Sinn. Wir sind überzeugt von uns. Sonst würden wir nicht so reden.“ Dass seine Mannschaft in den letzten Wochen aus einem Drei- einen Vierkampf hat werden lassen, interessiert ihn dabei nicht. „Es sind noch sieben Spiele zu gehen. Wir gehen ein Spiel nach dem anderen an“, so der 47-Jährige. Und damit liegt er auch sicher nicht falsch.
In Kaiserslautern muss Walter möglicherweise auf Moritz Heyer verzichten, der noch mit einer Erkältung zu tun hat. Heyer ist für die Viererkette vorgesehen. Es wäre aus meiner Sicht ein Ausfall, der ähnlich wie Schonlau und Meffert bislang von keinem Spieler aufgefangen werden konnte. Weder von dem seitenverkehrt aufgestellten Noah Katterbach, der auf links zuletzt stark spielte und dort hoffentlich weiterhin spielen darf. Noch von William Mikelbrencis. Ehrlich gesagt hat mir in der Defensivbewegung auf rechts nach Heyer dessen Seitenkompagnon Bakery Jatta mit Abstand am besten gefallen. Ihn im Wechsel mit Ransford Königsdörffer spielen zu lassen wäre für mich eine überlegenswerte Option.
Aber sie wäre neu. Und zu viel Veränderung verschafft auch oft zu viel Unruhe und daraus resultierende Unsicherheit. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass bei einem Heyer-Ausfall die zuletzt gespielte Formation mit Muheim links und Katterbach rechts neben dem Innenverteidigerduo Schonlau/Davidspielen wird. Zumal Walter heute schon erstaunlich früh klarstellte, dass Jonas David beginnen wird. Walter verteidigte den nicht immer sicher wirkenden Abwehrspieler dabei noch einmal öffentlich. „Im Verbund passt es einfach mit Bascho (Schonlau, d. Red.) zusammen. Von daher bin ich total zufrieden. Was andere darüber denken, ist mir völlig egal.“
Er vertraut David halt. Wobei er diesen Worten zuletzt Taten hatte Folge lassen, als er David trotz früher Gelber Karte nach dessen Patzer auf dem Platz gelassen hatte. Dass David viel Glück hatte, dass er nach seinem nächsten gelbwürdigen Foul nicht schon nach 15 Minuten gelbrot erhalten hatte, spielt für Walter dabei keine Rolle mehr. „Ich fand, dass er in Situationen oftmals richtig gehandelt und es meiner Meinung nach gut zu Ende geführt hat. Er ist ein junger Spieler, der immer peu à peu weiter wächst.“ Und auch hier stimme ich zu. Denn David wurde im Spielverlauf deutlich besser und fing sich wieder. Allerdings ist und bleibt er bis heute den Beweis schuldig, auch mal über die gesamten 90 Minuten souverän agieren zu können.
Dass er einen Mario Vuskovic, dessen Anwälte den Weg vor den internationalen Sportgerichtshof (CAS) anpeilen, nicht ersetzen kann, war klar. „Einen Mario Vuskovic werden wir nicht ersetzen können, weil er einfach eine Klasse hat, die man in der 2. Liga sucht“, stellte Walter heute noch mal klar. Wie Walter sich die letzten sieben Spiele defensiv vorstellt? „Wir machen es so, wie wir es immer machen: als Verbund“, sagte Walter.
Unzufrieden war Walter zuletzt mit dem angeschlagenen Jean-Luc Dompé. Der französische Offensivspieler war am Mittwoch wieder in das Team-Training eingestiegen. Heute wurde er im Training erst von Kapitän Schonlau und dann von Walter lautstark gerüffelt. Dompé hatte sich defensiv nach einem einfachen Ballverlust verweigert. „Wenn er den Weg nach hinten nicht findet, nachdem er den Ball verliert, dann muss man es sagen“, erklärte Walter und stellte klar, dass das nicht exklusiv für Dompé gelte. „Das trifft auf jeden Spieler zu. Wenn unser Kapitän oder jemand anderer das Gefühl hat, dass es nicht in dem Maße ist, dann darf man das sagen.“ Dompé habe so viel Qualität. „Wenn er von zehnmal siebenmal an dem Spieler vorbeikommt, dann jubeln alle. Wenn er dreimal hängenbleibt, aber hinterherläuft, dann lieben sie ihn. Das muss er noch mehr intus haben“, so Walter, der hofft: „Ich glaube, dass er das versteht. Manchmal muss man ihn aber noch ermutigen. Das macht er dann auch.“
Was aber deutlich wird: Es bestimmt viel Zwischenmenschliches aktuell die Stimmungen und Leistungen auf dem Platz. Hinten die Unsicherheiten des jeweiligen Vuskovic-Ersatzes, dazu die Launen der Außenstürmer Dompé und eben auch Sonny Kittel, der langsam wieder zurück in die Spur findet. Von daher scheint auch Walter mit seiner nimmermüden Laier über Vertrauen, Zusammenhalt und den Glauben an sich selbst gar nicht so falsch zu liegen – im Gegenteil. Es ist zwar ermüdend anzuhören, aber sehr weckmäßig. Und manchmal aus personellen Gründen sogar unumgänglich. Dennoch, dass die Mannschaft in sich ziemlich geschlossen ist, hat sich immer wieder gezeigt. Zuletzt auch in einem Foto, das einige Spieler zusammen mit Mario Vuskovic beim Abendbrot zeigt. Man hält beim HSV zusammen – und das ist zweifellos auch Walters Verdienst. Jetzt muss man das Ganze nur endlich wieder in Souveränität auf dem Platz umwandeln. Denn DAS ist die entscheidende Währung im Aufstiegskampf und gibt einer Mannschaft noch mehr Sicherheit als alles Gesabbel drumherum zusammen…
In diesem Sinne, bis morgen!
Scholle
P.S.: Nicht wundern, dass dieser Artikel auch in den Kommentaren des Vorblogs stand. Ich musste leider bis eben auf den Support des Hosts warten, da ein Update der Seite die Berichterstellung lahmgelegt hatte. Deshalb hatte ich den Artikel dort schon mal reingestellt.
HSV-Trainer Tim Walter darf sich freuen. Und das tut er auch, denn er hat seinen Kader nahezu komplett für das wichtige und schwierige Spiel am Sonnabend beim 1. FC Kaiserslautern. Mit Javi Montero und Miro Muheim, die beide ihre Sperren (Muheim zudem eine kleine Blessur) abgesessen haben, kehren zwei Defensivkräfte zurück in den Kader und bieten Walter weitere Optionen. „Ich bin doch froh dass ich die habe. Das ist doch schön. So wäre mir das auf anderen Positionen auch lieb“, freut sich Walter, der gerade in Sachen Defensive noch einige Fragen bis zum Spiel auf dem „Betze“ zum klären hat. Anbei das Trainingsvideo von Johnny von heute:
Es ist eigentlich immer dasselbe Prinzip: Alles geht so lange gut, bis es etwas Besseres gibt. Oder auf diesen Fall bezogen: Die Nachfrage bestimmt den Preis. Und dieser ist beim HSV so hoch wie nirgendwo sonst. Dass die Fans seit Jahren schon diese Preispolitik kritisieren und dieses Thema intern im Austausch mit den HSV-Offiziellen immer wieder anmerken – es wurde erst jetzt wieder so richtig erkennbar, als vor dem Spiel gegen Hannover die gesamte Nordtribüne vollgepflastert war mit Protest-Bannern. „Schämt Euch“ stand dort ebenso wie „Fußball muss bezahlbar bleiben“. Die HSV-Preise wurden als „obszön“ betitelt – und angesichts von mehr als 100 Euro für ein Sitzplatzticket gegen den FC St. Pauli ist diese Kritik zweifellos berechtigt.
Aber: Der HSV macht es, weil er es kann. Heißt es. Der HSV braucht diese Einnahmen, weil sie noch immer ein Viertel des Gesamtetats ausmachen. Ich befürchte, dass hier das eine das andere bedingt. Aber das ist aus meiner Sicht zu kurz gedacht. Denn wenn der HSV in den letzten Jahren ein Faustpfand hatte, dann die eigenen Anhänger. Und damit meine ich weniger den Kuchenblock als die Nordkurve. Also die, die im Stadion für Choreos und Stimmung sorgen. Sie sind der Grund, weshalb der HSV trotz aller Misserfolge noch immer ein volles Stadion hat.
Diese Fans machen auch langweilige Fußballspiele zu echten Events und verpassen dem Stadionbesuch den Ruf, den er hat: ein echtes Erlebnis zu sein. Und diese Fans vergrault man mit derartigen Preisen auf Sicht. Da bin ich mir sicher. Ein guter Bekannter war gerade in Italien und hat dort mit seinem 14 Jahre jungen Sohn und seiner Frau das Spiel Lazio gegen Juve besucht. Kostenpunkt: 170 Euro – für alle drei. Wohlgemerkt erste italienische Liga. Und hier soll das Spiel zweier Zweitligisten fast doppelt so viel kosten?
Um das ganze Thema mal einzuordnen: Diese Diskussion um überhöhte Ticketpreise hat der HSV nicht exklusiv. Er hat diese Diskussion auch schon seit frühen Hoffmann/Beiersdorfer-Zeiten. Bislang hat sich im Fanverhalten wider alle Ankündigungen nichts verändert. Die Zuschauer kommen in dieser Zweitligasaison sogar mehr denn je. Aber: der HSV dreht das Rad immer weiter. Ohne dadurch Konsequenzen zu erfahren. Dennoch ist diese Situation gefährlich. Denn aktuell lebt alles von der Spannung der Saison. Aber sollte sich diese Zuversicht nicht im Ergebnis bestätigen, kann es gefährlich werden für die scheinbar unerschütterlich wirkende Koalition HSV/Fans. Vielleicht sogar gefährlicher als es die Verantwortlichen gerade wahrhaben wollen.
Gefährlicher wird endlich auch wieder Sonny Kittel – für die Gegner. Nach dem geplatzten Millionen-Wechsel im Winter nach Saudi-Arabien war der ebenso hochbegabte wie sensible Offensiv-Spieler fast drei Monate abgetaucht. „Wir haben ein sehr gutes Gefüge. Jeder hat Verständnis dafür gehabt, was Sonny in den letzten Monaten durchgemacht hat“, meinte Trainer Tim Walter. „Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass er früher zurückkommt aus der Phase.“
Und so gern ich es glauben würde – noch sehe ich Kittel (noch) nicht als „zurückgekommen“ an. Er hat gut gespielt gegen Hannover, fand ich. Und ich stimme Walter zu, wenn er sagt, „wir sind alle sehr glücklich und freuen uns für ihn, dass er sich da selbst herauskatapultiert hat“. Aber ich befürchte bei zu viel Lob auch einen schnellen Rückfall. Von daher würde ich es so nehmen, wie es ist. Nicht weniger – aber auch nicht mehr. Ich befürchte sogar, dass Kittel selbst mit zu viel Lob gar nicht so gut umgehen kann. Wobei seine Teamkollegen das offenbar anders sehen. Sie halten sich nicht zurück mit Komplimenten: „Ich freue mich riesig für Sonny Kittel. Er ist ein so guter Fußballer, der in dieser Saison viel Pech hatte. Es ist überragend, dass er gerade jetzt wieder da ist, wo es darauf ankommt. Er ist ein unersetzlicher Spieler, ein einzigartiger Spieler für diese Liga.“
Das sagte Topstürmer Robert Glatzel. Und ich hoffe, dass das psychologisch vielleicht doch der bessere Weg ist, um aus Kittel das herauszukitzeln, was zweifellos in ihm steckt. Apropos Psychologie: Auch unser Blogfreund und Psychologie Dr. Olaf Ringelband hat sich ein paar Gedanken zum Spiel gegen Hannover gemacht und sie mir geschickt. Und das möchte ich Euch nicht vorenthalten:
Hallo Scholle!
Ich war am Samstag seit Langem mal wieder im Stadion (Dank der Einladung eines Kunden auf die Haupttribüne). Natürlich war es schön, sechs (plus 1) Tore zu sehen, aber mir sind auch ein paar kritische Punkte aufgefallen:
Die ersten 30 Minuten waren katastrophal. Die Mannschaft wirkte verunsichert und niemand traute sich etwas zu. Da war ganz deutlich zu spüren, was in der Psychologie „Misserfolgs-Vermeidungs-Motivation“ heißt. In Fußballdeutsch: man wollte nicht unbedingt gewinnen, sondern bloß nicht verlieren, also möglichst keinen Fehler machen. Verständlich, nach der sieglosen Serie – aber gefährlich.
Dazu zwei Beispiele: der junge David holte sich schon gleich am Anfang nach einem katastrophalen Fehler die Gelbe Karte. Das ist ein bisschen wie bei Kindern, wenn man ihnen sagt, „pass auf, dass Du nichts fallen lässt“, dann ist das „fallen lassen“ im Kopf – und bei David war das „bloß keinen Fehler machen“ im Kopf. Das andere Beispiel sind die vielen Rückpässe am Anfang, denn der Rückpass ist der vermeintlich sichere Weg, nichts falsch zu machen (nur, dass Hannover darauf eingestellt war und zeitweise ein Spieler aus dem Mittelfeld vorrückte, um HF zu attackieren – was zweimal sehr gefährlich wurde).
So sehr ich Trainer Walter und seine psychologische Arbeit schätze – hier muss etwas schiefgelaufen sein, denn die Mannschaft muss mit der Haltung ins Spiel gehen, dass sie die beste Mannschaft der zweiten Liga sind (ich habe schon häufiger geschrieben: der teuerste Etat bedeutet einfach, dass man die besten Spieler hat); wenn dann zum „Können“ noch 100% „Wollen“ dazu kommt, kann man jedes Spiel gewinnen. Das hat man dann in der 2. Halbzeit gesehen – wobei zugegebener Maßen Hannover nur noch wenig Gegenwehr zeigte.
Zugegeben – es ist für Trainer immer schwierig, die Mannschaft so zu motivieren, dass die Mannschaft die richtige Balance aus Selbstvertrauen und Willen zur Anstrengung vermittelt bekommt. Ich hoffe, dass alle aus dem Spiel die richtigen Lehren für das Spiel in Kaiserslautern gezogen haben: mit Mut, Selbstvertrauen und Kampf kann dieser HSV jedes Team schlagen.
Von Dr. Olaf Ringelband
In diesem Sinne, Euch allen jetzt einen schönen, spannenden Champions-League-Abend!
Es läuft die 81. Spielminute im Volkspark. Die Partie gegen Hannover ist bereits lange entschieden. Unter tosendem Applaus des Hamburger Publikums verlässt Kapitän Sebastian Schonlau den Platz, der nach seiner Rückkehr ins Team nach abgesessener Gelbsperre einmal mehr seinen immensen sportlichen Wert für den HSV unter Beweis gestellt hat. Auch wenn nach dem 6:1-Kantersieg gegen 96 vor allem die Offensiv-Kräfte um Bénes, Kittel, oder Glatzel die medialen Schlagzeilen dominiert haben, so verdeutlicht dieses Ergebnis für mich doch vor allem eines: „Bascho“ ist für die HSV-Defensive unersetzlich und damit für die erfolgreiche Umsetzung von Walters Spielphilosophie essentiell.
Stand Schonlau als defensiver Organisator in dieser Saison auf dem Platz, kassierte der HSV im Schnitt nur 0,96 Gegentore. Fehlte er, waren es ganze 2,5 pro Spiel. Ein Statement. Während das Hamburger Abwehrverhalten im vorangegangenen Spiel gegen Fortuna Düsseldorf ohne ihn zuweilen vogelwild wirkte, so präsentierte sich die HSV-Hintermannschaft mit ihm trotz einiger Unsicherheiten wie z.B. von Jonas David gegen die ‚Roten’ deutlich stabiler. Gerade im Zusammenspiel mit David zeigt sich immer wieder, dass Schonlaus Führungsstärke die restlichen HSV-Verteidiger besser macht. Den latenten Begriff ‚Führungsstärke‘ will ich hier einmal präzisieren: Diese liegt einerseits in Schonlaus fußballerischen Qualitäten im Stellungs- und Aufbauspiel. Ersteres ermöglicht es ihm zudem, seine doch erheblichen Tempodefizite auszugleichen. Gegen Hannover war Schonlau wieder einmal der Taktgeber im Hamburger Aufbauspiel. Die meisten Ballaktionen (96) und die meisten gespielten Pässen (82, Passquote 91 %) aller Spieler belegen Schonlaus Präsenz auf dem Platz. Darüber hinaus war er bester Hamburger Zweikämpfer (67 % gewonnene Duelle). Die Duelle gewinnt er dabei immer wieder durch sein gutes Timing.
Schonlau geht also mit Leistung voran. Neben den eben beschriebenen fußballerischen Fähigkeiten überzeugt mich Schonlau aber vor allem durch seine kommunikative Art. Schon auf dem Trainingsplatz ist seine Stimme immer besonders deutlich zu vernehmen. Er gibt Kommandos, leitet gerade die jüngeren Spieler an. Und ich glaube, dass Schonlaus Ansagen David, Muheim oder auch Katterbach in ihrem Spiel Sicherheit verleihen. Auch deshalb ist „Bascho“ für mich gewissermaßen Tim Walters verlängerter Arm auf dem Platz.
Dass ich all das über Schonlau einmal sagen würde, ist nicht selbstverständlich. Gerade in seiner Anfangszeit in Hamburg stand ich ihm nämlich sehr skeptisch gegenüber. Dabei erinnere ich mich besonders an den Saisonauftakt 2020/21 auf Schalke, als er auf Höhe der gegnerischen Eckfahne zu dribbeln begann und dann in der Rückwärtsbewegung hinten fehlte. Doch auch ich muss an dieser Stelle anerkennen, welche Entwicklung er in den letzten zwei Jahren genommen hat – und wie abhängig das HSV-Spiel von ihm geworden ist. Über die sechs Buden gegen 96 habe ich mich zwar 1 wie wir alle gefreut, ich halte jedoch die defensive Stabilität für den größeren Gewinn. Dass die Partien gegen Kaiserslautern und St. Pauli keine Torfestivals werden, dessen können wir uns – glaube ich – schon sicher sein. Defensive Unsicherheiten wie in der ersten halben Stunde gegen Hannover werden in den nächsten beiden Begegnungen gnadenlos bestraft werden. Sollte Schonlau im Saisonfinale ausfallen oder erneut gesperrt sein, wird es eng. Spielt er, dann blicke ich den kommenden Partien optimistisch entgegen. Gerade im Stadtderby gegen den FC St. Pauli dürfte Schonlau noch eine persönliche Rechnung offen haben, nachdem er im Hinspiel nach einer Notbremse mit Rot vom Platz geflogen war und so die 0:3-Klatsche eingeleitet hatte.
Dieses Wochenende dürfen wir jedoch erstmal den torreichsten Heimsieg der Walter-Ära feiern. Ein grandioses Oster-Geschenk, wie ich finde.